Ignoranten und eine selbsternannte Feministin
Als „völlig unterirdisch“ und „komplett daneben“ bezeichneten viele die im Gemeinderat geführte Diskussion über eine finanzielle Förderung des Scala-Filmprojekts von Regisseur Douglas Wolfsperger. Dieser Einschätzung kann man nur beipflichten.
Bereits eingangs der Debatte bemühte sich Kulturbürgermeister (!) Andreas Osner (SPD) nach Kräften, vorab die Weichen zu stellen. Er, selbst erst seit kurzem in Konstanz, bezweifelte wortreich und überaus kenntnisarm die kulturhistorische Bedeutung des Scala-Kinos. Er hätte wohl besser geschwiegen.
Sein Dienstherr Uli Burchardt, auf dessen Belästigungsliste das Thema Scala aus unterschiedlichen Gründen seit Monaten ganz weit oben steht, vernahm die Äußerungen seines Dezernenten mit Wohlgefallen und stimmte später „aus Gerechtigkeitsgründen“ gegen einen erhöhten Zuschuss von 35 900 Euro. Das war nicht anders zu erwarten. So bleibt es bei dem städtischen Nasenwasser von 2499 Euro. Zur Erinnerung: Der Kanton Thurgau und die Stadt Kreuzlingen unterstützen das Filmprojekt mit insgesamt 21 500 Franken. Bei unseren eidgenössischen Nachbarn scheint es keine Zweifel am kulturpolitischen Wert des Scala gegeben zu haben.
Es ist gutes Recht und auch Pflicht der politischen EntscheidungsträgerInnen, sich gegen eine nicht unerhebliche Finanzspritze auszusprechen, wenn sie von dem jeweiligen Antrag nicht überzeugt sind, denn schließlich verwalten sie öffentliche Gelder. Wer aber die Argumente hören konnte, die im Ratssaal vor allem von Wolfgang Müller-Fehrenbach (CDU), Heinrich Everke (FDP) und Christine Finke (JFK) gegen die Bezuschussung der geplanten Film-Dokumentation über das Scala vorgetragen wurden, den ergriff Fassungslosigkeit. Durch die Bank fürchteten diese BedenkenträgerInnen, der Scala-Film könnte die Stadt in ein schlechtes Licht rücken und ihr „nicht gut tun“. Denkt man diese dürren Ängste weiter, dann dürften ab sofort nur Kulturprojekte gefördert werden, die das sorgsam gepflegte und aalglatte Touristen-Image der größten Stadt am Bodensee zusätzlich in honigtriefende Watte hüllen. Ein Desaster sondergleichen, nachzuhören im städtischen Podcast.
Bereits zwei Stunden vor der gemeinderätlichen Scala-Debatte wurde Christine Finke vom Jungen Forum aktiv. Jeweils kurz vor der Sommerpause läuft die JFK-Stadträtin zur Höchstform auf. Vergangenes Jahr plädierte sie für die Abschaffung der Bundesjugendspiele, da sich der sportive Leistungsdruck negativ auf die weitere Entwicklung ihrer Kinder auswirken würde. Ein echter Volltreffer.
Diesmal glaubte sie, per Massenmail alle Ratsmitglieder vor Wolfspergers Scala-Projekt eindringlich warnen zu müssen. Sie schrieb: „Liebe Ratskollegen, ich glaube nicht, dass Herr Wolfsperger, wie in seinem Antrag beschrieben, tatsächlich einen nicht wertenden Film über die Schließung des Scalas drehen wird, selbst wenn er das vor hat (…) Aber ich würde mich freuen, wenn Sie diesen Hintergrundartikel über den Mann und seine Arbeit noch lesen würden, bevor wir über den Zuschuss entscheiden“. Angehängt wurde ein Text von 2010 aus der „Süddeutschen Zeitung“, der sich kritisch mit Wolfspergers Film „Der entsorgte Vater“ befasst hatte. Dieser Versuch der kollegialen Beeinflussung war Frau Finke, die sich in ihrer Mail ausdrücklich als „Feministin“ bezeichnet, im Vorfeld der Scala-Entscheidung überaus wichtig. Wo kämen wir auch hin, wenn ein vermeintlicher Macho oder gar Frauenfeind – diesen Eindruck wollte Frau Finke bei ihren Ratskolleginnen wohl erwecken – Steuergelder für ein wertendes Filmprojekt einstreichen könnte?
Holger Reile
Lieber Herr Neidhart,
ich halte es an dieser Stelle nicht für sinnvoll, eine Großstadt und deren kulturelles Leben mit einem Nest wie Konstanz zu vergleichen.
In einer Kleinstadt, die räumlich kurz vorm Zerbersten ist, ist es nicht so einfach, dass mal schnell ein neuer Investor einspringt oder man mal eben kurz auf einem anderen zentral gelegenen Platz ein ‚Programmkino mit sieben Sälen‘ errichtet.
Eine Initiative allein hilft nicht, wenn sie von der Kommune nicht mitgetragen wird und die Rahmenbedingungen es nicht zulassen.
