Meinungsfreiheit im Kampf gegen Pegida
Die Flüchtlingskrise hat rechte bis faschistische Gruppen und Personen in Deutschland (weiter) nach vorne gespült. Die Gründe für diese beunruhigende Entwicklung sind vielgestaltig. Leider präsentiert sich die Politik gegenwärtig auf den verschiedenen Ebenen als überfordert und zur Lösung der Probleme nur begrenzt im Stande.
Dieses Erleben von Hilflosigkeit trägt in der Öffentlichkeit – mehr noch als die Angst vor dem Fremden – dazu bei, dass die Vertreter der einfachen Lösungen, die Apostel der Feindbilder, Gehör finden. Glücklicherweise ist der Widerstand gegen diese Umtriebe aus der Zivilgesellschaft sehr stark. Er speist sich aus der gleichen Quelle wie der bewundernswerte tägliche Einsatz vieler Menschen für die Flüchtlinge vor Ort.
Leider hat sich die Debatte über den „Kampf gegen Rechts“ in eine Strafrechts- und Sanktionsdiskussion verengt. Wir erleben mal wieder eine fast gesetzmäßig ablaufende Empörungswelle, auf die wir uns immer dann verlassen können, wenn eine schwere Straftat stattgefunden hat, die in besonderer Weise die Öffentlichkeit berührt. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgend ein verantwortlicher Politiker ein härteres Vorgehen gegen Pegida und die anderen unerfreulichen Begleiterscheinungen des neuen deutschen Rechtspopulismus verlangt.
Dass aus der kritischen Öffentlichkeit harsche Töne kommen, liegt in der Natur derartiger Auseinandersetzungen. Zuspitzungen gehören auch zur Mobilisierung für Gegendemonstrationen dazu. Aber wir müssen hier zwischen gesellschaftlicher Auseinandersetzung und staatlicher Verantwortung unterscheiden. Gerade für politisch Verantwortliche hat eine mitunter wohlfeile und nicht selten opportunistische Empörung fatale Nachwirkungen. Sie müssen nämlich ihrem Talk-Show-tauglichen Zorn konkrete Taten folgen lassen. Regierungsmitglieder werden irgendwann einmal Gesetzesvorlagen zur Beschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit vorlegen (müssen), wollen sie sich nicht für vermeintliche Tatenlosigkeit schelten lassen; so läuft die Spirale der Ankündigungen.
Der Galgen als Symbol rechter Unerträglichkeit
Eine besondere Prominenz in der aktuellen Sanktionsdebatte hat eine Galgenkonstruktion, die von Pegida in ihrem Demonstrationszug durch Dresden gezogen wurde. Tage vorher bei der Anti-TTIP-Demonstration in Berlin war ein ähnliches Symbol für ein vorzeitiges Ableben zu bewundern. Die Empörungswelle war groß. Schnell war von einem Aufruf zum Mord die Rede, eben so von der allgegenwärtigen „Volksverhetzung“. Entgegen einer verbreiteten Auffassung ist ein solcher Galgen bei einer Demonstration nur dann strafbar, wenn es sich um einen unzweifelhaften Aufruf – etwa zum Mord – an Personen gehandelt hätte. Hier haben wir es aber mit einer – unerfreulichen, aber legalen – Demonstration zu tun, deren TeilnehmerInnen sich auf das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Versammlungsfreiheit berufen können. Das schließt auch üble Geschmacklosigkeiten mit ein, die im Interesse einer lebendigen Demokratie hinzunehmen sind. Um wegen eines Aufrufs zum Mord bestraft zu werden, müssten die Demonstranten dazu aufgerufen haben, führende Persönlichkeiten des Staates umzubringen. Da diese Repräsentanten aber nicht „das Volk“ sind, kann im Übrigen auch keine Volksverhetzung vorliegen. Selbstverständlich ist das Ganze eine geschmacklose Hetze, aber noch kein Grund, jemanden dafür ins Gefängnis zu stecken.
Gefährliche Präzedenzwirkung von Freiheitsbeschränkungen
Selbstverständlich unterliegt auch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit Beschränkungen. Hier muss im Einzelfall abgewogen werden, wo (noch) Meinungsfreiheit unter dem Schutz des Grundgesetzes steht und ab wann beispielsweise zu Straftaten aufgerufen und das Existenzrecht anderer Menschen bestritten wird. Dabei sollten staatliche Sanktionsmittel nur mit Maß und Ziel eingesetzt und entsprechend maßvoll auch gesellschaftlich eingefordert werden. Es gerät in der aktuell aufgeregten Debatte zunehmend in Vergessenheit, dass das Strafrecht immer nur die Ultima Ratio des Staates ist, aber kein beliebiges Mittel in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung. Nicht jede dumme oder verletzende Äußerung ist ein Fall für die Staatsanwaltschaft. In der Auseinandersetzung muss man bisweilen mehr ertragen, als einem lieb sein kann. Aber das ist eine Voraussetzung für die Demokratie.
Die Personen, um die es hier geht, spielen sich als „Vertreter des Volkswillens“ auf. Sie haben ein klares Nein für ihre Positionen verdient. Wer aber nach dem Staat und seinem Sanktionsapparat ruft, sollte sich stets bewusst sein, dass neue Gesetze immer abstrakt formuliert sein müssen. Das heißt: Was heute gegen Pegida helfen soll, kann morgen schon in eine ganz andere politische Richtung gehen.
Verschärfungen von Gesetzen, das gilt neben dem Strafrecht auch für dessen Nebengesetze und Verwaltungsgesetze, haben zudem die fatale Tendenz zur Dauerhaftigkeit. Noch heute zieren Vorschriften zu Kontrolle der Verteidigung im Strafverfahren aus der Zeit der RAF die Strafprozessordnung. Sie wurde schon seit Jahrzehnten nicht mehr angewendet, liegen aber fest wie Weisheitszähne im Kiefer, die nur darauf warten, eines Tages Ärger zu machen. Je mehr wir heute das Spektrum der Debatten durch eine immer engere Eingrenzung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit beschränken, umso mehr untergraben wir dabei – ohne es zu wollen – die Grundlagen unserer demokratischen Ordnung.
Wie sinnvoll ist der Ruf nach dem Staatsanwalt?
Die Folgen werden uns erst klar, wenn es eventuell schon zu spät ist. Von daher ist es auch problematisch, Verwaltungen und Justiz öffentlich mit der Forderung nach einer immer schärferen Anwendung bestehender Normen unter Druck zu setzen. Bedenklich ist es in diesem Zusammenhang auch, die Justiz mit dem Vorwurf der Laschheit zu belegen und sie so zur Verhängung schärferer Sanktionen zu drängen.
Sinnvoller als der Ruf nach dem Staatsanwalt ist es, den politischen Druck auf die verschiedenen rechten Gruppen aufrecht zu erhalten und ihnen konsequent den ungestörten gesellschaftlichen Raum zu verweigern, ihre Agitation ungestört zu betreiben. Mir scheint, die beste Form der Auseinandersetzung mit Rechts ist das gelebte und täglich praktizierte Beispiel tätiger Menschlichkeit. Nichts setzt die selbst berufenen „christlichen Abendlandverteidiger“ mehr ins Unrecht, als beispielsweise die alte Dame am Hauptbahnhof, die ankommenden Flüchtlingen einen Becher Kaffee reicht und ihnen sagt: Ihr seid in Deutschland willkommen!
Jürgen Roth (dieser Text erschien zuerst auf hpd)