Kaum jemand will zum Papst – Till Seiler auch nicht

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Papst im Panoptikum Hamburg, Foto: E. Frerk

Ein „Staatsbesuch XXL“ soll es werden. „Soll“ ist richtig, denn der finanzielle und mediale Aufwand der Kirche ist gewaltig und der des Staates nicht weniger. Aber das Interesse der Gläubigen und der Bevölkerung hält sich in Grenzen. Das gilt auch für Till Seiler. Der Konstanzer Bundestagsabgeordnete der Grünen erklärt, warum er während der Papst-Rede am 22. September nicht im Bundestag sein wird… Im großen Bogen der Themen gehen Kleinigkeiten und Fragen manchmal verloren. Zum Beispiel: Wie kann jemand einen Staatsbesuch antreten, zu dessen Staat die Bundesrepublik Deutschland keine diplomatischen Beziehungen unterhält? Der deutsche Boschafter ist beim „Heiligen Stuhl“ akkreditiert und nicht beim Vatikanstaat der Vatikanstadt, den es diplomatisch gar nicht gibt. Wie der diplomatische Vertreter des Papstes in Berlin, Erzbischof Jean-Claude Perisset, bestätigte, sei die Anerkennung des Papstes als Völkerrechtssubjekt ein „Geschenk der Geschichte“. Dann ist es korrekt, dass dieses Völkerrechtssubjekt, der seinem Gemeinwesen als absoluter Herrscher vorsteht, damit sagt: „Ich bin der Staat“. Also doch der „Staatsbesuch“ eines Fleisch gewordenen Staates?

Der Papst trifft nur auf Sünder

Das mögen protokollarische Kleinigkeiten oder vernachlässigenswerte Feinheiten sein, aber was für einen Staat besucht der Amtsinhaber des „Heiligen Stuhls“? Als erstes wird er von Bundespräsident Christian Wulff begrüßt, ein bekanntlich gläubiger Katholik, der nach seiner Scheidung nach deutschem Recht zum zweiten Mal verheiratet ist. In der moralischen Autorität des katholischen Religionsführers ist er jedoch ein Ehebrecher, der in einem Konkubinat lebt und anscheinend kein Problem damit hat, seine Konkubine (früher auch Kebse oder Maitresse genannt) zur Begrüßung mitzubringen. Die „Kegel“ (das sind nach katholischer Lehrmeinung die unehelichen Kinder) wird er aber wohl zu Hause lassen.

Am frühen Abend wird der Papst dann auf einen katholischen Regierenden Bürgermeister (im Rang eines Ministerpräsidenten) treffen, der aus seinem Schwulsein kein Versteckspiel macht. Auch jemand aus einer anderen katholischen Welt, der sich nicht der katholischen Lehrautorität unterwirft. Was für eine moralische Autorität hat dieser Papst Benedikt XVI., wenn er, bereits am Beispiel dieser beiden katholischen Politiker, noch nicht einmal in seiner eigenen Religionsgemeinschaft als moralische Autorität anerkannt wird? Was will also dieser Mensch, dessen Autorität anscheinend ‚für die Katz’ ist, Evangelischen und Nicht-Religiösen überhaupt noch sagen können?

Benedikt und die kirchliche Realität

Eine große Erwartung wird von manchen evangelischen Kirchenfunktionären geäußert, dass Benedikt XVI. einen wesentlichen Beitrag zum Miteinander von katholischer und evangelischer Kirche sagen möge. Es ist beinahe wie ein Betteln, dass der Papst die evangelische Kirche als „Kirche“ anerkenne möge, was er bisher explizit abgelehnt hat. Die Theologin und Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, die den Papst als „moralische Autorität“ schätzt und alle anderen erwatungsfrohen evangelischen Theologen sind anscheinend keine selbstbewussten Lutheraner mehr, denn für Herrn Dr. Martin Luther war der Papst nicht nur der „Anti-Christ“, sondern noch einiges andere mehr, was heute zu schreiben üble Beleidigungen wären.

Der Berliner Landesbischof Markus Dröge mag den „Berliner Papst-Rummel“ zwar nicht, erwartet aber die Anerkennung, „dass der Papst die Gewissensfreiheit und die Bibelfrömmigkeit als Errungenschaften der Reformation würdigt“. Solche Erwartungen der übermenschlichen Selbstverleugnung des Papstes hat auch die Präses der Synode der EKD, Katrin Göring-Eckardt, die meinte „Benedikt kann an der Realität nicht vorbeigehen.“ Frage: Was macht denn dieser Mensch seit Jahren anderes?

