Nachbetrachtung zum Wahlkampf der Bilder: Wir waschen weißer

Arabien brennt, das Projekt Europa steht auf der Kippe, in Deutschland wird mit den als „Harzer“ Abqualifizierten ein ganzer Teil der Gesellschaft ins Abseits geschoben – alles nicht gerade die zündenden Themen im gerade gesehenen Wahlkampf. Nicht, dass es in dessen Verlauf keine Aufreger gegeben hätte: Die Anspruchsvollen durften sich an der PKW-Maut, der für Ausländer natürlich, abarbeiten; die, die es lieber simpler haben, am „Stinkefinger“ eines Kanzlerkandidaten

Nicht, dass es gar keine Themen gegeben hätte, die das Attribut des Politischen verdient hätten: Die Grünen legten ihre Botschaften rotzig-nervigen Gören in den Mund, und die Linken forderten tatsächlich am heftigsten den gesetzlichen Mindestlohn. Damit empfahlen sie sich zwar wieder einmal als die besseren/eigentlichen Sozialdemokraten, ließen gleichzeitig aber auch erkennen, wie weit man sich inzwischen von genuin linken Positionen entfernt hat: War es nicht mal um die Veränderung der Produktionsverhältnisse gegangen statt um Reparaturmaßnahmen am laufenden „alternativlosen“ System?

Die beiden großen Parteien hingegen forderten eigentlich gar nichts, vielmehr boten sie die Auswahl zwischen „Wir“ und „Gemeinsam“. Was auf den ersten Blick einfallslos und langweilig erschien, traf doch genau die Stimmung der damit Umworbenen. Wie treffend dieser Appell an das Gemeinschaftsgefühl der Volksgemeinschaft war – dass damit die Wähler also genau da abzuholen waren, wo sie standen – zeigt zunächst die unerwartet hohe Wahlbeteiligung. Darüber hinaus mag es auch die auffällig aggressive Schelte für die erklären, die ihrer Appetitlosigkeit angesichts dieser sprichwörtlich „alternativlosen“ Einheitskost doch eher faden Menükarte in Form von Abstinenz Ausdruck gaben oder gar, wie ein Harald Welzer oder Peter Sloterdijk, dazu aufgerufen hatten: Geht es in Deutschland um das „Wir/gemeinsam“, steht man nicht ungestraft abseits.

Wahrnehmbar wurde Konkretes also kaum versprochen, so richtig gefordert auch nichts. Sonst gerne strapazierte Wörter wie Wachstum, Wandel, Wende kamen eher am Rande vor, selbst die Botschaft eines (wenn überhaupt) angestrebten Wechsels war kaum vernehmlich. Wahlkampf im Wellness-Modus. Allerorten, nicht nur im idyllischen Konstanz….

Alles wirklich so gemütlich? Es lohnt sich, dieses „Wir“ näher anzuschauen: Kann doch das „Wie“ eines Wahlkampfs über Stimmung und Befindlichkeit einer Gesellschaft fast noch mehr aussagen als das Wahlergebnis danach. Man muss es allerdings sehen w o l l e n. Dazu gehört zuerst, gängige Begriffe wie „Waschmittelwerbung“ als Wertung von Wahlpropaganda als das zu verstehen, was sie sind: Platte populistische Pseudodistanzierung von „Politikern da oben, die sowieso machen, was sie wollen“. Weit gefehlt: Zumindest in demokratischen Verhältnissen spiegelt sich in den Politikern, die „oben“ sind, und der „bösen“ Politik, die sie machen, immer der Zustand der von ihnen beherrschten „unschuldigen“, angeblich „besseren“ Gesellschaft.

Nicht umsonst fließen Aber-Millionenbeträge in die Wahlreklame, mit denen die „Kreativen“ genau sondieren, wie man an das Sentiment der Wähler andocken kann. Er lohnt also durchaus, der Blick auf die Wahlplakate. Seltsam „retro“ muten sie an, „Sepia“ scheint die Grundfärbung zu sein, aller oberflächlichen Buntheit zum Trotz. Appellieren sie doch an die Erinnerung an eine gefühlt gute alte Zeit, als die Verhältnisse noch im Lot waren: Schauen wir uns das Plakat der SPD an:

http://www.nrwspd.de/db/img/cached/2013_7_30_16_20_44_137207_677.jpg

Die darauf erhobene Forderung nach bezahlbaren Mieten ist platt und wohlfeil: Wer wollte was dagegen haben? Relevant wäre die Frage, wie man zum gewünschten Ziel kommt, dazu erfährt man aber nichts. Das „Wir“ entscheidet da sicher gar nichts. Viel interessanter ist das Bild selber.

