Geistliche Insolvenz der Kirchen: Austrittszahlen sind Beleg für vollständiges Versagen
Die Fakten sind dramatisch: Mit den immer weiter steigenden Austrittszahlen verlieren die beiden christlichen Konfessionen ihre gesellschaftliche Mehrheit im Land. Doch es wäre zu kurz gedacht, würde man lediglich die Missbrauchsskandale für die Entwicklung verantwortlich machen; immerhin stehen die Protestanten den Katholiken beim Verlassen ihrer Kirche in nichts nach. Und auch die Kirchensteuerbelastung alleine kann kein Grund dafür sein, dass sich immer mehr Christen ihrer angestammten Vertrautheit lossagen.
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Offenbar liefern Bistümer und Landeskirchen nicht mehr das, was die Menschen von einer geistlichen Heimat des 21. Jahrhunderts erwarten. Mit den krampfhaften Versuchen, ein „modernes“ Angebot an möglichst alle Generationen zu richten, verzettelt sich die Kirche selbst und entfernt sich von ihrem Kernauftrag der Verkündigung. Darüber hinaus ist die stark zurückgehende Ansprache der Gemeindeglieder durch die Seelsorger vor Ort sicherlich mitursächlich dafür, dass die Verbindung zwischen Gläubigem und Kirche immer häufiger reißt.
Die Menschen erhoffen eine persönliche Ansprache für ihre existenziellen Fragen. Bei immer weniger Pfarrern kann dieser Anspruch nicht erfüllt werden; eine Abwärtsspirale, aus der die Kirche den Absprung wohl kaum zu schaffen vermag. Die Entfremdung von der Lebenswirklichkeit vieler Christen im Beharren auf Zölibat, sexualethischen Vorgaben und der Ausgrenzung der Frau mag aus dogmatischen Erwägungen unumgänglich zu sein; für die Praxis des Kirchenalltags ist sie ein verheerendes Signal der Rückwärtsgewandtheit.
Dass die Gemeinden trotz ihrer Situation freiwilliges Engagement aus ihren Reihen zurückhalten und das Priestertum aller Gläubigen ad absurdum führen, ist eine Katastrophe im Überlebenskampf der Konfessionen und sollte die Kirchen zum Selbsteingeständnis vollständigen Versagens führen. Nicht zuletzt scheint der christliche Glaube in komplexer werdenden Zeiten gerade nicht dazu imstande zu sein, den Menschen jenen Halt zu geben, der auch in größter Not trägt.
Mit seinen teils einfachen Antworten auf die Ungerechtigkeiten dieser Welt, den bloßen Vertröstungen auf das Jenseits und dem fehlenden Zugang zu den tatsächlichen Problemen des Daseins schafft er es nicht, kritischer werdende Gläubige in ihrem Umfeld abzuholen und sie mit sinnstiftender Nahrung zu versorgen, die über die sonntägliche Predigt hinausgeht. Nachdem die Kirchen wenig Veränderungsbereitschaft zeigen, wird sie sich wohl oder übel eingestehen müssen, dass sie den Anschluss verpasst hat.
Für Politik und Bevölkerung heißt es nun, die neuen Wahrheiten zur Kenntnis zu nehmen: Auch wenn ein Verlassen der eigenen Konfession keinem Verlust an Gottesglaube gleichzusetzen ist, ist es der religionsfreie Mensch, der zukünftig mehr Platz im öffentlichen Diskurs erhalten muss. Ob in Ausschüssen und Gremien, in Parteien und Organisationen, im Sozialstaat und in der Wohlfahrt – für Humanisten braucht es mehr Akzeptanz, Verantwortung und Vertrauen. Die Aussicht auf ein tatsächlich säkulares Deutschland steigt.