Die einzige grundsätzliche evangelische Kritik an der katholischen Kirche kam von dem Chefredakteur von Chrismon, dem ehemaligen Katholiken und gebürtigen Konstanzer Arnd Brummer, der in einer Titelgeschichte „…und tschüss!“ und in einem Videoblog seine Konversion zum evangelischen Glauben beschreibt. Ausführlich vertieft er es in seinem Buch „Unter Ketzern“. Auslösendes Erlebnis seiner Abwendung vom katholischen Glauben war eine Predigt des damaligen Kurienkardinals Joseph Ratzingers, dem heutigen Papst. Eine Katholische Reaktion „Ökumenisches Störfeuer“ war entsprechend diffamierend und mutmaßte, Brummer „knabbere wohl am Verlust seiner Kindheit“. Erzbischof Zollitsch kündigte an, er werde darüber mit den Verantwortlichen des Magazins Chrismon reden. Von wegen Anerkennung von Gewissensfreiheit.

Religion statt Politik

Von solchen Vorbehalten sind andere Christliche aber anscheinend ungetrübt, denn die nun nicht gänzlich unwichtige Abstimmung im Bundestag über den Euro-Rettungsschirm im Bundestag wird offenbar um eine Woche verschoben. Begründung dafür ist nicht die unsichere Kanzlerinnenmehrheit, sondern: „Viele Abgeordnete und die Kanzlerin wollen die Papstmesse in Erfurt besuchen.“ Auch in Traunstein, dem Ort der Kindheit und der Jugend des Papstes, ist man ganz aus dem Häuschen: Nach der Ehrenbürgerschaft (2006), dem Benedikt-Radweg, einer Benediktglocke und einer Büste vor der Stadtpfarrkirche (2007) wurde nun die Fläche vor dem Landratsamt in Papst-Benedikt XVI.-Platz umbenannt. Von dem Ring, der für den Papst geschmiedet wurde, ganz zu schweigen. Die Gebirgsschützenkompanie feuerte einen Ehrensalut.

Auch Till Seiler lauscht dem Papst nicht
Sehr geehrte Damen und Herren; bei der Rede des Papstes am 22. September 2011 im Deutschen Bundestag werde ich nicht anwesend sein. Stattdessen unterstütze ich die Demonstration des Berliner Bündnisses „Der Papst kommt“, das mit seinen politischen Aktionen rund um den Besuch des Papstes auf Themen wie die Gleichstellung der Geschlechter, sexuelle Selbstbestimmung und die Zulassung von Verhütungsmitteln durch die katholische Kirche aufmerksam machen will. Zudem unterstütze ich das Bündnis „Freiburg ohne Papst“, das sich gegen die Eintragung des Papstes in das Goldene Buch der Stadt Freiburg ausspricht. Der Papst ist nicht nur Staatsoberhaupt, sondern in allererster Linie Religionsführer. Damit ist auch die Frage der Gleichbehandlung der Religionen und Weltanschauungen berührt, wenn ein Religionsführer exklusives Rederecht im Bundestagsplenum erhält Meine Kritik richtet sich dementsprechend nicht gegen die religiösen Termine im Rahmen der Deutschlandreise des Papstes, sondern gegen die politischen Termine, die der Papst während dieser Reise wahrnehmen wird.In der Vergangenheit hat Joseph Ratzinger leider immer wieder persönlich Aussagen getätigt, die es mir erschweren, ihn als Menschen wahrzunehmen, für den die Menschenrechte, Demokratie und eine tolerante Gesellschaft wichtige Anliegen darstellen. Dabei haben mich vor allem die Wiederannäherung des Heiligen Stuhls an die Pius-Bruderschaft mit dem Holocaustleugner Richard Williamson und die Aufhebung des Verbots der veralteten antisemitischen Fassung der Karfreitagsfürbitte irritiert. Die Kritik an diesen konkreten Schritten des Papstes und des von ihm propagierten reaktionären Gesellschaftsbildes wird von vielen Katholikinnen und Katholiken geteilt. Ich setze mich für ein offenes und tolerantes Miteinander ein – sei es im Hinblick auf interreligiösen Dialog oder die Durchsetzung der Rechte von Frauen sowie Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen. Säkularismus und religiöser Pluralismus sind wichtige Fundamente Grüner Grundwerte. Deshalb möchte ich einen Dialog innerhalb und zwischen Religionsgemeinschaften bestärken, der von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet ist und im Rahmen einer Anerkennung der Menschenrechte stattfindet. Mit freundlichen Grüßen, Till Seiler, MdB

