Keine Chance auf Ethikunterricht an unseren Schulen?
Das Recht auf staatlich garantierten Religionsunterricht steht im Grundgesetz, ein Recht auf Ethikunterricht lässt sich nirgends herleiten. Die Verfassung will Atheisten diskriminieren. So urteilte unlängst das Verwaltungsgericht Freiburg. Es wies die Klage einer konfessionsfreien Mutter ab. Sie hatte eine ethisch-moralische Bildung für ihre nichtreligiösen Kinder als verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch gesehen. Dem erteilten die Richter eine klare Absage.
Die Klägerin hatte Anfang Februar 2011 vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg die Einrichtung eines Ethikunterrichts für ihre zwei Söhne, die damals die Klasse 2 und 4 an einer Freiburger Grundschule besuchten, verlangt. Am Religionsunterricht nahmen die Kinder nicht teil. Zeitweise war eine Philosophie-AG an der Schule eingerichtet worden, für den die Eltern der Teilnehmer einen Betrag von 120 Euro (!) pro Schuljahr bezahlen mussten.
Die Klägerin war hingegen der Auffassung, dass für einen Ethikunterricht zur ethisch-moralischen Bildung ihrer Kinder ein verfassungsrechtlicher Anspruch existiert. Dieser müsste im Verhältnis zum Religionsunterricht in gleichberechtigter Weise für Kinder konfessionsfreier Eltern gewährleistet werden, damit die Heranwachsenden pädagogisch nicht benachteiligt werden. Das Ministerium lehnte die Forderung ab. Mitte April wurde dagegen Klage beim Verwaltungsgericht Freiburg eingereicht.
Das Grundgesetz will den Religionsunterricht
Die Auffassung der klagenden Mutter: Ein Anspruch auf den gleichberechtigten Ethikunterricht an der Grundschule ergibt sich aus dem im Grundgesetz festgeschriebenen Gleichbehandlungsgrundsatz und dem dort ebenfalls festgelegten Grundsatz staatlicher Neutralität. Ansonsten werde konfessionsfreien Schülern ein Werte und Normen vermittelnder Unterricht vorenthalten, was diese ohne sachliche Gründe benachteiligt. Verwiesen wurde auch darauf, dass mehr als die Hälfte der Schüler an der betreffenden Grundschule keiner der traditionellen Konfessionen angehören. Und wenigstens müssten die Kosten für die Philosophie-AG ebenso vom Land getragen werden, wie auch der Religionsunterricht aus der Staatskasse bezahlt wird. Das Gericht erklärte, für den Anspruch der Mutter gibt es keine rechtliche Grundlage. Die Verfassung will die Privilegierung religiöser Unterweisung.
Ein Ethikunterricht an Grundschulen ist im Schulgesetz Baden-Württembergs nicht vorgesehen, so das Gericht in der Begründung zunächst, und lasse sich auch nirgends herleiten. Ethikunterricht ist zwar gemäß der Verordnung des Kultusministeriums ab Klasse 7 an Gymnasien und ab Klasse 8 an Haupt- und Realschulen vorgesehen. Das sei sachlich damit begründet, dass die Schüler in diesen Klassenstufen in das religionsmündige Alter kommen und die Entscheidung zwischen Religions- und Ethikunterricht selbst treffen können.
„Ethik ist für Grundschüler zu kompliziert“
Vorher werde, so meinten die Richter, die „moralisch-ethische Orientierung fächerübergreifend geleistet“ und sie verwiesen unter anderem auf den Geschichts-, Biologie- und Deutschunterricht. „Hinzu kommt, dass ethische Werte und Grundsätze auch im Rahmen des sozialen Miteinanders innerhalb des Klassenverbands vermittelt werden.“ Ferner meinten die Richter: „Abstrakte Diskussionen über ethische Problemfelder wären für Grundschüler nur schwer verständlich und erweisen sich daher erst ab einer höheren Altersstufe als sinnvoll.“
Auch der Religionsunterricht an Grundschulen, so das Gericht, diene „nicht etwa gezielt der Erörterung ethischer Fragen (…), sondern schwerpunktmäßig der Vermittlung einer umfassenderen religiösen Grundorientierung auf einer für Grundschulkinder zugänglichen, emotional-persönlichen Ebene.“
Die Richterinnen und Richter stellten deshalb noch einmal fest: Artikel 7 des Grundgesetzes schreibt für die Religionsgemeinschaften einen Anspruch auf einen ihren Glaubensinhalten entsprechenden Religionsunterrichts fest. „Gegenstand des Religionsunterrichts ist der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln, ist seine Aufgabe.“ Für Erziehungsberechtigte, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, sei daraus kein Anspruch auf einen Ethikuntericht für ihre die Grundschule besuchenden Kinder geltend zu machen.
