„Gegen die Politisierung von Religionen“
Das seemoz-Gespräch mit Michael Schmidt-Salomon über die „AfD als Speerspitze des christlichen Fundamentalismus“ vor wenigen Tagen hat Dennis Riehle (Foto), Sprecher der Humanistischen Alternative Bodensee (HABO), auf den Plan gerufen, der in seinem Gastbeitrag vor jeglicher Politisierung, aber auch Dogmatisierung und Absolutheit von Religionen warnt.
Über weite Strecken teile ich die Einschätzungen des „gbs“-Vorstandssprechers. Die Gemengelage ist im Augenblick zweifelsohne schwierig. Zwar vermag man das Ergebnis auf den Straßen, in obskuren Online-Portalen und im Hintergrund der Politik als einen Cocktail einer wilden Mischung aus Fundamentalisten, Radikalen und Extremen gleichzeitig sehen; man würde es sich damit aber zu einfach machen – gerade auch dann, wenn man demokratisch entgegenhalten und sich bewusst im sensiblen Bereich der Religionskritik von platter Instrumentalisierung abheben will.
Am Thema Kirchensteuern oder an den Ablösezahlungen des Staates kann man jedenfalls kaum noch festmachen, wer säkular oder gar laizistisch eingestellt ist. Viel eher ist die Herausforderung an alle, die sich ernsthaft mit der Verquickung von Politik und religiösen Kräften auseinandersetzen wollen, Alleinstellungsmerkmale zu finden, die auch vom Außenstehenden einer eindeutigen Intention weit ab von rassistischen und verachtenden Verunglimpfungen zugeordnet werden können. Denn die Übergänge scheinen fließend: Wann ist Islamkritik Religionskritik? Und wann ist sie tatsächlich Feindseligkeit gegenüber fremden Kulturen, fremdem Glauben oder fremden Menschen?
Wegweisend könnte dabei sein, stets zu hinterfragen, ob sich Kritik lediglich an EINER oder eben viel eher an DER Religion als institutionalisierte Bekenntnisgemeinschaft orientiert. Auch ich gebe zu: In diesen Tagen eignet sich der Islam aufgrund des Verhaltens einer Minderheit seiner Anhänger vortrefflich für jede Form der Missbilligung – wohl auch, weil politischer und religiöser Islam wie bei keiner anderen Glaubensrichtung der Gegenwart so untrennbar verzahnt scheinen. Und doch will ich mich bemühen, an ihm nur beispielhaft aufzuzeigen, welch Schaden Religion verursachen kann.
Zur Diskussion um die „Speerspitze“
Generell ist das evangelikale Spektrum nicht mit der „Alternative für Deutschland“ deckungsgleich, sind Abtreibungsgegner nicht zwingend Islamhasser und nicht jeder konservative Gedanke weist auf die Zugehörigkeit zu dieser merkwürdigen Einheit der „Wutbürger“ hin. Und doch gibt es bemerkenswerte Gemeinsamkeiten, nicht ohne Grund. Die AfD ist in wesentlichen Teilen auch aus einem konservativen Wählerspektrum entstanden, das den extremen Rändern des Christentums angehört. Nicht nur evangelisch-freikirchliche, sondern ebengleich streng katholische und bestimmte Strömungen der protestantischen Landeskirchen wurden durch einen immensen Aufwand an PR und Werbung über zig Verteilerlisten zu einer „Interessengruppierung“ mehr oder weniger bewusst und gewollt generiert und zwangsvereint – unter Zuhilfenahme der unterschiedlichsten Verbindungen, Gesellschaftszirkel und Wirtschaftsorganisationen, die mit Klerikalismus so gar nichts zu tun haben.
Verdienst an dieser mittlerweile weit über Parteigrenzen hinaus angewachsenen „Bürgerbewegung“ haben letztlich Namen, die sich heute in Initiativen, Unternehmen und Vereinen finden, von deren Vernetzungsqualität manche Lobbygruppe wirklich nur träumen könnte. Manch einer mag es perfide, andere eher als getrickst und schlau ansehen, wie sich nahezu ein System des Widerspruchs entwickelt hat, über dessen tatsächlichen Ziele, mitwirkenden Personen oder Inhalte selbst viele Unterstützer keine Ahnung haben dürften. Denn durch ein intelligentes Einbeziehen von gesellschaftsfähigen Meinungen, Positionen aus der Mitte des demokratischen Spektrums – mit oder ohne Wissen der Betroffenen – und dem Nutzen von Strukturen und Persönlichkeiten, die ihres Zeichens zwar einen gesellschaftspolitischen Konservativismus verfolgen, sich aber nicht darüber im Klaren sind, dass sie für eine Parallelwelt zur „Lügenpresse“ herhalten, gibt sich die Maschinerie einen bürgerlichen Anstrich.