Grüße,
Carla Farré
Beispiel Berlin: Auch in der City West, am Kudamm, sind – in Anlehnung an den Konstanzer „Scala-Abgang“ – Kinos deswegen gestorben, weil Einzelhändler und Ketten eine höhere Miete bezahlen konnten. Nun entsteht jedoch in Berlin „Feuer“ anstelle einer „Aschenanbetung“: Es gibt in Bälde ausgerechnet ein neues Programmkino mit sieben Sälen (ab 36 Pl.). Dazu sagt Thomas Schulz von der FFA (Filmförderungsgesellschaft): „Wenn Kino richtig gemacht wird, dann funktioniert so was“ (Berliner Morgenpost, Wochenend-Extra). Auf Konstanz bezogen: Es braucht halt entsprechende Initiativen! Die Stadt und andere an einem solchen Kinoprojekt Interessierte können das Ganze ggf. finanziell nur begleiten. Die Initiative muss jedoch „aus diesem Geschäft heraus“ starten. In Berlin ist es die York-Kinogruppe“, die ihrerseits bereits zwölf Kinos unterschiedlicher Ausrichtung bespielt. Dabei ist es in Berlin nicht unüblich, auch in grossen Kinozentren kleine Säle (um 30 Pl.) für „Independent-Angebote“zu betreiben.
Den Film von Douglas Wolfsperger werde ich mir auf jeden Fall anschauen, so wie seine bisherigen Filme. Schön an der ganzen Sache ist, dass dem Uli seine ignorante Arroganz (hoffentlich) immer schmerzhafter auf die Füße fällt. Aber vielleicht bleibt das ein frommer Wunsch. Wer in weit entrückter Bürgerferne einfach einmal so ein paar zig-Millionen am See vergräbt, der trägt auch ganz sicher Stahlkappen in den Schuhen. Ich bin schon ganz gespannt darauf, was man ihm in der nächsten Attac-Sitzung sagen wird.
Das Sommerloch oder ists das Ozonloch (aber das soll ja kleiner weden?!) zeigt sich in zuvielen Köpfen. Die gewählten VertreterInnen unserer Stadt treffen beschämende Entscheidungen, ausgerichtet am Kommerz oder an einer einseitigen Kulturpolitik, die noch zwischen E und U unterscheidet!?
Was ist denn förderungswürdiger als ein Film, der ein Zeitdokument von Konstanz darstellt. Doch hier wird möglicherweise einigen Beteiligten ein sprechender Spiegel vorgehalten, der manches zu deutlich zeigt und dies immer wieder angesehen werden kann.
Ich empfehle allen Interssierten gerne die Dokumetation über die Pappelallee von Christel Thorbecke – ein Stück Lebenswirklichkeit, was uns zeigt wie wir „an der Nase herumgeführt wwerden“, wenn wir nicht hinterfragen und widerständig sind und bleiben!
Die Entscheidung im Gemeinderat gegen die Förderung des geplanten Films über das „Scala“ zeugt von einem unsäglichen Banausentum. Als Bürger der Stadt schämt man sich direkt dafür. Das Scala in Konstanz ist nicht das „Bellaria“ in Wien. Aber es ist der gleiche Filmemacher. Es ist Douglas Wolfsperger, der für seine Projekte immer auf die gespannteste Aufmerksamkeit und Neugier zählen kann. Aus Erfahrung. Aus der Erinnerung an alten Genuss und alte Berührtheit.
„So lange wir leben!“ Auch hier – in einer Stadt, die platzt von kommerziellem Erfolg. Er sei ihr gegönnt. Aber wir sind auch noch da. Es wäre schön, wenn sich vielleicht ein angesehener, alter Herr zu dieser Misere, zu diesem scheußlichen Mix aus Wohlstand und Pauperisierung äußern könnte: Richard Gandor.
Ernst Köhler
Abschließend äußerte der OB, er habe gegen die Förderung des Scala-Filmprojektes gestimmt (das er vor einigen Monaten „ausdrücklich begrüßt“ hatte) zwecks Gleichbehandlung der Kulturschaffenden. Heißt das, dass er künftig prinzipiell kein Kulturprojekt mehr fördern will?
Es tut weh; wer sich aber dafür interessiert, was in unsrer Stadt vor sich geht, möge doch bitte die Podcasts dieses Sitzungsabschnitts anschauen und/oder herunterladen, solange sie noch online stehen:
http://www.konstanz.de/rathaus/01825/07916/07918/index.html
(Tagesordnungspunkt 4.6., Teile 1 bis 5)
Und wer möchte, dass dies zeitgeschichtliche Dokument zustandekommt, obwohl eine knappe Gemeinderatsmehrheit es unterdrücken möchte, überweise eine Spende an
„Scala-Filmprojekt“, Commerzbank Berlin, IBAN DE09 1004 0000 0125 5355 02 (hier fließt die Spende komplett ins Projekt, ist allerdings nicht steuerabzugsfähig),
oder an die
Internationale Akademie Berlin, Verwendungszweck „Scala-Filmprojekt“, IBAN DE60 1002 0500 0003 1342 14 (steuerbegünstigt, allerdings behält die IAB eine Vermittlungsgebühr ein).