Augenfällig zunächst das „unmoderne“ Äußere der Abgebildeten, als wäre es ein Originalfoto aus den 70ern. Die Frisuren von Mutter und Tochter scheinen abgeschaut bei einer schon damals nicht mehr ganz so aktuellen französischen Sängerin, Cordhosen allerdings waren gerade sehr en vogue.

Darin spiegelt sich weit mehr als nur die Sehnsucht einer Partei nach ihrer verlorenen Klientel, dem Milieu der „Facharbeiter“, das der SPD abhanden gekommen ist.

Es transportiert vielmehr die Sehnsucht des „Wir“ nach gesellschaftlichen Verhältnissen, die man so erinnert, dass jeder, der ehrlich mit anpackte, auch zu was gekommen sei. Eine Sehnsucht also nach vermeintlich „goldenen Zeiten“, in denen sich der Kapitalismus als „soziale Marktwirtschaft“ präsentierte und noch nicht in der hässlichen Fratze der „Globalisierung“. Es waren die Zeiten der Illusion, dass die (West)Deutschen den Tiger reiten könnten. Dass der damals schon gebissen hat, ist egal: hatte es doch die anderen, auch damals schon vornehmlich in der 3. Welt, getroffen.

Die Retro-Botschaft geht weiter in der Darstellung der abgebildeten Familie, findet ihren Ausdruck in Haltung und Größenverhältnis ihrer Mitglieder: Der Mann als die Säule der Familie, an der die Frau sich gläubig festhält. Diese Konstellation der Geschlechter setzt sich in der jungen Generation in der Pose des Söhnchens als zukünftiger „Macker“ über seiner kleineren Schwester fort. Wenn die beiden dann größer geworden sind, dann sehen wir sie, diesmal auf dem Plakat der CDU, als biederes Pärchen so:

http://www.bz-berlin.de/multimedia/archive/00438/CDU-Plakat_43857418.jpg

auf dem Moped. (Wobei das Moped gar nicht abgebildet ist. Aber Botschaft, Habitus und Atmosphäre des Bildes lassen als Assoziation eigentlich nur die seelige Kreidler Florett zu, kaum den aktuellen Chinaroller). Jedenfalls sitzt auch da die Frau selbstredend hinten. Die gemeinsame Fahrt führt wohl eher in die Vergangenheit als in die Zukunft.

Was allerdings mit den beschriebenen intellektuellen „schwarzen Löchern“ dieses Wahlkampfs zuallererst kontrastiert, ist seine durchgehende „Weiß-heit“. Dass das Gros der Menschen in der deutschen Politik, von wenigen türkischstämmigen Einsprengseln abgesehen, nun mal weiß ist, ist eine Sache. Entscheidend ist vielmehr, wie die, welche die „Wir/gemeinsam“- Botschaft an den Mann /die Frau bringen sollen, dargestellt werden. Auch da sind wir wieder in den 70er Jahren, wo sich das „Wir“ als das der autochtonen (etwa: einheimischen, d. Red.) Deutschen verstand. Wobei die auf den Wahlplakaten dargestellte „Realität“ die aktuelle Wirklichkeit mitunter drollig konterkariert:

http://www.taz.de/uploads/images/684×342/spd_mindestlohn.jpg

Während auf diesem Bild selbst Putzmann und Putzfrau als blond und „echtdeutsch“ daherkommen, hat heute längst mehr als jede 2. Putzfrau einen „komischen“, nicht-autochtonen Namen. Selbst die Reklame der Grünen macht bei der „Weiß-heit“ keine Ausnahme: die Göre, die das „hello Kita“ dekoriert, hat ein „astrein deutsches weißes“ Gesicht.

https://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Bilder/Wahlplakate2013/GRUEN_BUND_BTW2013_Kampagne_18_1_600x424px_72dpi_sRGB_Motiv_KITA.jpg

Auch das kontrastiert merkwürdig mit der Wirklichkeit der Kitas, wo zumindest in Großstädten mehr als jedes zweite Kind eben nicht „autochton“ ist – und die größte Sorge der Kitas nicht etwa darin besteht, ein weltmännisches „hello“ zustande zubringen, sondern im Sprachgewirr überhaupt erstmal eine Kommunikation untereinander zu ermöglichen.

