Hus-Gedenken: „Schnick-Schnack und Brimborium“
Das kommende Wochenende haben die Konstanzer Konzil-Event-Verantwortlichen zum Hus-Weekend ausgerufen: Fast unzählige Veranstaltungen von der Denkmal-Enthüllung über Gottesdienste, natürlich, bis zur Dauerausstellung sind im Angebot. Da will seemoz nicht fehlen und verweist auf den „Gedenk-Spaziergang“ mit dem unbotmäßigen Historiker Hellmut G. Haasis.
Seit einem Jahr wird in Konstanz das Konzilsjubiläum gefeiert. Unzählige Veranstaltungen und Ausstellungen erinnern an eine der größten Versammlungen des Mittelalters, bei der zwischen 1414 und 1418 bis zu 70 000 Bischöfe, Gelehrte und Fürsten, Künstler, Geldwechsler und Prostituierte in die Stadt am Bodensee kamen. Ziel des Konzils war eine Reform der Kirche gewesen, vor allem, die damalige Kirchenspaltung mit zeitweise bis zu drei Päpsten zu überwinden. Abgesehen von der Papstfrage wurden alle wichtigen Reformen verpasst, dafür erachtete es das Konzil als notwendig, den Kirchenkritiker Jan Hus aus Prag zu verbrennen – obwohl König Sigismund ihm zuvor ein Schutzversprechen gegeben hatte.
Am 6. Juli jährt sich die Hinrichtung von Hus zum 600. Mal, und auch dazu finden in Konstanz einige Veranstaltungen statt. In den Augen des Reutlinger Historikers Hellmut G. Haasis bieten diese aber nur eine oberflächliche Beschäftigung mit Hus, sie gingen wie der größte Teil der Konzilsfeierlichkeiten „mit großem Brimborium und viel Schnickschnack am Thema vorbei“. Man wolle nicht die Frage beantworten, wer ihn umgebracht habe, nicht die Verantwortung der Kirche benennen. „Die ganze Präsentation des Konzils ist vollkommen in der Hand der modernen Eventmanager“, sagt Haasis, „es ist in Konstanz nicht zu erwarten, dass man den Mord aufarbeitet.“
Darum hat der streitbare Historiker Haasis eine eigene Veranstaltung zu Hus in Konstanz auf die Beine gestellt: Einen Gedenk-Spaziergang auf Hus‘ Spuren am 5. Juli unter dem Slogan „Wer hat Jan Hus ermordet?“ Zwei religionskritische Gruppierungen, die Freidenker Reutlingen, Heidenheim, Ulm und die Humanisten Tübingen konnte er als Mitveranstalter gewinnen, als Redner wird neben Haasis auch Ralf Jandl auftreten, ehemaliger Ministerialrat und mittlerweile beim Bürgerprojekt Die Anstifter aktiv. Außerdem steuert der Tübinger Literaturwissenschaftler und Autor Jürgen Wertheimer ein Grußwort bei.
Kirchenkritiker mit journalistischen Methoden
Von der Marktstätte aus geht es zu den Orten des Geschehens, und wie bei Haasis üblich, ist auch Raum für Humor und eine Spur Polemik: Vor dem Münster, in dem Hus von den anwesenden Klerikern und Feudalherren einstimmig verurteilt wurde, sollen „12 Konstanzer Artikel gegen religiösen und sonstigen Terror“ verlesen werden. „Ich wollte sie zuerst, wie Luther seine 95 Thesen, an die Tür des Münsters anschlagen, aber man hat mich gewarnt, dass Winkeladvokaten mich gleich wegen Sachbeschädigung oder Störung des religiösen Friedens anklagen könnten“, lacht Haasis. Endpunkt soll die Stelle sein, wo Hus‘ Asche von Mönchen in den Rhein gestreut wurde. „Dort wollen wir die Asche von verbrannten religiösen Propagandaschriften verstreuen.“ Aus Konstanz selbst erwartet Haasis keine große Beteiligung, „in der Stadt gibt es ein ganz stark konservatives, schwarz-grünes Milieu“, hier habe man kein Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Was fasziniert Haasis so sehr an dem kirchlichen Rebellen Hus? Es mag seine Streitbarkeit sein und die Tatsache, dass seine historische Bedeutung in Deutschland kaum bekannt ist und gewürdigt wird. Jan Hus (1369–1415), Theologe, Priester und Lehrer an der Prager Universität, lebt in einer Zeit, als es, vorsichtig ausgedrückt, mit der moralischen Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche nicht zum Besten steht. Das Papsttum ist zur Farce geworden, seit 1378 gibt es zwei Männer, die den heiligen Stuhl beanspruchten, ab 1409 sogar drei. Die Kirche besitzt riesigen materiellen Besitz und giert auch nach weltlicher Macht.
Zugang zu höheren Kirchenämtern haben dabei nur die oberen, ohnehin mächtigen und begüterten Schichten der Gesellschaft, darüber hinaus verfolgen Klerus und Ordensgemeinschaften viele Wege, um an Geld zu kommen. „Die Wallfahrten waren üble Betriebe, bei denen die Leute ausgeplündert wurden“, sagt Haasis, „und schlimm waren auch die Bettelmönche, Franziskaner und Dominikaner. Jeden, der nicht spenden wollte, haben sie in die Hölle verbannt – aber man konnte sich davon freikaufen.“ Geschäfte mit der Angst der einfachen Menschen funktionierten.
