Scala, Zoffingen & Büdingen – Die Schnauze voll?
Die Verbitterung ist groß: Viele BürgerInnen haben sich massiv engagiert, um Bauprojekte etwa in Zoffingen oder auf dem Büdingen-Areal zu verhindern. Genützt hat es nichts, gebaut wird trotzdem. Woran liegt es, dass der Volkswille so wenig bewirkt? Ist das die Schuld einer gekauften Verwaltung oder am Schicksal normaler Menschen desinteressierter GemeinderätInnen? Haben die Initiativen nicht genug Druck gemacht oder nicht die richtigen Mittel gewählt? Hier der Versuch einer Bestandsaufnahme.
Wer die letzte Gemeinderatssitzung verfolgt hat, sah dort im Publikum viele neue Gesichter: Die zutiefst bürgerlichen „BürgerInnen für eine lebenswerte Stadt“ hatten sich dort eingefunden, um der Kommunalpolitik in Sachen Büdingen mal so richtig Dampf zu machen. Ich will davon schweigen, dass es vielleicht nicht sehr stilvoll ist, wenn eine Gruppe von AnwohnerInnen, die sich (mit gutem Recht!) gegen ein Bauprojekt in ihrer Nachbarschaft wehren will, durch ihren Namen suggeriert, sie sei nicht nur eine lokal begrenzte Lobbygruppe, sondern ein Zusammenschluss besorgter Menschen, denen es um das Gemeinwohl geht. Im Zorn neigen wir Menschen nun mal dazu, unser mehr oder weniger privates Anliegen für ein Anliegen der gesamten geknechteten Menschheit zu halten (oder es zumindest als solches auszugeben).
Killerargument dringend gesucht
Auch wenn die AnwohnerInnen des Zoffingen, denen das neue Gebäude auf dem Schulhof in Zukunft die Sicht versperren wird, plötzlich entdecken, dass kleinere Altersheime für die zu Betreuenden besser sind als große, ist es natürlich nicht die Sorge um das Wohl der alten Menschen, die sie umtreibt, sondern die Suche nach Argumenten für ihr ganz persönliches Anliegen. Dass die Gebäude, in denen sie wohnen, zum Teil ebenfalls erst entstehen konnten, nachdem alte Bausubstanz abgerissen oder massiv verändert wurde, hat sie selbst damals nicht gekümmert, gilt aber jetzt als Argument gegen Zoffingen. Und wer in die Hinterhöfe schaut, die teilweise Parkplätzen geopfert wurden, merkt schnell, dass es mit der Sorge um die für das Allgemeinwohl so wichtige grüne Lunge der Niederburg und die Zunahme des schrecklichen Individualverkehrs nicht so wahnsinnig weit her sein kann. Nach Car-Sharing-Pionieren sehen die zumeist gutbürgerlichen Protestierenden jedenfalls nicht aus.
Protest verpufft
Sei es, wie es sei, in beiden Fällen laufen AnwohnerInnen Sturm gegen ein Bauprojekt, das sie ganz persönlich nervt, und beiden Initiativen ist gemeinsam, dass sie es geschafft haben, sich große öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Warum sind sie dann so wirkungslos?
Als die Anti-Büdingen-Fraktion vor dem Gemeinderat in die Bütt ging, wurde klar, dass die Wut größer war als der Fleiß und der Verstand und dass die Initiative ihre Hausaufgaben zum Teil nicht gemacht hatte. Wer PolitikerInnen in Sachen Büdingen mit zornesbebender Stimme vorwirft, sie hätten ihren Amtseid verletzt, für das Wohl der Menschen zu wirken, ist bestenfalls naiv.