Bundeskanzlerin Merkel findet die Sympathie des Regierenden Bürgermeisters Wowereit für die Papst-Proteste in der Stadt „erstaunlich“. Sie persönlich jedoch freut sich auf diesen Besuch. Manches aber sei, so Kardinal Paul Joseph Cordes, ungeheuerlich; „Politiker maßen sich sogar – unter Missbrauch ihrer parlamentarischen Legitimation – Weisungen für das kirchliche Amt an.“ Das ging zwar primär gegen die Bundeskanzlerin, die es seinerzeit gewagt hatte, den Papst zu kritisieren, aber in das gleiche Horn stieß auch der Hessische Minister für Bundesangelegenheiten und Bevollmächtigter des Landes beim Bund, Michael Boddenberg, der forderte, die Warnung des Papstes vor einer „Gottesfinsternis“ ernst zu nehmen. Diese bevorstehenden Papstfeierlichkeiten können sich alle Interessierten selber ansehen, denn ARD und ZDF werden sich „brüderlich“ komplett in der Live-Berichterstattung von allen Stationen und Feldgottesdiensten abwechseln.

Wohin mit all den Gläubigen?

Das war im Dezember 2010 noch die bange Frage der Badischen Zeitung: „Wohin nur mit all den Gläubigen?“ Von „Heerscharen von Gläubigen“ war die Schreibe, und „Experten rechnen mit 300.000 plus x“. Aus diesen großen Erwartungen ist man für das Flugfeld in Freiburg mittlerweile auf erwartete 100.000 Besucher herunter und ob die erreicht werden, das ist sehr die Frage. Denn wenn es einerseits auch heißt, das mittlerweile – für alle Veranstaltungsorte zusammen – rund 250.000 Anmeldungen vorliegen würden, so hieß es noch vor kurzem: „Noch Zehntausende Tickets für Papstbesuch zu haben.“ Trotz des Einsatzes von vielen Großplakaten mit dem lächelnden Benedikt und dem Text: „Mitfeiern. Miterleben. Jetzt anmelden!“ sind noch nicht einmal 50 Prozent der möglichen Kapazitäten belegt. Und so groß 250.000 auch klingen mag, das sind gerade – obwohl deutschlandweit in allen Bistümern mobilisiert wird – nur gerade ein Prozent der deutschen Katholiken. Da hilft es auch nicht, dass die Nachfrage aus der Seelsorgeeinheit Blumberg angeblich groß sei, wenn sich von den rund 6.000 Katholiken nur 31 Gläubige zur Fahrt nach Freiburg anmelden. Ebenso gibt es nur wenige Anmeldungen aus dem Ausland. Anfang September waren es deutschlandweit 1.467 Polen, 810 Schweizer und 505 Österreicher.

Wenig Interesse am Papstbesuch

Auch die Begeisterung der Deutschen für einen Papstbesuch hält sich in Grenzen. Nach einer Umfrage der dpa von Mitte August sind es nur 31 Prozent, die den Papstbesuch gut finden, acht Prozent finden ihn schlecht und rund 60 Prozent ist er egal. Auch nur 49 Prozent der Katholiken finden den Papstbesuch gut, ebenso wie 30 Prozent der Protestanten. Das ist nicht viel. Ganz im Gegensatz dazu heißt es: Freude über den Papstbesuch. So überschrieb die Konrad-Adenauer-Stiftung die Ergebnisse einer repräsentativen empirischen Studie, die in ihrem Auftrag durchgeführt worden war. Hohe Prozentwerte an Zustimmung, Freude und Wichtigkeit werden genannt: So hätten 63 Prozent eine Wertschätzung des Papstes genannt.

