Kann man gegen Endlager, aber für AKWs sein?
… titelte im Mai 2017 die Schweizer Boulevard-Zeitung „Blick“ zum Thema „Suche nach einem Atommüllendlager“ nach der Volksabstimmung zur „Energiestrategie 2050“, bei der das Schweizer Stimmvolk mit deutlicher Mehrheit für das Verbot von neuen Atomkraftwerken (bei Weiterbetrieb der bestehenden Kraftwerke ohne jegliche zeitliche Befristung) gestimmt hat.
Der Weiterbetrieb der Kraftwerke wird weiterhin Atommüll produzieren, der irgendwo gelagert werden muss. Obwohl sich die im Rahmen der Standortsuche für so ein Lager betroffenen Gemeinden wehren, hat die Bevölkerung dieser Gemeinden mehrheitlich für die Energiestrategie 2050 gestimmt. Opposition gegen Endlager-Pläne und eine positive Haltung gegenüber AKWs schließen sich offenbar nicht aus. Vorausgegangen war im November 2016 eine Volksabstimmung über den sofortigen Atomausstieg, die mit einer deutlichen Mehrheit abgelehnt wurde.
Mögliche Standorte für Tiefenlager
Auf Grundlage der Volksabstimmung zur Schweizer Energiestrategie 2050 hat die Nagra (technisches Kompetenzzentrum der Schweiz für die Entsorgung radioaktiver Abfälle in geologischen Tieflagern) vor dem Hintergrund einer möglicherweise geologisch geeigneten Gesteinsschicht folgende Standorte für Tiefenlager der Schweizer Regierung (Bundesrat) zur weiteren Prüfung vorgeschlagen:
1. Jura Ost (Kanton Aargau)
2. Jura Südfuss (Kantone Solothurn und Aargau)
3. Wellenberg (Kanton Nidwalden)
4. Südranden (Kanton Schaffhausen)
5. Zürich Nordost (Grenzgebiet zwischen Kantone Zürich, Thurgau und Schaffhausen)
6. Nördlich Lägern (Kanton Zürich)
Die seit annähernd 40 Jahren geführte Diskussion um die Suche nach einem geeigneten Standort für Atommüll hat durch die Volksabstimmungen deutlich an Schärfe zugenommen. Die Nagra ließ sich überzeugen, dass die Standorte Wellenberg, Jura-Südfuss und Südranden aus unterschiedlichen Gründen (sicherlich vor allem aufgrund des Widerstands der dortigen Bevölkerung) zurückgestellt werden. Den Standort Nördlich Lägern will sie eigentlich auch zurückstellen, hat dort aber geologische Untersuchungen beantragt. Von der Nagra bevorzugte Standorte sind aber vor allem Jura-Ost und Zürich Nordost (Gemarkungen Dachsen, Laufen, Marthalen, Rheinau, Trüllikon, Uhrwiesen).
Was ist nun passiert?
Nach einer intensiven Prüfung der eingereichten Bohrungsgesuche hat das eidgenössische Umweltdepartement (Uvek) im Zuständigkeitsbereich der Aargauer Bundesrätin Doris Leuthard (Christliche Volkspartei CVP) kürzlich Tiefenbohrungen an diesen Standorten bewilligt:
1. Jura Ost (Kanton Aargau)
2. Zürich Nordost (Trüllikon und Marthalen, Grenzgebiet zwischen Kantone Zürich, Thurgau und Schaffhausen)
3. Nördlich Lägern (Bülach, Kanton Zürich)
Positive Ergebnisse schwer „wegzudiskutieren“
Auch wenn mit diesen Bohrungen Klarheit darüber geschaffen werden soll, ob diese Standorte wirklich geologisch geeignet sind, so wird es sehr schwierig werden, bei möglichen positiven Ergebnissen gegen diese Standorte weiterhin Widerstand zu leisten.
Die Möglichkeit, eine Beschwerde gegen die Bewilligungen einzureichen, will keine der betroffenen Gemeinden wahrnehmen. SVP-Stadt- und Gemeinderäte machen sich in den betroffenen Gemeinden eher Sorgen über die notwendigen Verkehrsumleitungen als um die möglichen langfristigen Folgen der Bohrungs-Ergebnisse. Auf deutscher Seite dürfen wir uns nichts vormachen. Auch wenn es sich nur um Bewilligungen für Sonderbohrungen handelt, rückt ein Atommüllendlager an der deutsch-Schweizer Grenze näher.
Ich bin in Niedersachsen groß geworden. Jedes Kind dort weiß, was Gorleben bedeutet. Hoch radioaktive Abfälle so tief wie möglich zu „vergraben“ anstatt diese oberflächen- und kaftwerksnah mit schnellen Reaktionsmöglichkeiten zu lagern, ist mit Blick auf das Wohl nachfolgender Generationen unverantwortlich. Das Beispiel zeigt darüber hinaus, dass die Kraftwerksbetreiber externe Kosten einfach vergesellschaften, während sie seit Ende der 60iger Jahren dicke Gewinne realisiert haben.
BürgermeisterInnen, Landräte, Landtags- und Bundestagsabgeordnete entlang der Grenze müssen den Druck auf die Schweizer Regierung erhöhen, damit deutsche Interessen und Bedenken stärker berücksichtigt werden (wie auch bei anderen Themen wie beispielsweise dem neuen Betriebskonzept des Flughafens Zürich).
Insgesamt zeigt das Thema für mich auch, dass wir ein europäisches Ausstiegsszenario brauchen, in dem die Schweiz fester Bestandteil ist. Europaweit keine neuen Kraftwerke, klare Abschaltfristen, nachhaltiges Entsorgungskonzept. Bedenken wir, dass die alten Schweizer Kraftwerke sowie die Schrott-Kraftwerke Frankreichs und Belgiens auch deutsche Grenzgebiete bei gefährlichen Störfällen im Worst-Case unbewohnbar machen können, ist eine europäische Lösung dringend geboten.
Atomausstieg in Deutschland schön und gut. Wir haben es noch nicht geschafft, diese risikoreiche Energieerzeugung für immer zu verbannen. Wir müssen jetzt dran bleiben und klare Kante zeigen.
Martin Schmeding
(Der Autor ist Mitglied des Kreisvorstandes von Bündnis 90/Die Grünen und war 2017 Bundestagskandidat der Grünen im Wahlkreis Konstanz.)