Markthörig, arrogant und dreist
Bis auf die Linkspartei werden am morgigen Freitag alle Bundestagsfraktionen dem Europäischen Fiskalpakt zustimmen. Das Credo der bedingungslosen Haushaltskürzung wird somit zur Leitschnur europäischer Politik – Lohnkürzungen, Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, Sozialabbau und Privatisierungen sind die Folge. Stoppen kann den Fiskalpakt nur noch ein Gericht.
Wenn es derzeit jemanden gibt, auf den Albert Einsteins Definition von Wahnsinn zutrifft, dann ist es die Mehrheit der deutschen PolitikerInnen: Wer immer wieder das Gleiche tue, soll der Physiker gesagt haben, und andere Ergebnisse erwarte, der sei verrückt. Da hat er recht. Denn spätestens seit Heinrich Brünings Notverordnungen Anfang der 30iger Jahre, mit denen der damalige Kanzler ein drastisches Sparprogramm dekretierte, müsste man in Deutschland eigentlich wissen, wohin strikte Austeritätspolitik führt: In eine Verelendung der Massen, in einen Absturz der Mittelschichten, zu einer Entdemokratisierung und zu einer Stärkung der nationalistischen Rechten. Aber man muss gar nicht so weit zurückblicken. In Irland und Britannien – beide Staaten waren zu Beginn der Finanzkrise 2008 nur gering verschuldet – schlitterte die Wirtschaft aufgrund rigoroser Kürzungen ebenso in die Rezession wie in Spanien oder Portugal, von Griechenland ganz zu schweigen.
Und was macht die deutsche Regierung? Sie will nicht nur das eigene Land in ein enges Sparkorsett zwingen, sie unterwirft auch die europäischen Nachbarstaaten ihrem Credo der bedingungslosen Haushaltskürzung. Und das auch noch dauerhaft: Die Schuldenbremse, Kern des Europäischen Fiskalpakts, ist praktisch unkündbar. Selbst wenn sich die Verhältnisse ändern, sollen die Parlamente keinen Ausstieg beschließen dürfen.
Trotzdem stimmen zwei der drei oppositionellen Bundestagsfraktionen – die der SPD und der Grünen – dem Fiskalpakt zu. Bei Verhandlungen mit der schwarz-gelben Koalition am Wochenende signalisierten die sozialdemokratisch regierten Bundesländer Zustimmung und am kleinen Sonderparteitag der Grünen am Sonntag befürwortete eine knappe Mehrheit den Antrag der grünen Bundesspitze. Nur die Linkspartei ist geschlossen gegen den Fiskalpakt und den dauerhaften Rettungsfonds ESM (eine Art zweite Bankenrettung) und wird das Bundesverfassungsgericht anrufen. Mit dem Fiskalpakt, so argumentiert sie, verliere der Bundestag sein Haushaltskontrollrecht und damit eine seiner wichtigsten Befugnisse. Das oberste Gericht teilt offenbar die Sorge über eine schleichende Entmachtung des Parlaments. Jedenfalls hat es den Bundespräsidenten aufgefordert, das Gesetz nicht vor Abschluss seiner Beratungen zu unterzeichnen.
Warum unterstützen SPD und Grüne ein internationales Abkommen, das die beteiligten EU-Staaten völkerrechtlich dazu zwingt, bis 2014 rund 500 Milliarden Euro einzusparen, obwohl die Folgen absehbar sind? In allen Ländern ist die öffentliche Hand mit bis zu fünfzig Prozent an der Wirtschaftsleistung beteiligt. Drastische Haushaltseinschnitte verstärken daher die Krise, die sich mittlerweile auch in Deutschland abzeichnet: Das Steueraufkommen sinkt, das Budgetdefizit steigt, die Staatsschuldenquote nimmt zu – alles schon gehabt und derzeit in vielen Ländern zu besichtigen. Man habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wesentliche Zugeständnisse abringen können, verteidigen sich SPD und Grüne. Zum Beispiel bei der Finanztransaktionssteuer. Doch der Kompromiss hätte auch aus der Feder der wirtschaftsliberalen FDP fließen können: Man werde die Einführung einer solchen Abgabe – die nach Massgabe der EU den Devisenhandel außen vor lässt und Derivategeschäfte mit gerade mal 0,01 Prozent belastet – «wenn möglich» bis Ende Jahr prüfen, sofern neun andere Staaten mitziehen und die Steuer für den Finanzplatz und die Versicherungswirtschaft «keine negativen Folgen» hat. Unverbindlicher geht’s kaum.
Weshalb diese Kollaboration? Die Antwort ist einfach: Auch die Spitzen der Sozialdemokratie und der Grünen sind zutiefst davon überzeugt, dass nicht der deregulierte Finanzsektor für die Eurokrise verantwortlich ist, sondern die unsolide Finanzpolitik der Staaten. Nur aus dieser Sicht heraus ergibt die Schuldenbremse einen Sinn. Aber diese Sicht ist genauso falsch wie der bei SPD und Grünen weit verbreitete Glaube, dass Wachstum vor allem durch Maßnahmen wie die Agenda 2010 aus der rot-grünen Regierungszeit (1998–2005) entsteht: Lohnkürzungen, Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, Sozialabbau und Privatisierungen. Damit kann man allenfalls andere Volkswirtschaften in Grund und Boden konkurrieren – und auch das nur für kurze Zeit.
Es ist mithin nicht nur die zu Recht gescholtene Domina Merkel, die in Deutschland und Europa einen stramm neoliberalen Kurs fährt. Auch bei Rot-grün haben vernebelte Köpfe die ökonomische Vernunft auf betriebswirtschaftliches Niveau geschrumpft. Man erhebt den Zeigefinger, doziert oberlehrerhaft und in herablassendem Ton über die Versäumnisse der südlichen Schuldenstaaten und forciert gleichzeitig eine dummdreiste Politik, die ganze Gesellschaften und Generationen ruiniert. Aber ist nicht vor allem die deutsche Exportwirtschaft auf einen Fortbestand der Währungsunion angewiesen? Das schon. Die Rettung des Euros verlangt jedoch mehr als nur kurzfristig-monetaristisches Denken. Dazu ist in Deutschland derzeit jedoch kaum jemand in der Lage, weder in der Politik noch in der Wirtschaft. Denn den Staat, den Friedrich Engels einmal als ideellen Gesamtkapitalisten charakterisierte – spart man ja gerade weg.
Autor: Pit Wuhrer/WOZ