Nicht minder naiv ist die Annahme, dass der Oberbürgermeister oder der Gemeinderat einfach mal so beschließen können, dass es kein Hotel in Büdingen geben wird. Gemeinderat wie Verwaltung sind (neben rechtlichen Vorgaben) an ihre früheren Beschlüsse gebunden, die sie nicht einfach von heute auf morgen revidieren können. Im Baurecht denkt man in Jahren oder Jahrzehnten, und in diesem Fall sind wegweisende Entscheidungen bereits zu einer Zeit gefallen, als einige der heutigen LokalpolitikerInnen noch nicht mal auf der Welt waren (von Gerichtsentscheidungen vor Äonen ganz zu schwiegen). Es mag in Einzelfällen die Möglichkeit geben, ein Bauvorhaben ein wenig zu verzögern (wie es damals fürs Scala gefordert wurde), aber weder die Verwaltung noch Bürgermeister oder Gemeinderat haben jenen geradezu diktatorischen Entscheidungsspielraum, den ihnen die Protestierenden unterstellen. Der OB kann nicht einfach eine Baugenehmigung verhindern oder gar nachträglich kassieren.
Aus der Kirchturmperspektive
All diesen Initiativen wie Scala, Zoffingen oder Büdingen ist eins gemeinsam: Dort haben sich Menschen zusammengefunden, um Kirchturmspolitik zu treiben, das heißt, sich kurzfristig für oder gegen ein Bauvorhaben zu engagieren. Mir klingt noch im Ohr, wie es von der Scala-Initiative damals hieß „wir werden aktiv bleiben, die Stadtentwicklung in Zukunft kritisch begleiten und gegen eine weitere Kommerzialisierung der Innenstadt kämpfen“. Niemand tauchte jemals wieder im Gemeinderat auf.
BürgerInnen für ein lebenswerteres Konstanz? Wo waren sie denn, als der Gemeinderat vor einiger Zeit mit Mehrheit beschloss, das Siemens-Areal nicht zu kaufen? Wer ist Sturm gelaufen, als das innerstädtische Filetstück Vincentius den Spekulanten zum Fraße vorgeworfen wurde? Wer hat der Verwaltung oder den GemeinderätInnen (die all das mit Stimmenmehrheit abgesegnet haben) Druck gemacht, wer hat sich da denn hörbar für ein lebenswerteres, sozialeres usw. Konstanz eingesetzt? Wo sind die BürgerInnen, die dafür kämpfen, dass die Stadt Grundstücke künftig nicht mehr verkauft, sondern nur noch in Erbpacht vergibt? Wo sind die rührigen Initiativen, die sich machtvoll und hörbar für sozialen Wohnungsbau auf dem Hafner einsetzen?
Langer Atem ist gefragt
Mit einer solchen Politik des Geschreis ausschließlich um des eigenen Interesses und Quartiers willen ist allerdings kaum etwas zu erreichen – weder für sich noch für andere, und das ist der Hauptgrund dafür, dass die Zoffingen- und Büdingen-Proteste verpuffen werden.
Wer ernsthaft etwas ändern will, hat die Chance dazu, aber das braucht einen langen Atem und viel Fleiß. Wer eine andere Stadtentwicklung (auch vor seiner Haustür) will, muss sich kommunalpolitisch engagieren und neben Zeit auch die Bereitschaft mitbringen, sich mit komplizierteren Zusammenhängen auseinandersetzen. Und das geht nur gemeinsam, zum Beispiel durch eine langfristige Mitarbeit in der Lokalpolitik.
Es wäre zu wünschen, dass aus diesen Protesten tatsächlich eine Bewegung „BürgerInnen für eine lebenswerte Stadt“ entsteht, die diesen Namen verdient. Deren Aufgabe wäre es, sich tatsächlich über Jahre hinweg mit der Stadtentwicklung auseinanderzusetzen. Bei Interesse bietet die Volkshochschule sicher auch Kurse an, die InteressentInnen mit den Grundlagen der Kommunalpolitik und der Stadtentwicklungsplanung vertraut machen. Die Aufgabe einer solchen Bewegung wäre es, als Lobbygruppe für (fast) alle BürgerInnen zu wirken, sich Bebauungspläne anzuschauen, sich mit rechtlichen Rahmenbedingungen und Entscheidungsprozessen vertraut zu machen – und dann bei den PolitikerInnen und der Verwaltung Änderungen einzufordern, bevor alles zu spät ist. Das Projekt Hafner zum Beispiel wäre sicher ein solches Engagement wert.
