Leitkultur noch mal neu
Die Aufregung ist groß: Innenminister de Maizière hat im Leitkulturorgan „Bild“-Zeitung laut nachgedacht. Manches klingt altbacken. Vieles bescheuert. Wir sind überzeugt: Er hat es aber gut gemeint. Daher haben wir seine zehn Punkte auf den Stand des aufgeklärten 21. Jahrhunderts gebracht. Bitte schön, nichts zu danken, man hilft doch einander.
1. Offene Gesellschaft
Im Original schreibt der Innenminister: „Wir geben uns zur Begrüßung die Hand. Bei Demonstrationen haben wir ein Vermummungsverbot.“
Was er meinte, war ganz sicher: „Wir geben uns zur Begrüßung die Hand. Bei Demonstrationen haben wir ein Vermummungsverbot. Ich habe daher Order gegeben, dass sämtliche Einsatzkräfte dort ab sofort ohne Helm auftreten und allen Anwesenden freundlich guten Tag sagen.“
2. Bildung
Ganz richtig meint Thomas de Maizière: „Wir sehen Bildung und Erziehung als Wert und nicht allein als Instrument.“
Gedacht hat er natürlich: „Wir sehen Bildung und Erziehung als Wert und nicht allein als Instrument. Daher verurteilen wir jeden ökonomisch motivierten Effizienzdruck in unserem Bildungssystem. Sobald wir mal wieder ein paar Milliarden übrig haben, stecken wir sie in die Schulen und Bildungsstätten statt in Harakiri-Banken.“
3. Leistung
Etwas verkürzt schreibt Leistungsträger de Maizière: „Wir fordern Leistung. Leistung und Qualität bringen Wohlstand.“
Als christlicher Demokrat wollte er damit sagen: „Wir fordern Leistung. Leistung und Qualität bringen Wohlstand. Wir setzen uns für eine Gesellschaftsordnung ein, in der jeder Mensch die Möglichkeit hat, seine Leistung einzubringen und am Wohlstand teilzuhaben.“
4. Geschichte
Schwieriges Thema, immer wieder. Da muss man ringen: „Wir sind Erben unserer deutschen Geschichte. Für uns ist sie ein Ringen um die Deutsche Einheit in Freiheit und Frieden mit unseren Nachbarn, das Zusammenwachsen der Länder zu einem föderalen Staat, das Ringen um Freiheit und das Bekenntnis zu den tiefsten Tiefen unserer Geschichte.“
Die weniger verbrubbelte Variante wird wohl bald nachgereicht: „Wir sind Erben unserer deutschen Geschichte. Daher kämpfen wir für die Überwindung von Nationalinteressen und für die Durchsetzung der UN-Menschenrechtscharta überall auf der Welt.“
5. Kultur
Zugegeben. Die Franzosen, die Engländer, die Italiener, die Griechen, die Sumerer, Ägypter, Maya und Chinesen haben es auch versucht. Aber klar ist: „Kaum ein Land ist so geprägt von Kultur und Philosophie wie Deutschland.“
Da hat der Innenminister aber wirklich mal recht. Um den Punkt zu machen, sollte man noch ausführen: „Kaum ein Land ist so geprägt von Kultur und Philosophie wie Deutschland. Daher all die gebildeten, geistreichen Gespräche in den Pausenräumen, all die philosophischen Debatten in den Cafés, und das herausragende Fernsehprogramm.“
6. Religion
Wir sind ein christliches Land. Überall ragen putzige Kirchtürme in den Himmel und geben den Mauerseglern ein Zuhause. Also spricht der Innenminister: „Wir leben im religiösen Frieden. Und die Grundlage dafür ist der unbedingte Vorrang des Rechts über alle religiösen Regeln im staatlichen und gesellschaftlichen Zusammenleben.“
Aber ganz genau. Im vollen Wortlaut heißt das dann: „Wir leben im religiösen Frieden. Und die Grundlage dafür ist der unbedingte Vorrang des Rechts über alle religiösen Regeln im staatlichen und gesellschaftlichen Zusammenleben. Ab sofort darf daher am Karfreitag getanzt werden, Kirchen müssen ihre Jobs unabhängig vom Glaubensbekenntnis vergeben. Frühkindliche Indoktrination mit religiösen Vorstellungen von Erbsünde, Schuld und Erlösung ist, zum Schutz des Kindswohls, nicht zulässig.“
7. Konsensorientierung
„Vielleicht“! Ist immer gut. Da kann das Gegenüber dann auch Recht haben. De Maizière mutmaßt: „Vielleicht sind wir stärker eine Konsens orientierte Gesellschaft als andere Gesellschaften des Westens.“
Wir schlagen, ihn unbedingt unterstützend, vor: „Vielleicht sind wir stärker eine Konsens orientierte Gesellschaft als andere Gesellschaften des Westens. Vielleicht auch nicht. Wir arbeiten jedenfalls hart daran, den Konsens nicht nur zwischen Politikern und Lobbyverbänden herzustellen, sondern auch zwischen Politikern und ihrem Souverän, dem Wähler. Es ist noch ein langer Weg.“
8. Nation
Wir sind Aufgeklärte. Sehr gut in die richtige Richtung hat de Maizière da gedacht. Leider ist ihm dann irgend etwas aus einem hinteren Hirnstamm in die Rhetorik gerutscht. „Wir sind aufgeklärte Patrioten. Ein aufgeklärter Patriot liebt sein Land.“
Gemeint hat er wohl, etwas nachvollziehbarer: „Wir sind aufgeklärte Menschen. Wir lieben keine Länder. Wir wissen noch nicht mal, wie das gehen soll. Nationen sind für uns allenfalls eine organisatorische Notwendigkeit. Wir lieben andere Menschen und unseren Hund.“
9. Westbindung
Klares Ding: „Als Deutsche sind wir immer auch Europäer.“
Zu Ende formuliert, gilt daher logischerweise: „Als Deutsche sind wir immer auch Europäer. Als Europäer sind wir immer auch Weltbürger. Als Weltbürger setzen wir uns bedingungslos für Toleranz, Frieden, Wohlfahrt und Chancengleichheit ein, ganz egal wo.“
10. Regionen
Hier hat de Maizière einen tollen Abschlussakkord gefunden, mit Karneval, Volksfesten, Gerüchen und „den Marktplätzen unserer Städte“. Ein inneres Jodeln ist uns das freimütige Bekenntnis: „Landsmannschaftliche Mentalitäten, die am Klang der Sprache jeder erkennt, gehören zu uns und prägen unser Land.“
Wir stimmen aus vollem Herzen zu und sagen, Thomas, altes Haus: „Landsmannschaftliche Mentalitäten, die am Klang der Sprache jeder erkennt, gehören zu uns und prägen unser Land. In anderen Ländern soll das übrigens ganz genau so sein. Prost!“
Klaus Ungerer (dieser Text erschien zuerst auf www.hpd.de)
Da hat Klaus U. wirklich sehr empathisch nach-gedacht und -gespürt, was der viel beschäftigte Thomas d.M. mit seinen 10 Thesen zur Leidkultur, pardon: Leitkultur wohl ausdrücken wollte, als er sie im Lutherjahr stilsicher auf die Titelseite der BLÖD-Zeitung, ‚tschuldigung: BLIND-Zeitung oder so ähnlich genagelt hat. Manch ein verschwurbelter Kurztext bedarf doch dringend der Ergänzung durch klare Worte, weil sich der eilige Verfasser nicht genügend Zeit ließ zu denken, bevor er den Hammer in die Hand nahm.