Das kritisiert Hus scharf. Er greift in seinen Predigten in der Prager Bethlehemskapelle den Machtanspruch des Papstes an und macht die religiöse Wirkung einer kirchlichen Handlung von der moralischen Qualität des Priesters abhängig. Ein rebellischer Geistlicher, der eine freie Kirche ohne hierarchische Strukturen im Sinn hatte. Und: „Hus war der Erste, der im Grunde journalistische Recherchemethoden angewandt hat, um die Korruption der Kirche nachzuweisen“, so Haasis, „im Gegensatz zu Luther, der hätte es wohl durch die richtige Auslegung der Schrift gemacht.“
Dem Prager Priester gelingt es, durch Nachforschungen viele Lügen nachzuweisen, etwa vermeintliche Wunder, und er predigt seine Erkenntnisse sofort in der Bethlehemskapelle – zwei bis drei Mal die Woche. „Die damalige Predigtform ist nicht so abstrakt wie heute, gepredigt werden nicht nur Bibelworte, sondern, was gerade aktuell ist“, so Haasis. Hus ist darüber hinaus ein begabter Agitationsredner, ein Volkstribun, der sehr polemisch sein kann. Vor allem aber: Er predigt auf Tschechisch. Unerhört nicht nur, weil er als Geistlicher auf Latein predigen müsste, sondern auch ein Politikum, weil Tschechisch die Sprache der Unter- und Mittelschicht ist – die wirtschaftlich und politische bestimmende Oberschicht in Böhmen besteht aus deutschen Patrizierfamilien. Die Unterdrückung der Sprache hält sich Jahrhunderte – „bis 1850 wird an den tschechischen Schulen kein Tschechisch unterrichtet, es wird fast nur noch von der Landbevölkerung und Unterschicht gesprochen“, sagt Haasis.
In Konstanz beginnt das tschechische Nationalbewusstsein
Ein Antideutscher, wie in Deutschland oft dargestellt, sei Hus aber keineswegs gewesen. Als er im Herbst 1414 zum Konzil reist, wird er in vielen Gemeinden begeistert begrüßt, Geistliche stimmen seiner Kritik zu. In Konstanz nützt ihm das nichts. Bald nach seiner Ankunft wird er festgenommen, der Ketzerei angeklagt, einstimmig von den anwesenden Klerikern und Feudalherren verurteilt und schließlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Doch damit entfachen die Verantwortlichen auf dem Konzil einen Brand der Rebellion, der die Kirche und die Herrscher in Mitteleuropa fast vernichtet hätte, so Haasis. 1419 beginnen mit dem ersten Prager Fenstersturz die Hussitenkriege, fünf Kreuzzüge schickt die Kurie, ohne militärisch gewinnen zu können. Erst eine Spaltung der Aufstandsbewegung und ein Kompromiss mit den gemäßigteren Hussiten beendet die Kriege.
Die von Hus‘ Ermordung in Konstanz entfachten Hussitenkriege haben noch heute enorme Bedeutung für die tschechische Identität, wie Haasis betont: „Die Entstehung des tschechischen Nationalbewusstseins beginnt in einer deutschen Stadt!“ Zugleich sei es falsch, die Hussiten als rein religiöse, tschechische und antideutsche Bewegung zu sehen. Neben religionskritischen hatte die Bewegung sozialrevolutionäre Ziele, was sie auch in den Nachbarländern attraktiv machte. „Es ist kaum bekannt, dass es auch mehrere deutsche hussitische Gemeinden gab“, erzählt Haasis. Ein vergessenes Kapitel, das der Reutlinger Historiker schon 1984 im ersten Band seiner Reihe „Spuren der Besiegten“ dokumentiert hat.
War somit auch Hus schon ein Sozialrevolutionär? Explizit hatte er dies nicht im Programm, sondern übte nur Kritik an der Kirche, aber für Haasis ist das eine eher künstliche Trennung: „Wenn wie damals die Kirche die geistig herrschende Macht ist und einen Machtapparat im Hintergrund hat, um die Menschen auszuplündern, dann ist der Kampf gegen die Kirche zugleich ein Kampf gegen die Inhaber wirtschaftlicher Macht.“ Für Haasis liegt darin indirekt ein Grund, warum er vom Papst erst mit dem Bann belegt und später hingerichtet wurde: „Das Gefährliche für die Pfaffen war nicht, was er sagte, sondern, dass er wahnsinnig viele Anhänger hatte.“
Die Schwierigkeiten der Konstanzer mit dem berühmten Justizmordopfer haben dabei eine lange und teils kuriose Geschichte. An der Stelle, wo Hus verbrannt wurde, wollte bereits 1834 der Konstanzer Bürgermeister Karl Hüetlin – sogar ein Katholik – ein Denkmal errichten.
Das wurde durch eine Intervention des österreichischen Staatskanzlers Fürst Metternich verhindert. Erfolgreicher war 1862 der Versuch des alten 48er-Demokraten Karl Zogelmann, der in einer Nacht- und Nebelaktion auf eigene Kosten einen riesigen Findling an die Stelle setzte – Haasis vermutet, dass er das Gelände vorher gekauft hatte, um eine Beseitigung des Steins zu verhindern.
Der „Hussenstein“ steht bis heute, und bereits 1868, sechs Jahre nach seiner Aufstellung, kamen die ersten Vertreter der Prager Hus-Gesellschaft, um hier einen Kranz niederzulegen. Das haben sie bis heute beibehalten, aber bis Mitte der 1980er-Jahre waren sie die einzige Gruppe, die Gedenkarbeit leistete, von der Stadt Konstanz völlig ignoriert. Mittlerweile haben sich immerhin schon vereinzelt Vertreter der Stadt am Gedenken beteiligt.
Oliver Stenzel/KONTEXTwochenzeitung
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