Eine lebenswerte Stadt – Gähn!
Eine Keimzelle einer solchen Bewegung könnten die sein, die sich für das Scala, gegen Zoffingen oder gegen Büdingen engagiert haben, auch wenn es ihrem Anliegen nicht mehr hilft. Die bisherige Tour nach dem Motto „ich bin das Volk, und wenn ihr nicht tut, was ich will, bin ich in Zukunft politikverdrossen“ dürfte sich als erkennbar ineffektiv herausgestellt haben. Wie eine solche Bewegung funktionieren und dauerhaft zu einer politischen Größe heranwachsen kann, haben Institutionen wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland oder auf der anderen Seite der ADAC bewiesen. Genauso funktioniert es – etwas kleiner – auch in der Kommunalpolitik, wenn man/frau nicht lieber effektiv in einer der lokalen Parteien oder Wählervereinigungen mitarbeiten will.
Aber diese Lektion will und wird wohl niemand von den Protestierenden lernen, und so darf man denn entspannt auf das nächste größere Bauprojekt warten, bei dem sich mal wieder irgendwelche gedemütigten NachbarInnen in WutbürgerInnen verwandeln, die wegen einer Tiefgarage das große Ganze in Gefahr sehen, ehe sie wieder in ihren politischen Dämmerzustand zurückfallen – und auch bei der nächsten Kommunalwahl dieselben Parteien wie immer wählen.
O. Pugliese
Es wäre vielleicht sinnvoll, wenn der Stadtseniorenrat zusammen mit anderen einschlägig erfahrenen Institutionen eine Übersicht erarbeitete, wie viele Plätze in Senioren- und Pflegeheimen in den nächsten 20 Jahren benötigt werden, wie groß diese Einrichtungen jeweils werden sollen, wie sie ausgestattet werden müssen – und wo genau sie liegen sollen (Innenstadt & Ortschaften).
Natürlich werden sich auch weiterhin die Ansprüche und gesetzlichen Erfordernisse ändern, aber die demographische Entwicklung scheint derart stabil zu sein, dass eine solche Grundsatzplanung bereits jetzt angegangen werden kann. Parallel dazu täten natürlich auch Vorschläge not, wie genügend MitarbeiterInnen dauerhaft für diese Einrichtungen gewonnen werden können (übertarifliche Bezahlung, Dienstwohnungen usf.).
Nun bin ich doch überrascht, dass dieser Artikel als unpolemisch und sachlich bezeichnet wird. Was treibt denn die Politik anderes, als „dem Volk“ ihre Vorhaben unter diversen Deckmäntelchen zu verkaufen, um ihre Ziele zu erreichen, sprich, Argumente heranzuziehen, von denen man sich erhofft, damit durchzukommen. Ich greife hier mal das Beispiel Seniorenheim der Caritas heraus, zu dem ich persönlich viele Bedenken habe, und zwar wegen der Lebensqualität der späteren Bewohner. Unter anderem gehört auch dazu, dass aus gutem Grund kleinere Wohneinheiten angestrebt werden. Dass sich die Anwohner dieses Argument zunutze machen, heißt nicht, dass der Hinweis darauf nicht berechtigt ist.
Im Gegenzug hat die Caritas auf Mitleid und Angst gesetzt, gepaart mit dem Totschlagargument, dieser Bau sei die letzte Chance für 100 Konstanzer Senioren, denen sonst die Verlegung nach Engen (quasi in die Diaspora) drohe, und damit womöglich einem selbst, irgendwann mal und dann besucht einem kein Mensch, weil der Weg zu lang ist …, womit sie sehr erfolgreich war. Desweiteren hat sie die neue gesetzliche Vorgabe (das Recht auf Einzelzimmer) dazu benutzt, Druck auszuüben. Warum aber alle 100 Senioren gleichzeitig umziehen müssen, habe ich noch nie verstanden. Es hätte nur ein Teil von ihnen umziehen müssen, um diesem Gesetz genüge zu tun, also kann das nicht der wahre Grund gewesen sein.