Zwischenbilanz: Während die Glaubenssätze des Katechismus der katholischen Kirche als bestehende Wahrheiten sogar nichtreligionsmündigen Kindern an Grundschulen als „bestehende Wahrheiten“ vermittelt werden sollen, haben Eltern von Kindern an Grundschulen aber keinen Anspruch auf einen alternativen Unterricht, der statt solcher Glaubenssätze eine philosophisch begründete und angesichts wissenschaftlich begründeter Fakten vertretbare Pädagogik zur Vermittlung bzw. Werte- und Normbildung möglich macht. Das Urteil meinte, dass es dafür keine Anspruchsgrundlage gibt und die möglichen Themen ohnehin zu kompliziert für die Heranwachsenden wären.
Das Gericht bemerkte ferner, dass konfessionell nicht gebundene Eltern durchaus benachteiligt werden, weil sie die moralisch-ethische Erziehung ihrer Kinder vollständig selbst zu gewährleisten haben, während konfessionsgebundenen Eltern diese Aufgabe teilweise durch den Religionsunterricht abgenommen wird.
Ungleichbehandlung ist rechtens
Ein zu einem Leistungsanspruch führender Gleichheitsverstoß liege darin aber aus mehreren Gründen nicht. Zur Begründung stellte das Gericht zunächst infrage, dass die unterschiedliche Behandlung „überhaupt an das Merkmal des Glaubens bzw. der Weltanschauung anknüpft“ und wies darauf hin, dass die Teilnahme der Grundschulkinder nicht von ihrer religiösen oder weltanschaulichen Orientierung, sondern der Entscheidung der Erziehungsberechtigten abhängt.
So komme es vor, dass konfessionell gebundene Eltern ihre Kinder vom Religionsunterricht abmelden und konfessionsfreie Eltern ihre Kinder zum Religionsunterricht anmelden. In Betracht käme „allenfalls“ ein mittelbare Diskriminierung. Die gerügte Ungleichbehandlung sei jedenfalls mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Weltanschauung der Mutter bezeichnete das Gericht als „antireligiös“ und meinte, selbst wenn man von einer Benachteiligung aufgrund dieser ausginge, sei das durch die Verfassung gerechtfertigt und verwies nochmals auf Artikel 7 des Grundgesetzes: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.“
Betont wurde schließlich erneut, dass die Verfassung der Bundesrepublik die Religiosität als positives Element wahrnimmt und ihr deshalb im Staat einen Raum zur Entfaltung einräumt. Schon daher kann die Bevorzugung religiöser vor nichtreligiösen Elementen verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden, hieß es.
Klägerin will in Berufung gehen
Fazit: Die Diskriminierung von Atheisten-Eltern und ihren Kindern ist zu akzeptieren. Die deutsche Verfassung und Baden-Württembergs Gesetze schützen nicht nur die staatlich finanzierte Lehre von Aberglauben und erwiesenen Unwahrheiten in öffentlichen Grundschulen, sie bieten konfessionsfreien und nichtreligiösen Menschen auch keinerlei Anspruchsgrundlage für alternative Unterrichtsangebote ohne unhaltbare Legenden und heikle Hirngespinste.
Der weitere Fortgang des Verfahrens ist nun erst einmal offen, das Urteil noch nicht rechtskräftig. Die Berufungsfrist läuft bis 19. November 2011. Die Klägerin erklärte, vor dem Verwaltungsgerichtshof in Baden-Württemberg in Berufung gehen zu wollen, da das Verwaltungsgericht Freiburg ihrer Meinung nach „entscheidende Grundfragen“ nicht angemessen berücksichtigt habe. Der weitere Fortgang des Prozesses sei jedenfalls nicht von ihrem persönlichen Willen abhängig. Es komme darauf an, ob sie dafür die notwendige finanzielle Unterstützung erhalten wird. Dazu wäre zunächst ein vierstelliger Betrag erforderlich.
Autor: Arik Platzek/hpd