Krieg in der Ukraine: Sind noch mehr Waffen die Lösung?
Seit dem völkerrechtswidrigen Vernichtungskrieg von Putin in der Ukraine wird heftig über weitere Waffenlieferungen gestritten. Auch auf seemoz waren mehrere Kommentare zu lesen, die dafür plädierten, der Ukraine noch mehr Waffen zur Verfügung zu stellen. Pazifisten haben derzeit einen schweren Stand. Neuerdings wird behauptet, auch unsere Freiheit werde in der Ukraine verteidigt. Rechtfertigt das die verstärkte Lieferung von schwerem Kriegsgerät? Unser Autor verneint das.
Deutsche Rüstungsgüter werden nicht nur für Deutschland, d.h. für die Bundeswehr produziert, sondern für den weltweiten Waffenmarkt. In den Weltmarktberichten für Kriegswaffen sind deutsche Firmen mit ihren Produkten als erfolgreich mit aufgeführt, auch Rüstungsfirmen aus der Bodenseeregion. Dies entspricht Äußerungen eines früheren Sprechers der Firma Diehl defense in Überlingen, man könne beim Umfang der Produktionsanlagen nicht nur für die Bundeswehr produzieren, sondern müsse durch die Masse der produzierten Waffen und Kriegsgeräte auch weltweite Geschäfte tätigen. Dies gilt über Umwege auch für internationale Spannungs- und Kriegsgebiete, wie die Praxis zeigt. Über Waffen vom Bodensee in der Ukraine und in Russland haben wir zur Zeit keine Informationen.
Kriegsgeschäfte mit Waffen und Munition aller Art steigern die Firmenumsätze und Aktionärsgewinne dank am Laufen gehaltener Kriege zunehmend, im Gegensatz zu Corona-Einbußen und Firmeninsolvenzen in zivilen Branchen. Regionale Beispiele für immense Gewinnsteigerungen sind laut Meldungen Firmen wie Hensoldt (u.a. in Immenstaad) mit 110% Gewinnsteigerung und Rheinmetall mit +60 % (u.a. in Stockach). Man lebt also gut vom Krieg und damit vom Tod anderer, auch am Bodensee.
Die Firma Diehl defense in Überlingen begründet die Ausdehnung ihrer Kriegswaffengeschäfte auf ihrer Homepage unter der Rubrik „Werte“ mit dem Satz: „Wir sehnen uns nach Frieden und Sicherheit.“ Die Reaktion der Arbeitnehmervertretung auf drohende Arbeitslosigkeit durch Frieden ist nicht bekannt. Wir als Friedensbewegung fordern ebenfalls Frieden und Sicherheit, anders als Diehl jedoch u.a. über Rüstungskonversion, d.h. die Umstellung der Rüstungsproduktion auf zivil nützliche Produktion bei gleichzeitiger Erhaltung der Arbeitsplätze.
Waffenlieferungen an die Ukraine?
Hierzu haben wir als Friedensbewegung erhebliche Einwände, die laut Berichten auch von ukrainischen Friedensinitiativen geteilt werden. Mögen sich auch manche die Köpfe der Regierung zerbrechen, als bundesweite Friedensbewegung lehnen wir (mit einigen persönlichen und dadurch zu respektierenden Ausnahmen) jegliche Gewalt und Unterstützung von Kriegshandlungen ab, dazu gehören Lieferungen von Waffen, Munition und kampfunterstützenden Gerätschaften sowie die Weiterverbreitung von kriegsfördernder Propaganda. Wir sehen in der Geschichte wie auch in der jüngsten Vergangenheit keinerlei Beweis, dass mit mehr Waffeneinsatz mehr Frieden und mehr Sicherheit erzeugt wurde. Die Angriffskriege der Gegenwart in den Ressourcengebieten vor allem in Nah- und Mittelost mit immensen Zerstörungen und Millionen Toten, darunter unzählige Zivilisten, zeugen davon. Für die dort lebenden Menschen ist das Leben weit schlimmer als vor den Angriffskriegen auf ihr Land. Ist das ‚Frieden und Sicherheit‘ durch Waffen und Krieg?
Der vorherrschende Begriff ‚Sicherheit‘ fußt ideologisch auf ständigem Wachstum im Militärsektor, erwartete militärische Sicherheit durch zusätzliche Rüstung, also durch Aufrüstung statt Abrüstung. Dies entspricht der Logik und Akzeptanz des Krieges als Lösungsmittel bei Konflikten, nicht aber auf einer umfassenden und zukunftssichernden Friedenslogik. Die Badische Landeskirche setzt das Konzept „Sicherheit neu denken“ dagegen als Alternative zum vorherrschenden militärischen Sicherheitsbegriff, wie er kürzlich zum Ausdruck kam in der von den Bundestagsabgeordneten fast ausnahmslos mit rauschendem Beifall begrüßten Kanzler-Ankündigung der 100 Milliarden-Investion für den deutschen Militärsektor plus 2% NATO-Beitrag.