So sehr ich Ihre Beiträge schätze, Herr Pugliese, Sie haben hier nur die eine Seite der Medaille beschrieben.
Wirkungslos bleiben Aktionen, weil die Menschen meist zu spät unterrichtet werden, weil aktive Bürgerbeteiligung, die Sinn macht und Nutzen bringt, nicht gewünscht ist, weil Transparenz in KN ebenso ein Fremdwort ist wie Bürgernähe, weil wir eine Ratsmehrheit haben, die Entscheidungen vor allem im Sinne einer SV trifft, deren Ziel nicht nur „Wirtschaftswachstum“ sondern „rasantes Wirtschaftswachstum“ ist. Die Entscheidungen werden nicht zum Wohl der Allgemeinheit getroffen, auch das sollte im Gemeinderat bekannt sein, denn steigende Proteste, Widerstand, Kritik, Unruhe und Unzufriedenheit sind nicht zu übersehen und nicht zu überhören. Immer mehr Menschen sorgen sich um ihre Zukunft, um Verlust nachhaltiger sozialer und ökologischer Balance. Menschen, die sich gegen Pläne „vor ihrer Haustür“ zu Recht wehren, Menschen, die man nicht einbezogen hat, die übergangen werden, deren Rechte teils mit Füßen getreten werden, aktuell Zoffingen, Büdingen etc. müssen sich verteidigen. Sie werden als „sozialneidische, Eigeninteresse verfolgende Egoisten“ bezeichnet u./od. andere kritische Bürger(gg. BoFo etc.) als Schwarzseher und Fortschrittsbremsen, als „Verhinderer“ und Wutbürger. Längst sind sie gewachsen, die Initiativen, Bürgergemeinschaften, Protestzüge, Demonstrationen, Bürger aus Stadtteilen, jeden Alters, jeder Schicht schließen sich an. Nicht zu überhören sind auch Fragen und Anliegen während der „großzügig“ gewährten Bürgersprechstunde, alleine, sie werden nicht ernst genommen. Seit Jahren beobachte ich bei unterschiedlichsten Sitzungen und Ausschüssen eine steigende Ignoranz, Arroganz, eine Entfernung von der Realität, in und mit der die meisten Menschen in Konstanz leben. Wer sich das HP Wohnen anschaut, das C-Konzept, Pläne für weitere touristische Attraktionen, die noch mehr Massen, weiteren Verkehr anziehen, der weiß, dass hier entgegen jeglichen Voraussetzungen gehandelt wird, in Zeiten des Klimawandels zukünftig ein sinnvolles Leben in intakter Umwelt zu leben. Konstanz ist zu Recht aus dem Wettbewerb „ZUKUNFTSSTADT“ ausgeschieden. Auch der Verkauf städtischer Grundstücke oder das Nicht-Agieren beim Rückkauf(Bsp. Büdingen)wertvoller Areale zeigt fehlende Weitsicht und ein Mangel an Klugheit und an Verantwortung, der uns direkt vom Chaos in den Kollaps führen wird. Dass Bürgerbeteiligungen Alibiveranstaltungen sind habe ich persönlich erlebt, ein prima Beispiel: die geplante Bebauung des Döbele,. Das Ergebnis, welches sich Welten von der rein wirtschaftlich orientierten Vorstellung der Stadt unterschied, war OB Burchardt wenige Jahre später nicht einmal mehr bekannt.
Zu Frau Thorbecke: Dass gebaut wird, dass Bäume fallen, war den Anwohnern seit Jahren bewusst. Dass sie darauf pochen, dass der Bebauungsplan eingehalten wird, ist jedoch ihr gutes Recht. Von Anfang an hat Herr Buff mit falschen Karten gespielt, er hat die Gier der SV und des Rates erkannt und sie sich zu Nutze gemacht. Nach zwei komplett überzogenen Plänen wird er nun seinen dritten faulen Kompromiss durchsetzen. Und wir sollen doch bitte dankbar sei, dass Herr Buff ein 5. Stockwerk statt der geplanten 4 baut, so erspart er uns Einheimischen und den Nachbarn den Anblick hässlicher technischer Anlagen auf dem Dach!!