Nun sind in der sonstigen politischen Diskussion „Mitbürger mit Migrationshintergrund“ ja durchaus Thema: Entweder als beliebtes Objekt unserer Nachhilfe, zuallererst, weil sie uns auf dem Weg der Selbstzurichtung für den Markt der Verwertbarkeit als noch „defizitär“ erscheinen, genauso aber immer wieder als lebende Beweise für die beschworene Weltoffenheit, Toleranz und Intergrationsfähigkeit dieses Landes herhalten müssen.

In der visuellen Darstellung dieses Wahlkampfs dagegen fanden die vielthematisierten „Mitbürger mit Migrationshintergrund“ schlicht nicht statt. Was sich ja, nicht nur am Rande, für das angestrebte Resultat an Wählerstimmen durchaus kontraproduktiv auswirken kann, haben doch sehr viele mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit und damit das Wahlrecht.

Augenscheinlich aber gehören sie zum „Wir/gemeinsam“ nicht dazu. Es sind also doch „die Anderen“. Wenn man sich nochmal vor Augen führt, dass Wahlkampfreklame eben nicht das mehr oder weniger zufällige Ergebnis der Bemühungen einer Handvoll von „Kreativen“ ist, eben nicht mit einem leeren Blatt Papier beginnt, sondern mit der Sondierung, wo und wie man die Umworbenen am besten abholen kann, dann ist dieser sprichwörtlich „weiße Fleck“ besonders bezeichnend. Geriert man sich nicht allerorten gerade jetzt, anlässlich des laufenden NSU-Prozesses, als besonders sensibilisiert in dieser Materie?

Das Schlimme dabei ist, dass das anscheinend keinem auffällt. Die WAZ aus dem Ruhrgebiet beispielsweise zeigt das besprochene Bild der beiden blonden Gebäudereiniger mit einem vergnügten Kanzlerkandidaten davor. Der Untertitel, dies sei qua Darstellung „normaler Bürger“ eine an „normale Bürger“ gerichtete Botschaft, spricht nicht eben für eine kritisch-hinterfragende Rezeption.

http://www.derwesten.de/thema/bundestagswahl-2013/wahlkampf-mit-der-spd-id8256972.html 

Und auch der Tenor der in der Öffentlichkeit wahrnehmbaren Kritik am abgelaufenen Wahlkampf bleibt mit „langweilig“ und „beliebig“an der Oberfläche.

http://www.sueddeutsche.de/politik/bundestagswahlkampf-grosse-flaute-1.1749117

http://www.bz-berlin.de/aktuell/bundestagswahl/fuenf-parteien-tausende-plakate-keine-ideen-article1718237.html

Alles halb so schlimm, mag man einwenden, wo Deutschland in der Realität doch viel weiter sei: Das ist richtig. Aber vielleicht eher deshalb, weil man muss, als weil man will.

Natürlich sind Geschlechterverhältnisse Thema. Wobei bezeichnenderweise über das in den Vorständen von den 30 (!) DAX-Unternehmen heftig debattiert wird, über das an den Lidl-Kassen, für die gesellschaftliche Realität weitaus relevanter, hingegen gar nicht.

Natürlich sind „andere“, also Nicht-Weiße und Nicht-Heterosexuelle 24 Stunden lang auf den Bildschirmen zu sehen. Aber diese fast Überrepräsentation gesellschaftlicher Minderheiten in Show und Unterhaltung ist eher dem Spektakel geschuldet, als dass sie tatsächliche Akzeptanz von Unterschiedlichkeit ausdrücken würde.

Und natürlich sitzen diejenigen, die das „Wir /gemeinsam “ gewählt haben, nicht der Illusion auf, dass damit alles wieder so „gut“ würde, wie es früher einmal war.

Aber Träume sind eben mehr als Schäume und weisen durchaus in die Richtung, in die man gerne möchte. Und die ist in „Deutschland heute“ eher nach hinten als nach vorn. „Wir waschen weißer!“ war in diesem Sinne durchaus d a s Motto einer „Richtungswahl“.

Autor: Christoph Linge