Guido allein zuhaus

Es gibt in diesen Wochen in Deutschland eine intensive Debatte über den Sozialstaat, den Vorsitzenden der FDP, Guido Westerwelle, und dessen Angriffe auf den Sozialstaat. Diese Debatte ist deshalb sehr spannend, weil sie dazu anregt, die FDP und deren Wahlerfolge neu zu interpretieren.

Zwei Punkte vorweg: Es wundert zum ersten, dass Westerwelle mit geistig und sachlich so dürftigen bis falschen und so altbekannten Einlassungen immer noch viel Aufmerksamkeit in den Medien findet. Denn er sagte mal wieder in all seiner Empörung: Wer arbeite, müsse mehr im Geldbeutel haben, als derjenige, der nicht arbeite und Sozialleistungen des Staates empfange. Deshalb müsse der Druck auf den Sozialgeld-Empfänger stärker werden, eine Arbeit anzunehmen, und wenn er das nicht tue, dann muss das Sozialgeld gekürzt werden.

Und es wundert zum zweiten, dass es weder den Gewerkschaften noch den Parteien links vom Mainstream gelingt, dieser kleinen Kampagne etwas entgegenzusetzen und Westerwelle beispielsweise den Begriff Leistung zu entwenden: Denn der Abstand zwischen dem Sozialgeld-Empfänger und dem arbeitenden Niedriglöhner ist tatsächlich gering geworden, aber nur deshalb, weil die Leistung der Arbeit nicht mehr entlohnt wird, sondern die Menschen vielmehr mit drei oder vier Euro je Stunde abgespeist werden. Das heißt: Leistung lohnt sich tatsächlich nicht mehr. Und die Linke könnte eine Kampagne gegen das eigentlich leistungslose Einkommen machen: die ständig steigenden Zins- und Dividendeneinnahmen von Wohlhabenden und Reichen.

Aber nun zur FDP: Die FDP erzielte bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst 14,6 Prozent. Es schien, sie sei auf dem Höhepunkt ihrer Kraft, erstürme den politischen Himmel und werde bald zur Volkspartei. Und es schien, der Erfolg der FDP sei ein Erfolg der politischen Speerspitze des Marktradikalismus und des blanken Egoismus.
Und was zeigte sich bald? Es ist nicht ausgeschlossen, dass das, was sich vor nur sechs Monaten als politischer Riese präsentierte, in Wahrheit nicht mehr als ein Schein-Zwerg ist. Sehr zugespitzt und trotzdem nicht falsch: Ihre Bundesminister und Repräsentanten auf Bundesebene reüssieren nicht, sie blamieren sich.

Es sieht aus, als habe sich diese Partei in ihren vielen Jahren Opposition nicht personell und inhaltlich erneuert und Kraft geschöpft, sondern als habe sie sich unter dem Deckmantel namens Guido Westerwelle mit dem Mittel der Selbstsuggestion mumifiziert, mit letzter Kraft an die Macht geschleppt und zerfalle und verwese nun, seit sie an der frischen Luft der Öffentlichkeit zeigen muss, ob sie überhaupt regieren kann.

Und was zeigt sich noch? Die Umfrage-Werte der FDP-Minister sind schlecht. Auch um die Partei selbst ist es schlecht bestellt: Am 9. Mai sind Wahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen und die Wahl-Umfragen zeigen einen marktradikalen Zwerg, der zwischen sechs und acht Prozent hin und her hüpft.
Und deshalb attackierte – siehe oben – der FDP-Vorsitzende den Sozialstaat und die Bedürftigsten in dieser Republik. Aber: Trotz der Attacken wollen die Umfrageergebnisse nicht steigen. Die Hoffnung: Die Speerspitze des Marktradikalismus und Egoismus scheint doch nicht so viel Kraft zu haben, wie die Bundestagswahl befürchten ließ.

AutorIn: Wolfgang Storz