Dass das Baurechtsamt die Genehmigung zur Fällung der Bäume zu diesem Zeitpunkt genehmigte, war schlichtweg unsensibel, denn dazu bestand überhaupt keine Notwendigkeit. Muss ich unbedingt Öl ins Feuer gießen? Dass weitaus mehr Bäume fallen werden, als notwendig, machte mir meine Anwesenheit bei der Sitzung des Gestaltungsbeirats klar: Gefordert werden Sicht-Achsen zum Hotel und einen „lichten Park“, unnötiger Baumbestand muss weg. Dass z. Bsp. alleine 10 Bäume fallen müssen, um den Parkbesuchern durch den Blick auf den Radweg dessen ungefährliches Überqueren zu ermöglichen, ist weiterer Frevel. Dafür gibt es andere Möglichkeiten. Schaun wir mal, liebe Christel, was übrig bleibt.
Die darauffolgende Demonstration, bei der sich übrigens auch kaum eine/r aus dem Rat zeigte, bewies, dass es inzwischen um weit mehr geht, als „nur“ um Bäume: Die Initiative für ein lebenswertes Konstanz besteht zu Recht – und sie wird getragen von Menschen aus allen Altersgruppen und allen Schichten, aus unterschiedlichen Stadtteilen, die Sprachrohre sind für jene, die zu leise bleiben. Dass weder BUND noch NaBu in Vielzahl vertreten waren zeigt wieder einmal, wie bedeckt sie sich halten(müssen?)
Wenn die meisten Mitglieder des Gemeinderats, unsere angeblichen Vertreter, jedoch Augen und Ohren verschließen, die Probleme, die Menschen aus der Bevölkerung äußern, ob leiser oder laut, ignorieren, sie sogar als unwichtig abtun, was dann?
@Ursula Jenkner
Bei dem Text handelt es sich um einen Debattenbeitrag, wie der Rubrik „Kontrovers“ unschwer zu entnehmen ist. Die vielen Kommentare zeigen deutlich, dass es Diskussionsbedarf gibt, und das ist gut so. Nicht alles, Frau Jenkner, was nicht Ihren Sichtweisen entspricht, ist gleich schlechter Journalismus. Da machen Sie es sich sehr einfach, zu einfach. Ein wenig Selbstkritik wäre schon angebracht, denn eine Initiative, die vorgibt, vehement für ein „lebenswerteres Konstanz“ einzutreten, wird nicht glaubhaft, wenn sie lediglich Partikularinteressen vertritt. Frei nach dem Motto: Wenn es vor meiner Türe brennt, dann gehe ich auf die Barrikaden, bei anderen Fehlplanungen halte ich aber meine Füße still. Das ist zu wenig und rechtfertigt nicht Ihren hohen Anspruch, den Sie vor sich hertragen. Zum Thema Büdingen, alsbald Buffingen-Park: Was hält Sie und Ihre MitstreiterInnen davon ab, mit radikaleren Aktionen auf das Thema aufmerksam zu machen? Ich bin mir sicher, dass eine (symbolische) Parkbesetzung mit Info- und Unterhaltungsprogramm auf viel Zuspruch in der Bevölkerung treffen würde. Auch wenn es reichlich spät ist für Aktionen dieser und ähnlicher Art – der Fantasie des gewaltlosen Widerstands sind doch keine Grenzen gesetzt.
@ Christel Thorbecke
Den Bäumen dürfte es egal sein, ob sie am hellerlichten Tage oder bei Nacht & Nebel und mit oder ohne Genehmigung fallen – sie möchten vermutlich gar nicht gefällt werden. Entscheidungen und Verordnungen sind immer menschengemacht – und können daher jederzeit von Menschen auch wieder geändert werden. Beim Betrieb der Atomkraftwerke war alles rechtens und legal – erst die legitime Protestkultur und der zivile Ungehorsam haben einen Wandel erwirkt, wie Herr Schulz richtig bemerkt. Wirkliche Veränderungen kommen selten aus einem temporär festgelegten Regelwerk. Wäre dieses unantastbar, wir befänden uns noch im feudalen Zeitalter.
