Lafontaines Erben: Erfolgsgeschichte oder Abstieg?
Die Linke hat sich in der Parteienlandschaft weitgehend etabliert. Und treibt thematisch andere Parteien – nicht nur die SPD – vor sich her. Doch wer oder was treibt die Linke? Nach dem Parteitag in Rostock scheint eine Neuorientierung unausweichlich. Programmatisch und personell.Der Werdegang der Partei Die Linke kann als eine stürmische Erfolgsgeschichte erzählt werden: offiziell erst vor drei Jahren aus einer waghalsigen Fusion eines linken bis linksradikalen westdeutschen Oppositions-Allerlei und einer eher bieder-linken ehemaligen Staats- und Regierungspartei entstanden und, was möglich gewesen wäre, immer noch nicht völlig zerstritten oder zerbrochen; bei Wahlen souverän von einem Erfolg zum nächsten eilend; als ständige fünfte Partei das deutsche Parteiensystem ständig irritierend, gar in Turbulenzen stürzend; die anderen Parteien – nicht nur die SPD – mit ihren Themen (Mindestlohn einführen, Hartz IV abschaffen, Rückzug aus Afghanistan, Finanzmärkte regulieren) nicht selten vor sich hertreibend; in 13 von 16 Landtagen vertreten, in zwei Bundesländern (Berlin, Brandenburg) in der Regierung. Und das alles seit Ende 2005 – furios.
Die Geschichte kann auch so erzählt werden: In einer historisch zu nennenden einmaligen zeitlichen Phase – die SPD wandte unter Gerhard Schröder und mit der Politik der Agenda 2010 ihrer Klientel schroff den Rücken zu; der politisch und populistisch ungewöhnlich begabte ehemalige SPD-Vorsitzende Lafontaine stand als Galionsfigur zur Verfügung – gelang mit viel Glück die Neugründung und dieser Neugründung ihre Erfolge. Nun ist diese Phase der glücklichen Zufälle beendet: Die SPD wandelt sich und ist unter einer neuen Führung dabei, das Erbe von Gerhard Schröder nach und nach abzuschütteln. Und Oskar Lafontaine zieht sich nach einer schweren Krebs-Erkrankung ins Saarland zurück.
Der Club der alten Männer
Mehr noch: Die bisherige Führung der Partei, ein Club der älteren und alten Männer, hatte mit letzter Kraft gerade noch bis zur letzten Bundestagswahl durchgehalten und zerbrach dann in aller Öffentlichkeit und spektakulär – an Krankheit (eben der von Lafontaine) und vor allem an Intrigen. Es war nie ein Geheimnis, dass letztlich die komplette Formation Die Linke jenseits sämtlicher Führungsgremien von einer Handvoll Männer (Oskar Lafontaine, Gregor Gysi, Lothar Bisky, Uli Maurer, Dietmar Bartsch, Klaus Ernst) mal sanft gelenkt, mal hart dirigiert worden ist.
Als die Partei um die Jahreswende über viele Wochen hinweg rund um den Vorwurf, der langjährige Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch sei illoyal gegenüber Oskar Lafontaine gewesen, öffentlich ihr tiefes Zerwürfnis zelebrierte, war dieses Führungsmodell endgültig zerbrochen. Was nun? Eilt die Partei erfolgreich weiter? Muss sie sich nun mit den Mühen der Ebenen herumschlagen? Oder beginnt jetzt der schleichende Abstieg?
Alle gegen eine
Die jüngste Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen zeigte, wie stabil die Partei ist: Alle Parteien machten Front gegen sie, zumal ihr politisches Personal (freundliche Worte über die DDR, die vermutete Nähe des einen oder anderen zur Roten Hilfe oder zur PKK) für kräftige Kontroversen gut ist. Die SPD präsentierte sich eher links und sozial. Und die Öffentlichkeit wusste schon, dass sich die Galionsfigur Lafontaine zurückziehen würde. Trotz dieser Widrigkeiten zog die Links-Partei in den Landtag ein: mit 5,4 Prozent numerisch bescheiden und doch souverän.
So zeigt das Ergebnis: Die Linke, SPD und die Grünen, die potenziell Träger einer Politik links des Mainstreams sind, können in der Opposition zeitgleich hinzugewinnen; es muss nicht auf Kosten des jeweils anderen sein. Und das Wahlergebnis zeigt auch, wie nützlich Die Linke ist: Mit ihrem Einzug werden Sozialdemokraten und Grüne nicht aus der Verlegenheit entlassen, sich politisch klar zu positionieren. Und sie ermöglicht eine handlungsfähige Option auf eine halbwegs linke Politik: eine rot-rot-grüne Landesregierung oder eine rot-grüne Regierung, die sich tolerieren lässt.
Jedoch kann das Wahlergebnis auch so gelesen werden: In Zeiten, in denen die Auseinandersetzung zwischen der Finanzindustrie und der Politik um die Frage der Macht auf dem Höhepunkt ist, erreicht Die Linke, die bei diesem Thema klar profiliert ist, nur magere 5,4 Prozent. Müsste sie noch radikaler auftreten, nun da alle anderen sich ihre Forderungen zu eigen gemacht haben? Oder wäre genau dies ein Fehler?
Die Linke hat am vergangenen Wochenende in Rostock auf einem Parteitag eine komplett neue Führung gewählt. Mehr als die neuen Namen und viele Worte sagt die Struktur etwas aus über den Zustand der Partei. In ihr spiegeln sich all die Unsicherheiten und Ungereimtheiten wider. Es gibt eine Parteivorsitzende (Name: Gesine Lötsch), Ost, und einen Parteivorsitzenden (Name: Klaus Ernst), West. Es gibt einen Bundesgeschäftsführer, West, und eine Bundesgeschäftsführerin, Ost. Es gibt eine Parteibildungs-Beauftragte, Ost, und einen Parteibildungsbeauftragten, West. Auch Gregor Gysi, Letzter aus der alten Führung und Vorsitzender der Bundestagsfraktion, wird bald eine Vorsitzende, West, an seiner Seite haben.
Quote in jeder Hinsicht
Mit anderen Worten: Die Linke hat sich durchquotiert. Bei dem Versuch, Zusammenhalt zu stärken und Unsicherheiten zu meiden, kreiierte sie keine Führungsspitze, nicht einmal ein Sicherheitsnetz, sondern sie strickte sich ein Spitzen-Knäuel. Dazu passt, dass sicherheitshalber der Start in die längst überfällige Programmdebatte noch einmal verschoben worden ist. Also: Der riskante Akt, einmal komplett die Führung auszuwechseln, ist als solcher gelungen. Aber die Führung selbst? Alle sind irgendwie vertreten – und verdecken Richtung und Profil. Diese Wahl kann nicht der Abschluss der Neu-Sortierung gewesen sein, sie ist deren Auftakt.
Autor: Wolfgang Storz/WOZ