Die Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung selbst verdeutlicht dann, wie solche gewünschten Ergebnisse zustande kommen. So heißt es: „Bereits einen Monat vor dem Besuch ist die Resonanz erheblich: 69 Prozent haben schon davon gehört oder darüber gelesen.“ Dazu ist ein Diagramm abgebildet, aus dem die Unterteilungen deutlich werden. 29 Prozent haben noch gar nichts vom Papstbesuch gehört oder gelesen, 18 Prozent haben viel davon gehört oder gelesen. Die größte Gruppe von 51 Prozent der Befragten, die „etwas“ (das ist „ein bisschen“ bis „ein wenig“) gelesen oder gehört haben, wird nun der „erheblichen Resonanz“ zugeordnet. So kann man sich die Realität auch zurecht biegen.

Dass es um Größeres geht, verdeutlichen einige Zahlen:

Papstmesse im Olympiastadion Berlin in Zahlen

• 70.000 Gottesdienstbesucher

• 84 Kardinäle und Bischöfe, davon 16 Konzelebranten

• 600 Priester für die Kommunionsausteilung

• 600 Hostienschalen • 80.000 Hostien

• 1.500 Ministranten, davon 8 Ministranten im Altardienst

• 750 Sängerinnen und Sänger

• 4 LED-Wände, 2 in der West- und 2 vor der Ostkurve

• 900 Mitarbeiter von B.E.S.T. Sicherheitsdienst des Olympiastadions

• 300 Sanitäter des Malteser Hilfsdienstes, die auch die 400 Rollstuhlfahrer betreuen

Die Altarinsel: 250qm groß, inspiriert vom Logo des Papstbesuchs, im Gerüstbau, also rückbaubar. Die „Möblierung“ wird weiter verwendet, mit Ausnahme des Papstthrones (!). Das Kreuz besteht aus Trägerpfeiler, der mit Dekostoff umhüllt ist. Während der Messe sind darauf 30 Personen: Neben dem Papst 8 Ministranten, 16 Konzelebranten, 2 Diakone, 2 Zeremoniare, Begleitung des Papstes, u.a. auch ein Arzt. Im Innenfeld: Plätze für Ehrengäste, 10.000 Plätze nicht überdacht, dafür liegen 10.000 Regencapes bereit. Fernsehen: Live Übertragung in der ARD durch den rbb mit 16 Kamera-Positionen, 150 Mitwirkende, 10 km Kabel, 17 Aufsagerpositionen für weitere Fernsehsender. Zeitplan: Mo, 12.9. September Beginn Aufbau / Sa. 17.9.: Unterbrechung wegen des Fußballspiels Hertha – Augsburg / ab Sa. 17.9., 24:00 Uhr „Heiße“ Aufbauphase bis Di. 20.9.abends / Mi. 21.9. Proben / Do. 22.9. Sicherheitsüberprüfung.

Kosten: 3,5 Mio. € sind im Nachtragshaushalt des Erzbistums Berlin eingeplant. Davon entfallen auf • Altar: 400.000 € • Beschallung: 400.000 € • Licht: 400.000 € • Ticketing VBB-Möglichkeit, ÖPNV zu nutzen: 80.000 € • Abdeckung Rasen: 170.000 € • ggf. kaputten Rasen ersetzen 100.000 € • Bauten, Podeste (u.a. für Rollstuhlplätze): 150.000 € • Extra Stromversorgung für Fernseh-Übertragung 50.000 €

Erfurt und Etzelsbach

Die Altarbühnen in Erfurt und im Eichsfeld werden mit ihren Aufbauten und Hintergründen eine Höhe von 18 bzw. 16 Metern erreichen. • Erfurt: Bühne wird 18 Meter hoch, 25 Meter breit und 17 Meter tief. • Ertzelsbach: Bühne wird 15,5 Meter och, 22 Meter breit und 14 Meter tief. • Das Gesamtgewicht beider Bühnen beträgt jeweils 120 Tonnen. • Das Bühnenequipment wird mit jeweils 13 LKWs abgeliefert. • 400 Ministranten werden an der Messe in Erfurt teilnehmen

Freiburg

• Die Altarinsel wird 20 m hoch

• Die Fläche der Bühne beträgt 2200 Quadratmeter

• 200 Tonnen Stahl werden dafür verbaut.

• Die Altarinsel wird drei Ebenen haben.

• Kostenpunkt rund eine Million.

• 200 Mitzelebranten und Ministranten werden die Bühne bevölkern.

 

Autor: Carsten Frerk/hpd

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