@S.Schulz
Wann wurden in Büdingen bei einer „Nacht und Nebel Aktion“ Bäume gefällt? Haben Sie nicht gerade geschrieben, man sollte immer bei der Wahrheit bleiben? Die Wahrheit ist – und das ist ja genau das Thema des Artikels – dass es eine Fällgenehmigung für diese Bäume gab, weil es seit Jahrzehnten eine Baugenehmigung für ein Hotel dort gibt. Der Eigentümer muss sich streng an die Vorgaben halten. Die 51 Bäume, die diesem Hotel (leider!) weichen mussten, wurden am Vormittag bei strahlendem Sonnenschein vor den Augen der zahlreichen Passanten gefällt!
Ob man das akzeptieren kann, ist eine andere Sache. Aber „ungesetzlich“ war an dieser Aktion nichts, was die Formulierung „bei Nacht und Nebel“ jedoch üblicherweise zu unterstellen pflegt.
Viele der Kommentare waren genauso zu erwarten, wie sie eintrafen. Herr Pugliese hat in seinem Artikel auf ein Fakt hingewiesen, das genau betrachtet weh tut. Engagement für die eigenen Interessen ist zunächst nichts grundsätzlich Verkehrtes, doch wenn der Blick für das Ganze dabei verzerrt wird und nicht mehr wahrgenommen werden kann, wenn alle möglichen Argumente zurechtgebogen werden und zur alleinigen Wahrheit werden, dann fehlt die Reflexion.
Zu Zoffingen, diese Ecke der Niederburg wurde vor Jahrzehnten durch einen, der damaligen Zeit entsprechenden, durchaus hässlichen Schulerweiterungsbau nachhaltig verschandelt. Durch den Neubau und auch einer entsprechenden Sanierung des gesamten Baus, kann eine deutliche Aufwertung erzielt werden. Zwei Stockwerke wegzulassen, würde bedeuten, die Anzahl der ohnehin knappen Pflegeplätze in Konstanz erheblich zu dezimieren. Das spielt natürlich keine Rolle, wer braucht schon Pflegeheimplätze in der Nähe? Die Initiative für Zoffingen scheinbar nicht. Vielleicht haben diese Menschen einfach genug Geld und sind mobil genug, dass sie das nicht nicht interessieren muss, sind gesund genug, nie in die Lage zu kommen und haben auch keine betroffenen Angehörigen. Ich empfehle, sammelt Spenden und wenn ihr einige Millionen besammen habt, kauft in Konstanz einen Bauplatz und baut ein nettes zusätzliches kleines Altenpflegeheim, in dem die Menschen aus den zwei oberen geplanten Stockwerken bestens untergebracht werden können. So könnt ihr die Niederburg retten und den Abbau von Pflegeplätzen verhindern. Ach, da war ja was, ihr braucht sie ja nicht persönlich…
Schade Herr Pugliese, sonst erlebe ich ihre Berichte zum Beispiel über Gemeinderatssitzungen als ausgewogen und informativ. Von dieser Stellungnahme kann ich das leider nicht sagen. Den „absolut sachlichen Beitrag“ der ihnen in einem Kommentar bescheinigt wird, kann ich nicht erkennen. Wo zum Beispiel haben in der Niederburg Menschen „alte Bausubstanz abgerissen?“ Wo wurden Hinterhöfe Parkplätzen geopfert? Können Sie Beispiele nennen? (Wohlgemerkt: Sie sprechen hier ja von der Zoffingen-Initiative und da ginge es dann wohl um ein Beispiel, das jemanden betrifft, der diesbezüglich aktiv ist). Auch dass die Initiative „plötzlich“ den Wert von kleineren Altenheimen entdeckt habe und es dabei eigentlich nur um ein Argument für „das ganz persönliche Anliegen“ gehe, ist eine Unterstellung: Zumindest diejenigen, die nicht unmittelbar einen Betonklotz vors Fenster gesetzt bekommen, wägen durchaus ab, ob Umwelt und Stadtgestaltung für ein sinnvolles Projekt geopfert werden, oder ob hier etwas gebaut wird, was nur der Wirtschaft der Caritas dient und worunter ansonsten Heimbewohner wie Anwohner leiden.
