Keine Auszeit für Litzelstetten
„Im Loh“ – kaum jemand in Litzelstetten kann diese zwei Worte noch hören, am Ende hat es genervt, ein monatelanges Ringen um Seeblick oder um Bebauung, um Grünfläche oder Flüchtlingsunterbringung, um Vermittlungsausschuss oder übergangenen Ortschaftsrat. Nun hat der Gemeinderat einen Beschluss gefasst, der politische Prozess scheint abgeschlossen – und endlich kommt ein Dorf wieder zur Ruhe, dem eigentlich keine Auszeit vergönnt ist.
Nicht nur, dass vor lauter „Vordere Lohäcker“ in Vergessenheit geriet, dass Litzelstetten einen neuen Ortsvorsteher braucht. Es geht um wirklich wichtige Themen, die schon seit Jahren auf der Agenda stehen, aber immer wieder gern verschoben werden. Nicht alles, was man länger im Backofen hält, wird schlussendlich auch besser. Daher drängt die Zeit bei manchen Themen, ehe sie schon bald anbrennen dürften. Denn auch, wenn es kaum jemand glauben mag: Das Professorendorf voller Wohlstand, Zweitwohnungen und Mainaublick ist keinesfalls nur mit Luxusproblemen geplagt.
Einwohnerschwund?
Der Ortschaftsrat war vor einiger Zeit hellhörig geworden, als die Statistiken der Stadtverwaltung auf dem Tisch lagen. Litzelstetten würde sich danach in den nächsten Jahrzehnten zur Ortschaft mit dem größten Anteil an Hochbetagten innerhalb der Stadt entwickeln. Und der Demografische Wandel sieht weitere Tendenzen: Entgegen vieler anderer Stadtteile würde Litzelstetten an Einwohnern verlieren. Schon heute ist die Abnahme bei den Bevölkerungszahlen erkennbar. Doch wie soll derartigen Entwicklungen begegnet werden? Sie als Gott gegeben hinnehmen? Sich auf sie einstellen? Oder ihnen gar entgegenwirken?
Im Moment dürfte keine der Möglichkeiten zutreffen, denn das Problem scheint nicht nur in der Politik ausgeblendet. Auch bei den Litzelstettern ist das Bewusstsein für diese Perspektiven kaum gegeben. „Zu weit weg“, „Kann man ohnehin nicht ändern“ oder auch „Da lebe ich schon lange nicht mehr“. Die typischen Antworten offenbaren eine Herausforderung, die im Großen wie im Kleinen zu beobachten ist: Länger als bis zur nächsten Wahl möchte niemand denken, wohl auch nicht der Bürger.
Überalterung?
Dabei könnte man sicherlich intervenieren: Die Prognose auf so viele Menschen im Alter von 80 plus muss wachrütteln. Nicht, weil wir uns vor dieser Aussicht fürchten müssten. Sondern weil wir in der Verantwortung stehen, ihnen ein Leben in Würde zu schenken. Und das ist gerade in ländlich geprägten Gebieten mit dem Wunsch verbunden, in der wohnortnahen Umgebung bleiben zu können. Dezentrale Pflegeplätze als eine Option werden auch in der Stadt diskutiert. Die Umsetzung ist schwierig, die Meinung über solche Maßnahmen auch aus fachkundiger Sicht ziemlich verschieden. Und doch sollte man darüber ins Gespräch kommen. „Pflege-WGs“, „Betreutes Wohnen“ und generationenübergreifende Wohnformen – wir werden nicht um solche Lösungen herumkommen, denn mit ambulanter Pflege wird es bei den Berechnungen der Alterspyramide keinesfalls bleiben können.
An verschiedenen Orten hat man von Seiten der Stadt bereits Konzepte im Hinterkopf – einen Vorwurf des Ortschaftsrates muss man der Verwaltung dabei jedoch tatsächlich machen: Transparenz scheint nicht ihre Stärke. Denn Dorfentwicklung ist nichts, was hinter verschlossenen Türen geschehen kann – und da hilft es auch nicht, eine Bürgerbeteiligung für eine Ortsmitte abzuhalten, um später eine völlig neue Planung aus dem Hut zu zaubern, und dann zu hoffen, dass die Einwohner für die nächsten Jahre hoffentlich auch wieder schweigen.
Standortfaktor?
„Bauen“ ist stadtweit das entscheidende Thema. Zahlreiche Baugebiete sind auch hier mittlerweile ausgewiesen. Doch was nutzen Häuser und Wohnungen, die hinterher niemand bezahlen kann? Die Furcht vor einer weiteren sozialen Verschiebung des hiesigen Ortsteils ist omnipräsent. Was in der Kernstadt gleichfalls zu Verärgerung führt, könnte für ein Dorf tatsächlich von existenzieller Bedeutung werden. Wohnraum, der nur saisonweise und – damit unzureichend – genutzt wird und dem die Stadtverwaltung trotz Zweckentfremdungsverbot nicht selten völlig machtlos gegenübersteht, führt auch zu einer aussterbenden Infrastruktur.
Wie können wir dazu beitragen, dass die Durchmischung an Einwohnern erhalten bleibt? Nicht nur in Sachen des Alters, sondern auch des Einkommens, der Herkunft oder des Standes? Wie können wir Neubürgern eine Willkommenskultur bieten, die dabei hilft, sich in der doch oftmals eigenwilligen Atmosphäre eines eingesessenen Dorfes zurechtzufinden? Wie fördern wir Nachbarschaften, die gerade unter dem Eindruck einer rückläufigen Nahversorgung so wichtig sind, wenn es wieder von Bedeutung wird, ab und zu sorgend auf den Menschen im Haus nebenan zu schauen? Und wie erhöhen wir gleichzeitig den Standortfaktor, wie machen wir eine Ortschaft attraktiv, bei der wir das „Rad der Zeit“ nicht völlig werden aufhalten können und von der wir wissen, dass es Überzeugungsarbeit braucht, um Geschäfte, Dienstleister, das Sozial- und Gesundheitswesen, Kleinunternehmer und öffentliche Strukturen auch weiterhin bei der Stange zu halten?
Litzelstetten mag sich zwar ausruhen von anstrengenden Wochen, aber es sollte wach bleiben, denn die Gefahren des Schlaf-Dorfes türmen sich schon jetzt am Horizont.
Dennis Riehle