Ist das Journalismus oder kann das weg?

Och herrje, jetzt regen sich wieder fast alle Journalisten, Medien und Politiker über Yanis Varoufakis auf, den seit knapp zwei Monaten amtierenden griechischen Finanzminister. Weil er vor zwei Jahren eventuell – er bestreitet das – den `Stinkefinger` gegen die Deutschen wegen Vorgängen im Jahr 2010 richtete.

Wir sind im März 2015 und auch Frank Plasberg hält diesen Vorgang für so wichtig, mit ihm einen Großteil seiner Sendezeit zu verplempern und als Gast ausgerechnet auch noch Julian Reichelt, Chefredakteur von bild.de, einzuladen. Ein kümmerlicher Stinkefinger – wenn überhaupt – gegen Deutschland? Was sollen die Griechen erst sagen? „Bild“ und seine Beiboote hetzen seit Anfang 2010 – manche nennen es verharmlosend Kampagne – gegen Griechenland und die Griechen; und weitere Medien tuckern in deren Fahrwasser mit. Griechen sind danach tendenziell faul, gierig, korrupt, beziehen Luxusrenten, wollen „unser Geld“ und „noch mehr Milliarden von uns“ und sollen endlich ihre Inseln verkaufen. Die Griechen gibt es in „Bild“ nur als „Pleite-Griechen“ und neuerdings als „Griechen-Raffkes“.

Und wie verhalten sich Deutschlands verantwortliche Journalisten dazu? Die meisten rechtfertigen und verharmlosen: so sei eben Boulevard. Und was machen Deutschlands wichtigste Chefredakteure? Die sitzen in Jurys und zeichnen „Bild“ auch noch aus. Im Mai 2011 meldet „Bild“: „Riesen-Lob für die BILD-Berichterstattung über die Griechenland-Schuldenkrise“, zwei ihrer Redakteure bekamen den Herbert-Quandt-Medienpreis zugesprochen. Man höre und staune: für exzellenten Wirtschaftsjournalismus! Für seine Anti-Wulff-Kampagne erhielt „Bild“ den Henri-Nannen-Preis.

Und was machen die Journalisten-Verbände? Im Februar 2015 hebt der Vorsitzende des Journalistenverbandes wegen der Selfie-Aktion von „Bild“ gegen die „gierigen Griechen“ mahnend die Stimme, hier sei die Grenze zur politischen Kampagne überschritten. Guten Morgen, Herr Konken. Bernd Ulrich, Politikchef der ZEIT, bleibt mit seiner Frage letztlich ziemlich alleine: „Ist das Journalismus oder kann das weg?“

Wie schnell „Bild“-Kritiker einsam werden können, zeigen zwei Beispiele: Als die drei Kollegen der „Süddeutsche Zeitung“ mit Verweis auf die Auszeichnung von „Bild“ ihren Henri Nannen-Preis ablehnten, galten sie weithin als Spielverderber. Und als das Jury-Mitglied Matthias Gaede wegen der positiven Entscheidung für „Bild“ seinen Rücktritt erklärte, wurde es dafür alles andere als ausgezeichnet.

Die „Bild“-Selfie-Aktion gehört zum Geschäftsmodell des Springer-Blattes wie das Feuer zur Hölle. Seit fünf Jahren fährt „Bild“ eine Kampagne gegen die „faulen und korrupten Pleite-Griechen“ mit immer wieder neuen Aktionen und Gags, die alle mit Journalismus nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Der Journalismus (nicht nur) in Deutschland kann sich nicht entscheiden, ob er das „Bild“-Geschäftsmodell wegen seiner wirtschaftlichen Erfolge für ein Vorbild der Branche oder für ein abschreckendes Beispiel halten soll. Die Kritik an Einzelaktionen von „ Bild“ bleibt ein billiges Alibi, solange das Problem, wie sehr das „Bild“-Geschäftsmodell den Journalismus kaputt macht, nicht offensiv diskutiert wird.

Journalistische Veröffentlichungen haben substantiell drei Anforderungen zu genügen: Sie müssen neu, wichtig und richtig sein. Solche Kriterien lassen sich nicht ohne Sachkenntnisse, gründliche Recherche, ein unabhängiges Urteil und viel Verantwortung erfüllen. Deshalb hat Journalismus seinen Preis. In jedem Fall kann gestritten werden, inwieweit diese Kriterien erfüllt sind. Nicht zu bestreiten ist: Veröffentlichungen, die in der Hauptsache auf Aufmerksamkeits- und Reizwerte setzen, die Prominenz und Sensation, Sex, Geld, Macht, Kriminalität und Katastrophen und die Hetze gegen andere Völker als absolut dominierende Themen haben, die primär moralisieren und emotionalisieren, machen etwas anderes als Journalismus.