Sie wünschen eine über den einmaligen Protest hinausgehende Bewegung und das wäre tatsächlich nicht schlecht. Die Beispiele, die sie allerdings nennen, BUND und ADAC (ist der als Vorbild geeignet???) arbeiten allesamt mit professionellen Mitarbeitern, die für ihre Tätigkeit bezahlt werden, Greenpeace und Ärzte ohne Grenzen tun das auch. Wer, wie ich einer normalen Arbeit nachgeht, wird sich darauf beschränken müssen, hier mal bei einer „Seebrücken -Demo“ mitzugehen, dort mal eine Unterschrift bei „Campact“ zu setzen und schließlich eben auch in seiner unmittelbaren Umgebung aktiv zu werden. Dabei gibt es durchaus ein Netzwerk aktiver Menschen: Ein Fotograf, der schon gegen Klein Venedig aktiv war, hat der Initiative Zoffingen geholfen, die falsche Visualisierung der Caritas aufzudecken, Menschen die in Büdingen aktiv sind, schreiben hier auch zu Zoffingen Kommentare und umgekehrt gehe ich zum Büdingen Park, wenn dort in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Bäume gefällt werden. Es gäbe also durchaus Ansätze in der Richtung, die sie beschreiben. Das könnte man unterstützen, auch seitens der Seemoz. Hilfreich wäre dabei allerdings etwas weniger Überheblichkeit und Abwertung gegenüber dem was läuft.
Sie schreiben, die Scala Initiative hätte aktiv bleiben sollen und auch die Büdingen- und Zoffingen Initiative sollten dieses tun, auch wenn sie ihr eigenes Anliegen nicht durchsetzen können. Hier denke ich, sitzen Sie im Elfenbeinturm: Kein Misserfolg motiviert wirklich. Eine der wenigen, über Jahre hinweg dauerhaften Bewegungen, die weitgehend ohne professionelle Mitarbeiter ausgekommen ist, ist die gegen die Atomkraft. Dies hat seinerzeit in Whyl mit einem Erfolg begonnen und sich von dort ebenfalls erfolgreich auf Kaiseraugst und auf ein Bleichemiewerk in Marckolsheim im Elsass ausgedehnt. Und am Anfang waren esl Kaiserstühler Weinbauern, denen es gar nicht um die Risiken der Kernkraft ging, sondern die Angst hatten, die Kühlturmwolke würde ihren Wein im Wachstum behindern. Es gab auch ein die Bewegung unterstützendes „Radio Dreyeck-Land“ und zum guten Glück gab es keinen Klugschreiber, der die Bewegung als „Politik des Geschreis“ abtat und meinte, die Bauern hätten auf der „Suche nach Argumenten“ plötzlich die Gefahren der Atomkraft entdeckt.
Wenn es ihnen ernst ist mit einer Bewegung „für eine lebenswerte Stadt“, unterstützen Sie die, die aktiv sind, statt sie abzuwerten und ertragen sie es, wenn deren Wut manchmal „größer ist als der Fleiß.“
Gibt es eigentlich auch Volkshochschulkurse für guten Journalismus?
Chapeau, Herr Pugliese, für diese Ausführungen, die zeigen, wie wichtig es ist, immer genau hin zu schauen.
Büdingen ist eine sehr alte Geschichte und wurde von den Stadtherren vor mehr als dreissig Jahren vermasselt, weil sie ihre Chance nicht erkannt haben, dieses Kleinod für die Öffentlichkeit zu kaufen. Solange sind jetzt dort die Tore geschlossen und der Park verwildert. Privateigentum – aber mit Bebauungsplan, städtischen Vorgaben und Baubewilligung. Der jetzige Eigentümer muss einige städtische Vorlagen erfüllen, sich dem Gestaltungsbeirat öffentlich stellen.
