Niederlage für säkulare Forderungen

Betrachtet man die Landtagswahl in Baden-Württemberg aus dem Blickwinkel säkularer Interessen, muss man eine krachende Niederlage attestieren: Mit dem haushohen Sieg der Grünen sind die Positionen von Freidenkern, Atheisten und Konfessionsfreien keineswegs gestärkt worden, kritisiert unser Gastautor:

Zwar nahm man die Grünen bislang stets als tolerante Partei wahr; im Ländle sind sie aber mehr denn je geprägt von den christlichen Werten und stehen den maroden Positionen der Vorgängerregierung aus Schwarz-Gelb in kaum etwas nach. Und auch wenn einzelne humanistische Verbände in den vergangenen Jahren der rot-grünen Koalition bemerkt haben, dass sich das Gesprächsklima mit der Politik besserte, resultierte daraus nur wenig Greifbares. Die Lockerung der Tanzverbote an den Feiertagen fiel geringfügig aus, an den wesentlichen Grundzügen einer konfessionell orientierten Schulpolitik rüttelte auch unter Kretschmann niemand.

Im Gegenteil: Der beliebte Ministerpräsident machte aus seiner religiösen Prägung kaum einen Hehl. Dazu brauchte es nicht einmal seiner Offenbarung, regelmäßig für die Kanzlerin zu beten. Und als Ergebnis aus den Wahlprüfsteinen vor der Landtagswahl ergab sich ebenso, dass die Grünen an einem christlich dominierten Baden-Württemberg festhalten wollen. Allerhöchstens ein Nebeneinander der verschiedenen Weltanschauungen, aber keinesfalls weniger Religion, so scheint ihre Devise.

Prozession mit tiefgläubiger Bedeutung

Betrachtet man nun die möglichen Koalitionsvarianten, kann aus den milden Fortschritten in Sachen Religionspolitik der letzten Jahr nun wieder nur ein Rückschritt resultieren: Findet sich ein Bündnis aus Grünen und CDU, dann kommen zwei bekennende Christen zusammen, die sich zumindest in der Frage der Bedeutung des Glaubens einig sein dürften. Kretschmann und Wolf vertreten teils konservative Forderungen aus ihrem religiösen Bekenntnis heraus. Wolf ist beständiger Teilnehmer am „Blutritt“ in Weingarten, einer katholischen Prozession mit tiefgläubiger Bedeutung. Kretschmann unterstrich immer wieder, wie sehr sein Handeln durch sein Gottvertrauen geprägt sei. Als Ministerpräsident war er beständiger Gast bei den Bischöfen und lud vor allem Kirchenvertreter bei wichtigen Fragen zum Bildungsplan oder dem Bündnis für Toleranz und Vielfalt zu sich ins Staatsministerium ein.

Entscheidet man sich dagegen für die sogenannte „Deutschland-Koalition“, so würde die CDU den Ministerpräsidenten stellen und in Sachen Religionspolitik zurück in die Tradition von Teufel, Oettinger und Mappus fallen, die nie einen Zweifel daran ließen, dass Baden-Württemberg in der Ehrfurcht vor dem Höchsten zu regieren sei. Und auch die Koalitionspartner würden hieran nichts ändern können – und wollen: Lediglich die schwache SPD, die in einer solchen Regierung angesichts ihres desaströsen Ergebnisses in der Bedeutungslosigkeit versinken würde, hatte im Vorfeld auf entsprechende Wahlprüfsteine eine geringfügige Bereitschaft zu mehr Säkularismus erkennen lassen. Doch selbst, wenn sie hierbei auch zu konkreten politischen Taten bereit wäre, wird sie nun zunächst mit sich selbst befasst sein und allenfalls Projekte ansteuern, mit denen sie sich in der Breite profilieren kann.

Und die FDP: Sie gab sich trotz des Kapitels „Liberaler Humanismus“ in ihrem Parteiprogramm vor der Wahl als die nahezu bewahrendste Kraft, wenn es um die Frage ging, an der Vormacht der Kirchen etwas zu ändern. Auffallend störrisch lehnte sie kategorisch alles ab, was in Richtung mehr Offenheit zur gesellschaftlichen Realität, nämlich der zunehmenden Konfessionslosigkeit, gehen könnte. Die Liberalen scheinen ohnehin die Blockierer der neuen Legislatur: Aus ihrem Tief scheinen sie nichts gelernt zu haben, tritt Spitzenkandidat Rülke mit seinen bescheidenen acht Prozent doch derart selbstbewusst auf, dass es auf seine Parteifreunde fast peinlich wirkt. Einer „Ampel-Koalition“ verweigert er sich, was letztlich die einzige Alternative gewesen wäre, unter der säkulare Forderungen möglicherweise die Chance auf Anklang gehabt hätten.

Bewahrer des christlichen Abendlandes

Der fulminante Einzug der AfD ins Parlament wird zu keinen Vorteilen für Anliegen aus der Ecke der Konfessionsfreien und freidenkerischen Atheisten führen. Zwar verspricht die „Alternative für Deutschland“ eine fortdauernde Islamkritik. Sie hat aber wenig mit einer Religionskritik im eigentlichen Sinne zu tun. Hinter ihr verbergen sich Ressentiments gegenüber fremden Kulturen, nicht das Beanstanden des Religiösen ist ihr Thema. Und bei genauerem Hinsehen ist die AfD gerade auch in Baden-Württemberg in Wahrheit durchsetzt von einer Vielzahl fundamentalistischer Christen, die oftmals aus der evangelikalen und streng katholischen Überzeugung heraus zu dieser Protestpartei gewechselt sind. Es finden sich Funktionäre der ehemaligen Kleinstparteien AUF („Arbeit, Umwelt, Familie – Christen für Deutschland“) und PBC („Partei Bibeltreuer Christen“), die heute zum „Bündnis C“ verschmolzen sind und in diesem Prozess zahlreiche Anhänger an die AfD verloren haben. Die AfD gilt als Bewahrer des christlichen Abendlandes – und hat nichts mit dem Eintreten für säkulare Interessen zu tun.

Die einzige Hoffnung hätte bei den Linken gelegen, die im Vorfeld zumindest in Wahlprüfsteinen deutliche Sympathien für die Anliegen aus der humanistischen Perspektive erkennen ließ. Auch wenn sich in ihren Reihen verschiedene Bewegungen auftun, die einerseits mit den Kirchen kokettieren, andererseits noch ihre Richtung im Umgang mit dem Glauben suchen, gibt es eigene innerparteiliche Arbeitsgemeinschaften, die ernsthaft über ein vernünftiges Miteinander der Religionen nachdenken. So hätte die Linke ein Hoffnungsschimmer sein können – auch wenn sie lediglich als eine Oppositionspartei in den Landtag eingezogen wäre.

Und die Piraten? Ihnen kann man zweifelsfrei eine große Offenheit gegenüber aufklärerischen Anliegen attestieren, interne Gruppierungen befassen sich mit Humanismus, Säkularismus und Laizismus – doch erreichte die Partei flächendeckend kaum mehr als ein Prozent der Stimmen. Ausschließlich als außerparlamentarische Opposition kommen beide letztgenannten also in Betracht, um der neuen Regierung Baden-Württembergs – wie immer sie auch aussehen mag – in Sachen Grundrecht auf Religions-Freiheit kritisch auf die Finger zu schauen.

Dennis Riehle