Erikli: „Partizipation hat Zukunft“

Es ist noch gar nicht solange her, dass unser Gastautor Wolfgang J. Koschnick auf seemoz eine rege Diskussion über die „direkte Demokratie“ in der Schweiz lostrat. An der beteiligt sich nun Nese Erikli, die grüne Landtagsabgeordnete aus Konstanz. Ihr Debatten-Beitrag:

Die jüngste Schweizer Volksabstimmung beherrschte auch die deutschen Medien: Eine Mehrheit von über 70% der EidgenossInnen sprach sich deutlich für eine Beibehaltung der Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus. Und trotz ihres Misserfolgs setzte die Volksinitiative gegen die Gebühren eine Debatte in Gang, die den Rundfunk in der Schweiz mittelfristig wohl verändern wird. Dies zeigt: direkte Demokratie ist mehr, als die Entscheidung einer konkreten Frage durch Bürgerinnen und Bürger. In jedem Fall beflügelt der Blick über die Grenze zu unseren Schweizer Nachbarinnen und Nachbarn das Denken und die Diskussion. Doch auch diesseits der Grenze ist in den vergangenen Jahren einiges in Bewegung gekommen, wenn es um die Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger geht, selbst und unmittelbar politische Entscheidungen zu treffen.

So wurden in der letzten Legislaturperiode nicht nur die direktdemokratischen Instrumente auf Landes- und kommunaler Ebene erweitert, sondern über die Verwaltungsvorschrift zur Öffentlichkeitsbeteiligung und den Planungsleitfaden auch Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger im Planungsrecht verbindlich ausgebaut. Dieser Stärkung einer neuen politischen Kultur liegt die Annahme zu Grunde, dass die Konzepte direkter und repräsentativer Demokratie nicht im Gegensatz zueinanderstehen müssen.

So richtig interessant wird der politische Prozess dann, wenn sich direkte und repräsentative Demokratieelemente gegenseitig beeinflussen und ergänzen. Im Idealfall führen solche Beeinflussungen dazu, dass Politik offener wird und der Wert des Ausgleichs und des Kompromisses, wie Wolfgang J. Koschnick in seinem Beitrag auf seemoz von vor einigen Wochen zu Recht anführt, stärker anerkannt wird.

Auf Landes- und Bundesebene wird Politik von auf vier oder fünf Jahre gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentariern sowie von vom Parlament gewählten Regierungsmitgliedern im Wettstreit um die besten Ideen und Argumente gestaltet. Diese Form der Politik kann hitzig und anstrengend sein, führt aber zu klareren Ergebnissen. In starker Ausprägung kann man sie im Parlament des Vereinigten Königreichs beobachten, deutlich weniger ausgeprägt in den Deutschen Landtagen und im Bundestag. Da stellt sich die Frage: Ist in einem solchen politischen Betrieb überhaupt noch Platz für BürgerInnen, die ihre Sicht auf die Dinge direkt, ohne den „Umweg“ über uns Abgeordnete einbringen wollen?

Das auch in den Debattenbeiträgen auf seemoz angeführte Argument, wir könnten nicht alle BerufspolitikerInnen sein, stimmt. Politik kann aber von hauptberuflich und nicht hauptberuflich aktiven Menschen gemeinsam im Diskurs gestaltet werden. In diesem Sinne ist auch Bürgerbeteiligung kein Gegenentwurf zur repräsentativen Demokratie, sondern ein wichtiger Bestandteil eines neuen Miteinanders im politischen Raum. Ein solches Demokratieverständnis, das auf einer starken, partizipierenden Zivilgesellschaft baut, hat Zukunft.

Deshalb ist der in Baden-Württemberg in den letzten Jahren beschrittene Weg, die Mitspracherechte von Bürgerinnen und Bürgern im politischen Prozess auszubauen, richtig. In Sachen direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung ist bei uns viel in Bewegung gekommen. Nachdem das Land in der jungen Bundesrepublik noch als Mutterland direkter Demokratie galt, waren 2011 zu Beginn der ersten grün-geführten Landesregierung die meisten anderen Länder an Baden-Württemberg vorbei gezogen und hatten weitergehende Volksrechte in Land und Kommunen etabliert. Um Baden-Württemberg wieder zum Musterland lebendiger Demokratie zu machen, initiierte die Koalition seit 2011 verschiedene Maßnahmen. Dies führte 2015 zur Änderung gleich mehrerer Gesetze.

Auf Landesebene wurden nicht nur die Hürden für Volksbegehren und Volksabstimmungen gesenkt, sondern auch das Instrument des Volksantrags überhaupt erst eingeführt. Auf kommunaler Ebene wurden die für Bürgerbegehren zulässigen Themen ausgeweitet und die Quoren abgesenkt. Und schließlich wurde mit Gisela Erler eine Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung ernannt, die kontinuierlich und unermüdlich dafür arbeitet, dass BürgerInnen beteiligt werden und mitsprechen können. Ein Instrument dabei ist das Online-Beteiligungsportal, auf dem Gesetzesvorhaben der Regierung von BürgerInnen kommentiert werden können, noch bevor sie in das Parlament eingebracht werden.

All dies ist richtig, aber noch nicht genug. Ein zentrales Problem direktdemokratischer Elemente und bei der Bürgerbeteiligung besteht darin, dass sich manche Teile der Bevölkerung prozentual stärker beteiligen als andere. Deshalb müssen wir in Zukunft dafür sorgen, dass sich auch Frauen, Jugendliche, Menschen mit Migrationshintergrund und solche aus sozial benachteiligten Verhältnissen stärker beteiligen und dabei die direktdemokratischen Instrumente insgesamt ausbauen und stärken.

Den Volksantrag für mehr direkte Demokratie auch auf Landkreisebene finde ich richtig. Ich sehe das als doppelte Stärkung der direkten Demokratie: Einerseits in der Sache durch die angeregte Erweiterung der Volksrechte auf Kreisebene, andererseits durch die Belebung des noch jungen Volksantrags auf Landesebene. Auch auf Landes- und Bundesebene sehe ich eine klare Entwicklung hin zum Ausbau der direkten Demokratie. Dass eine solche Entwicklung nicht gegen die Mitglieder der Parlamente gerichtet ist, sollte allen klar sein. Uns ParlamentarierInnen wird es weiterhin brauchen, denn die Entscheidungskapazitäten der BürgerInnen, die sich nicht in Vollzeit mit Politik beschäftigen können, sind begrenzt. Weniger populäre Themen, die eben nicht die Mehrheit der Wahlberechtigten an die Abstimmungsurne mobilisieren, müssen trotzdem bearbeitet und entschieden werden.

Unsere Aufgabe wird es sein, bestehende Hürden für Partizipation und direkte Einflussnahme von BürgerInnen auf die Politik weiter zu identifizieren und abzubauen – und dabei auch den einen oder anderen Blick auf die andere Seite der Grenze zu wagen.

Nese Erikli

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