Im Mittelpunkt aller „Bild“-Veröffentlichungen steht die Inszenierung und nicht der Journalismus. Alle und Alles, Personen und Ereignisse, werden dafür gebraucht und missbraucht. „Bild“ setzt erstens Ereignisse und Personen so in Szene, dass höchstmögliche Aufmerksamkeit bei einem größtmöglichen Publikum erzeugt wird. „Bild“ setzt zweitens sich selbst so in Szene, dass möglichst jede Meldung zugleich eine Werbung für „Bild“ darstellt. Nicht nur, aber auch aufgrund dieser Methoden der systematischen und radikalen Inszenierung ist „Bild“ als Massenmedium ökonomisch erfolgreich. Deshalb liegt für andere Verlage die Versuchung nahe, diese Methoden zu übernehmen. Chefredakteure anderer Medien, die „Bild“ für Journalismus auszeichnen, besorgen sich auf diese Weise das Alibi, die eigenen Publikationen stärker an Aufmerksamkeits- und Reizwerten auszurichten. Das ist der Trend, der kritisch diskutiert werden muss.

Gefährliche Politik treibt „Bild“,  indem sie populistische Empörung über die Mühen der demokratischen Ebenen mobilisiert. Die politische Demokratie mit ihren schwierigen Entscheidungsprozessen wird als Zirkus dargestellt und anschließend angeklagt, sie sei nur Politzirkus. Sie macht sich zum Vormund der Frustrierten und zwar auf eine Weise, die weitere Frustrationen begünstigt. Sich von der Politik abzuwenden, Politiker zu missachten und nicht an Wahlen teilzunehmen, gehört zu den Konsequenzen, die dieses Medium um ihrer eigenen Profilierung als ‚Volksstimme‘ willen in Kauf nimmt.

Zusammen mit Hans-Jürgen Arlt veröffentlichte der Autor im Auftrag der Otto Brenner Stiftung, Frankfurt, drei Studien über „Bild“ zu den Themen:
„Drucksache ‚Bild – eine Marke und ihre Mägde. Die ‚Bild‘-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010“;
„’Bild‘ und Wulff – Ziemlich beste Partner. Fallstudie über eine einseitig aufgelöste Geschäftsbeziehung“;
„Missbrauchte Politik. ‚Bild‘ und ‚BamS‘ im Bundestagswahlkampf 2013“.Alle Studien können über die Otto Brenner Stiftung, Frankfurt, bezogen oder über www.bild-studie.de eingesehen und heruntergeladen werden.

Ihre gefährlichste Politik macht „Bild“ dort, wo sie sich ihr Image als Volksstimme mittels einer ‚Volksnähe‘ verschafft, die behauptet, die Gefühle des Volkes zu kennen und zu Wort kommen zu lassen. Der erste Chefredakteur Rudolf Michael (1953 bis 1959): „Wir glauben, das aussprechen zu können, was Millionen in Deutschland fühlen, ohne dass ihnen im Augenblick die Worte zu Gebote stehen, mit denen man so etwas verständlich machen kann.“ Der amtierende Chefredakteur Kai Diekmann: „BILD misst die Temperatur im Lande. Wenn Zeitungen wie die FAZ schreiben, was passiert, dann schreiben wir, wie das, was passiert, sich anfühlt.“ Aus ihrem Gefühl für das Volk formt das Blatt Wörter wie Döner-Mord, Pleite-Grieche, Teufels-Killer, Boxen-Luder… .

Das Blatt produziert nichts Neues. Es schürft täglich tief – mit Können, Akribie und ständig größerer Erfahrung – im Gefühlshaushalt der deutschen Nation, um ihn im eigenen Interesse zu plündern. Da es täglich mit Verve ein jeweils anderes ’schlummerndes‘ Ressentiment an die Oberfläche zerrt, in penibelsten und peinlichsten Details ausstellt, in Worte gießt, radikalisiert, Primitivitäten in Sprache und Inhalt pflegt und hegt, nimmt es Einfluss auf das, was als Normalität gilt. BILD liefert das jeweils Andere den Normalen zur Schadenfreude, zur Verachtung aus, um diese stark und sicher zu machen: Nein, so sind wir nicht.

Und die Eliten spielen mit. Das Blatt sitzt am Stammtisch und am Kabinettstisch. Der ehemalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder adelte das Blatt. Kai Diekmann wurde 2004 vom damaligen Papst Johannes Paul II. in Privataudienz empfangen und überreichte ihm die „Bild“-Volksbibel. Mitarbeiter des Blattes verlassen es nur, um bei anderen Medien Chefredakteur zu werden oder bei Regierungen und bedeutenden Verbänden, auch Gewerkschaften, führende PR-Positionen einzunehmen.

Wir stecken in einem Umbruch der massenmedialen Kommunikation. Viele der bisherigen Grenzen werden gesprengt: zwischen privat und öffentlich, zwischen Fakten und Fiktionen, zwischen Journalismus und anderen Arten öffentlicher Kommunikation wie Unterhaltung, Werbung, Öffentlichkeitsarbeit. Mit diesen Grenzverschiebungen müssen sich alle auseinandersetzen, die ein Interesse an der Qualität von Öffentlichkeit haben.

„Wenn das Journalismus ist, dann gehört James Bond in die Rubrik Dokumentarfilm“ haben wir in der Studie über „Die ‚Bild‘-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010“ geschrieben. Eine Debatte über Alleinstellungsmerkmale des Journalismus – und warum „Bild“ sie nicht erfüllt – ist überfällig.

Wolfgang Storz[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]