In diesem Zusammenschluss verschwinden rasch die Grenzen: Nicht mehr klar erkennbar war, aus welchem Beweggrund sich einzelne Mitstreiter engagierten. War es der bloße Protest gegen alle Obrigkeit – ob Kirche oder Staat, denen man sowohl von Neoliberalen, aber eben auch von nahezu national und anarchistisch daher laufenden Kräften eine Bevormundung vorwirft? Der Einsatz gegen den „linken Gender-Mainstream“, der wiederum in enger Überlagerung mit der „Lebensschutz“-Bewegung und damit als Teil einer fundamentalen Glaubensüberzeugung zu sehen ist? Oder vielleicht doch die Phobie, die schon nahezu in paranoide Züge des Untergangs von Mitteleuropa unter dem Halbmond mündet?
Nein, ich lasse mich nicht hinreißen, sondern bin überzeugt, dass es legitim sein kann, auch Positionen aus diesen Reihen nachzuvollziehen und sie möglicherweise sogar zu teilen. Doch allein die Vernunft und die Begründung rechtfertigen die Übernahme jedweder Anschauung, nicht aber der blanke Trieb nach Spalterei, Emotionalisierung oder Hasstiraden. Darin muss sich ein humanistischer Atheismus von einem subversiven Laizismus, ein wertkonservativer Humanismus von einem ideologisch-historischen Traditionalismus unterscheiden.
Gegen das Establishment
Gemeinsam scheint sowohl der AfD, aber auch den christlich-konservativen Zusammenschlüssen und den einzelnen Aktiven aus dem Spektrum der „Empörten“ der Kampf gegen das „Establishment“, wobei hier jeder ein anderes meint. Insofern sind die Parallelen zu rechtspopulistischen Strömungen von Österreich über Frankreich bis nach Amerika offenkundig. Enttäuschung, Protest und Wut sammeln sich aus unterschiedlichen Wurzeln, zielen auch auf verschiedene Empfänger – sind aber gleichsam im „Dagegen“ vereint. Feindbilder haben dann Konjunktur, wenn die gesellschaftlichen Gräben offenkundig sind – ob der zur angepassten und liberalen (evangelischen) Kirche, der zum tolerantem Papst in Rom, der zu unserer scheinbar in Willkür gegen „Recht und Ordnung“ entscheidenden Kanzlerin, zu muslimischen Asylbewerben, die entweder Arbeitsplätze nehmen oder gleich den Terrorismus ins Land tragen oder der zum Islam als gesamter Religion, die das Abendland bedroht.
Ich gebe zu, auch ich bin stellenweise manch polemischem Argument aus diesen Reihen verfallen. Und ich musste auch merken, wie schnell man in den doch zweifelhaften Verbindungen vereinnahmt zu werden drohte. Es ist klar, dass Pauschalisierung nicht weiterhilft, ebenso wenig aber das Verschweigen, dass aus Teilen dieser Szene eine ganz entscheidende Gefahr für den Rechtsstaat ausgeht.
Denn das Machtvolumen, das sich ein Ring aus privaten Initianten, Abgeordneten und teils reichen Förderern hier erarbeitet hat, gebündelt in einer Interessengemeinschaft mit klar erkennbarem Willen zu Einfluss, Mitsprache und revolutionistischer Veränderung, wiegt schwer im Verhältnis der Kräfte eines partizipativen Systems. Deshalb sind Anstrengungen unumgänglich, ehrliche Religionskritik in den klaren Gegensatz zur Hetzerei zu stellen, indem wir uns nicht der alleinigen Kulturkritik, wohl aber der Verurteilung jeder Politisierung, Dogmatisierung und Absolutheit von Religionen verschreiben.
Dennis Riehle