Griechenlands Gesundheit und Hilfe aus dem Hegau
Gesundheitspolitiker zählen gemeinhin nicht zu den Stars einer Regierungsmannschaft. In diesen Tagen ist auch das in Griechenland anders: Andreas Xanthos ist angetreten, die „humanitäre Katastrophe“ in seinem Land abzubauen. Aber er weiß: Ohne Hilfe von außen kann das nicht gelingen. Und deshalb helfen auch Apotheker und Ärzte aus dem Hegau.
30 Prozent der Krankenhausärzte, 40 Prozent des Pflegepersonals wurden von der Vorgänger-Regierung unter Zwang der Troika entlassen. Ist unter solchen Vorzeichen der öffentliche Gesundheitsbetrieb überhaupt aufrecht zu halten?
Tatsächlich kämpfen wir gegen den Kollaps unseres Gesundheitswesens. Während im übrigen Europa durchschnittlich sieben Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukt, Anm. d. Red.) für das Gesundheitswesen ausgegeben werden, wurde diese Marke in Griechenland auf 4,5 Prozent gedrückt. Wir dringen jetzt zumindest auf ein Sechs-Prozent-Niveau und planen, 4500 Ärzte wieder einzustellen, die ersten Wiedereinstellungen sind bereits realisiert. Aber das ist längst nicht unser einziges Problem…
…Sie sprechen von den vielen in Ihrem Land, die sich eine medizinische Behandlung gar nicht leisten können – von den Schwangeren, die für eine Entbindung vorab und bar zahlen müssen (die Säuglingssterblichkeit ist im letzten Jahr um 43 Prozent gestiegen), von den chronisch Kranken, die sich die Medikamente nicht mehr leisten können…
…vor allem meine ich die 2,5 Millionen Griechinnen und Griechen, die keinen Schutz der Krankenversicherung mehr haben. Das müssen Sie sich einmal vorstellen: Ein Viertel der deutschen Bevölkerung würde aus der Krankenversicherung geschmissen, weil sie die Beiträge nicht mehr aufbringen. Eine erste Maßnahme der Syriza-Regierung war darum die Einführung eines Versicherungsschutzes für alle sowie die Abschaffung des „Eintrittsgeldes“ von fünf Euro (vergleichbar der einstigen Praxisprämie in Deutschland, Anm. d. Red.). Außerdem haben wir die Medikamenten-Zuzahlung von 30 Prozent des Arzneipreises deutlich gesenkt. Doch neben solchen ersten Schritten, die Geld kosten, das wir eigentlich gar nicht haben, arbeiten wir an der Demokratisierung unseres Gesundheitswesens – die Strukturen sollen transparent werden, damit endlich der Korruption und Verschwendung ein Ende bereitet werden kann.
Mitarbeiter der Athener Solidarklink erzählten uns, dass sie den städtischen Krankenhäusern sogar Patienten abnehmen oder ihnen mit Verbandstoff aushelfen.
Es fehlt sogar an Watte in den Universitätsklinken. Gerade wenige Minuten vor diesem, unserem Gespräch saß ich zusammen mit dem nationalen Führungsgremium von „solidarity for all“, das überall im Land ehrenamtlich betriebene Kliniken unterhält (seemoz berichtete mehrfach). Denn deren Unterstützung bleibt weiter nötig, vor allem bei der Betreuung der Flüchtlinge, die unser Land überschwemmen. Ich nenne das die „Krise in der Krise“: Unser Gesundheitswesen wird zusätzlich beansprucht von den tausenden Flüchtlingen, die bei uns täglich und dringend medizinische Hilfe brauchen.
Das Flüchtlingsproblem kennen auch andere europäische Staaten – in Deutschland wird derzeit heftig darüber gestritten.
Aber nicht mit solchen gravierenden Folgen wie in Italien, das über 46 000 Flüchtlinge allein in diesem Jahr aufnahm, und Griechenland mit über 42.000 Flüchtlingen, die als erst aufnehmende Länder laut EU-Vertrag verpflichtet sind, diese Flüchtlinge zu versorgen. Unsere Regierung hat vor Monaten schon vorgeschlagen, 40 000 Flüchtlinge vornehmlich aus Syrien gerechter auf die EU-Länder zu verteilen oder zumindest für ihre Krankenversicherung zu sorgen – beide Vorschläge wurden in erster Linie von Deutschland und Frankreich abgelehnt. So bleiben zwei der ärmsten Staaten in der Gemeinschaft – auch Italiens Staatsverschuldung ist beträchtlich – mit diesem Problem, das eigentlich ein europäisches ist, allein, ohne europäische Hilfe und Solidarität.
Was einmal mehr die Forderung in den Mittelpunkt rückt: Die EU muss mehr als nur eine Wirtschaftsgemeinschaft sein. Sondern ein Staatenbund, der für Frieden und Menschlichkeit steht?
Die Diskussion ist überfällig. Stets wird über Schuld und Schulden, über Zinsen und Kredite gestritten. Über den jahrzehntelangen Frieden, den uns die europäische Gemeinschaft beschert hat, wird kein Wort verloren, über Menschlichkeit gerade gegenüber den Armen, die es ja in allen Staaten gibt, wird ebenso wenig gesprochen wie über das Gesundheitswesen, das sich endlich wieder an den Bedürfnissen der Menschen und nicht an der Wirtschaftlichkeit ausrichten muss.
Text: hpk/Fotos: Polly Mellou
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Der Artikel möchte besonders Deutschland und die EU in ein schlechtes Licht katapultieren. Die Griechen wissen selbst, was in ihrem Staat in den vergangenen Jahrzehnten falsch gelaufen ist. Mit einer solchen „Anschuldigung“ erreicht man keine breit aufgefächerte Hilfe im Hegau. Sie bleibt ideologisch zentriert. Und das bringt dem gebeutelten Land und den hier spezifisch angesprochenen Problemen wenig. Das ist schade.