Eine Steuergeld-Umwidmung zu Lasten lebenswichtiger anderer Bereiche inklusive dem dringend notwendigen Klimaschutz, die sogar im Grundgesetz verankert werden soll. Ein neuer Zeitgeist?
Kriege als Folge von Machtkämpfen waren stets Ursache von schrecklichem Leid und Elend, wie wir es gerade in der Ukraine miterleben. Waffenlieferungen dienen auch aktuell nicht dem Erhalt oder der Gewinnung von Frieden, sie dienen vielmehr der Weiterführung des Kriegsgemetzels mit unzähligen Opfern und all den schrecklichen Folgen für alle Beteiligten.
Wir wollen den Frieden gewinnen, nicht den Krieg! Es kann also nicht die Aufgabe der Friedensbewegung sein, sich im Sinne der Kriegslogik für eine der Kriegsparteien zu engagieren und dabei selbst zur Kriegspartei zu werden mit dem Ziel eines „Siegfriedens“. Hingegen unterstützen wir aktuell alle Bemühungen für einen schnellen und zivilisierten Kompromissfrieden. Dieser kann aus unserer Überzeugung nur über Deeskalation, mediatorisch begleitete Verhandlungen und den Verzicht auf kriegsverlängernde inhaltliche Maximalforderungen auf beiden Seiten erreicht werden. Nur so geht Frieden nach unserer Überzeugung, nur so wirkt Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und mit in Russland verfolgten Gegnern dieses Angriffskrieges ihrer Staatsführung, Solidarität zugunsten des Lebens. Gewalt ist keine Lösung!
Text: Claus Kittsteiner, Friedensregion Bodensee e.V.
Bild: Pixabay
Hier noch ein Link zum Thema auf Traderfox.
Ich reibe mir die Augenr: Nato-Doppelbeschuss – war da mal was? Haben wir uns mal vor dem Kasernentor in Mutlangen getroffen? Und jetzt findet genau dieser Nato-Doppelbeschluss bei den Kommentaren ausgerechnet hier in der Seemoz lobend Erwähnung? Dazu passt die jüngste ARD-Umfrage: für die Lieferungen schwerer Waffen in die Ukraine sind 58 % der Grünen-Wähler und nur 38 % der CDU-Wähler – verkehrte Welt?
Ja sicher, Putin ist ein Aggressor und Verbrecher und natürlich freue auch ich mich für die Ukraine, dass sie es geschafft hat, die Invasoren aus der Nähe von Kiew zu vertreiben – aber um welchen Preis? Wie viele junge Russen (die z.T. nicht einmal über ihren Kriegs-Einsatz informiert waren) und wie viele Ukrainer sind dafür gestorben, verletzt worden, vielleicht behindert für den Rest des Lebens?
Es ist versäumt worden, Russland den Weg in die EU zu öffnen und den Gegensatz des kalten Krieges zu überwinden. Versäumt wurde auch eine Fortsetzung der Abrüstungsverhandlungen. Versäumt wurde andererseits, Putins Aggression z.B. im Fall der Krim rechtzeitig und deutlich Grenzen aufzuweisen – wirtschaftlich und nicht militärisch! Dieser Krieg ist zwar Folge einer einseitigen Aggression, aber auch Folge der Versäumnisse westlicher Regierungen, Kiew eingeschlossen.
Selbstverständlich muss ich niemand belehren: wenn die Ukraine sich in diesem Krieg dafür entscheidet, zu kämpfen, ist das ihre Sache und ich wünsche ihr in dem Fall den Sieg. Aber es wird ein tragischer Sieg sein mit viel Blut und Zerstörung. Mit Tapferkeit, Heldentum usw. hat das kaum etwas zu tun – eher mit Grausamkeit und das am Ende auf beiden Seiten: in einem Krieg gelingt es keiner Seite, „unschuldig“ zu bleiben.
Unter diesen Bedingungen einem „Abnutzungskrieg“ das Wort zu reden und zu hoffen, dass Putin, wenn er „sehr viele Soldaten seiner Armee verlieren“ würde, verhandeln werde, ist blanker Zynismus: „sehr viele Soldaten“ – das sind Menschen. Und: ich kann ja Bestrafungswünsche verstehen, aber es ist nicht Putin, der hier bestraft wird – der lebt weiter im fernen Moskau oder in irgendeinem Schloss, dass er sich hat bauen lassen.
Vor allem glaube ich nicht, dass es am Ende einen Sieger geben wird: In Putins Denken ist (ebenso, wie z.B. bei Hitler) die Möglichkeit einer Niederlage nicht vorgesehen und so wird weitergekämpft werden bis zum bitteren Ende. Hitler hat sich nach Millionen Toten am Ende selber umgebracht – was Putin dann macht und was das für den Rest der Welt bedeutet, weiß ich nicht.
Sehr geehrter Herr Weimer,
ich stimme Ihren Ausführungen voll umfänglich zu und Ihre historische Betrachtung ist ebenfalls korrekt.
Ich möchte noch Folgendes hinzufügen:
Damit kein Krieg zwischen den Parteien entsteht muss im Vorfeld das gegenseitige Bedrohungspotential mittels Waffenaufrüstung in etwa gleich sein. Das hat Helmut Schmidt (und in der Nachfolge Helmut Kohl) in den frühen 80er Jahren bewiesen (NATO-Doppelbeschluss). Da Putin die westliche Gegenparteien insgesamt (zu Recht) als schwächer einschätzt, hat er jetzt zugeschlagen. Es ist deshalb essentiell, dass die NATO und ganz besonders Deutschland, seine Armeen signifikant stärkt um wieder wehrfähig zu werden, sollte der Ernstfall eintreten (Dauer: 8-10 Jahre!!). Diese Strategie wird aber natürlich nicht mehr den jetzigen Krieg in der Ukraine stoppen – diese Möglichkeit haben alle (besonders aber Deutschland) in den Sand gesetzt.
So wie sich die militärische, vor allem aber auch die humanitäre Lage in der Ukraine heute darstellt, müssten vom Westen umgehend schwere Waffensysteme an die ukrainische Armee geliefert werden (natürlich nur Waffen die effizient bedient werden können). Wahrscheinlich wird die Einnahme der östlichen Gebiete sowie der Zugang zur Krim durch die russische Armee kaum mehr zu verhindern sein – leider mit Zehntausenden Toten und schwersten Kriegsverbrechen! Dann hätte Putin ein strategisches und machtpolitisches Minimalziel erreicht. Gelänge es dem Westen jetzt wenigstens die ukrainische Armee mit schweren Waffen auszurüsten, könnte dadurch ein Fortgang des Krieges und die Ausweitung auf die gesamte Ukraine mit einer guten Chance gestoppt werden. Denn es wäre offensichtlich, dass Putin über einen sehr langen Abnutzungskrieg auch sehr viele Soldaten seiner Armee verlieren würde und die Wirtschaftssanktionen zeigen längerfristig sicher auch ihre Wirkung. Bevor dieser Zustand nicht erreicht ist, wird Putin nicht ernsthaft verhandeln.
„Im Krieg zählt nicht die Moral, sondern der Sieg“
Unangenehme Fragen zur Militärbegeisterung
von Professor Thomas Fischer, er war Vorsitzender Richter am 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
> https://www.infosperber.ch/politik/russlands-krieg-immer-schon-hatten-sie-recht-die-uns-warnten/
Th. Fischer: „Dieser Text steht im Verdacht, das Gedankenverbrechen der «Relativierung» zu begehen. (…)“
Außer ein leiser Verweis auf Machtinteressen und die stete Kritik am Geschäft mit Rüstungsgütern fehlt der wichtigste Faktor für Kriege: der grenzenlose Hunger nach Ressourcen. Auf einer endlichen Erde funktioniert das mit dem Wachstum nicht. Und die Friedensbewegung kennt das Problem auch: die nächsten Kriege werden wegen Wasser geführt. Oft genug proklamiert. Aber wie gewinnt man mit diesen Argumenten die für den Frieden, die Klopapier, Getreide und Salatöl bunkern und den SUV volltanken wollen?
Die Ukraine, ein demokratischer Staat, ist von ihrem Nachbarland, einer Diktatur mit mindestens faschistoiden Zügen völkerrechtswidrig angegriffen worden. Spätestens seit Butcha hat die Welt gesehen, was die vergewaltigende und mordende russische Soldateska in diesem Land anrichtet. Aus guten Gründen hat sich die Ukraine dafür entschieden, ihre Freiheit tapfer und wie die Kämpfe um Kiew zeigen, auch erfolgreich zu verteidigen.
Ich halte es für gelinde gesagt anmaßend, der Ukraine auf dieses recht auf Selbstverteidigung zumindest mittelbar abzusprechen, in dem man ihr die dafür erforderlichen Mittel verweigert.
Diese Logik zu Ende gedacht, hätte dazu geführt, dass die USA weder die damalige Sowjetunion noch Großbritannien ab 1941 bzw. 1940 hätten mit Waffen beliefern und in den Krieg hätten eingreifen dürfen.
Ich bin froh, dass sie es getan haben. Wie Europa sonst heute aussähe, möchte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Leider müssen wir erkennen, dass auch Pazifismus nicht grenzenlos ist. Es sei denn, man ist in letzter Konsequenz bereit, auch in einer Diktatur zu leben.