Ganz anders die gemeinnützige Caritas! Als Eigentümerin des ehemaligen „Zoffingen“ hat sie offenbar das Privileg, auf ihrem Grundstück zu machen was sie will! Da hat irgendjemand sehr viel Einfluss hinter der demokratischen Bühne. Dass auf diesem sehr engen und kleinen Platz mit vier wohl gesetzten prächtigen Kastanien am Rande der mittelalterlichen Niederburg der geplante viel zu mächtige Bauklotz die ganze Ecke für immer verschandeln und die armen älteren pflegebedürftigen Menschen viel zu sehr einzwängen wird, kann eigentlich jeder sehen.
Und jetzt kommt der Unterschied zum Büdingen und zum Scala: Hier hätte der Gemeinderat noch die einmalige Chance gehabt, einen Bebauungsplan zu fordern, der die Eigentümerin Caritas verpflichtet, das Ganze in den Blick zu nehmen und diesen Bau auf seine Notwendigkeit hin und auf seine Umweltverträglichkeit zu überprüfen! Die Freien Grünen haben gerade fünf Minuten vor Zwölf den Antrag auf einen Bebauungsplan dieses städtebaulich sensiblen Geländes zur Abstimmung gestellt. Vergebens. Nicht einmal alle Mitglieder der Fraktion der Freien Grünen Liste haben diesem klugen und umsichtigen Antrag zugestimmt.
Die Mehrheit der Räte ist der Meinung, die Caritas darf bauen wie sie will. Der Gestaltungsbeirat tagte nicht öffentlich! Die Anwohner, bzw. die interessierte Öffentlichkeit wurde lediglich „informiert“. Keine kleinste Chance auf Beteiligung. Der Chef der Caritas gibt selber öffentlich zu, dass es hier nur um Rentabilität geht!
Ein Bebauungsplan hätte die Eigeninteressen der Caritas auf den öffentlichen Prüfstand gehoben. Sie könnten nicht einfach ohne Baugenehmigung bauen. Man hätte Nutzen und Schaden in Ruhe öffentlich gegeneinander abwägen können. Solange die Stadträte wieder gewählt werden, die diese demokratische Kontrolle ohne Not abgelehnt haben, wird so etwas immer wieder passieren. So funktioniert Demokratie. Einfach anders wählen!
Die Niederbürgler, die sich gegen das geplante Bauprojekt Zoffingen wenden, haben sich – anders als Herr Pugliese wahrgenommen hat – sehr intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie ein Kompromiss zwischen den beiden in Konflikt stehenden Zielen aussehen könnte: wie kommt man mit dem frei gewordenen Gebäude Zoffingen zu einer Erhöhung der in Konstanz dringend notwendigen Platzkapazitäten für Pflegebedürftige ohne dabei das markante mittelalterliche Stadtbild zu zerstören? Viele Niederbürgler sind allerdings enttäuscht, dass sie ihre Ortskenntnis und Ideen überhaupt nicht in den Planungsprozess haben einbringen können, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Und dies obwohl Konstanz einen Sozialbürgermeister hat, der früher einmal zu folgender Erkenntnis gelangte: „ … Die bekannten Planungskatastrophen, in denen man aus rein fachlicher, monodisziplinärer Sicht konsequent an der Bevölkerung vorbeigeplant hat, sind unter anderem dadurch entstanden, dass die öffentlichen Entscheidungsträger auf eine wichtige Informationsquelle verzichtet haben: das Erfahrungs- und Anwenderwissen der Bürgerinnen und Bürger. Das Erfahrungswissen der Bewohner im Stadtteil sind bei der Planung städtischer Infrastruktur unverzichtbar, um nachhaltige Lösungen zu erzielen. …“
Sehr geehrter Herr Pugliese,
anstelle Ihrer polemischen Nadelstiche gegen die Initiative für den Erhalt des mittelalterlichen Stadtbildes in der Niederburg, mit dem die Stadt Konstanz übrigens intensiv wirbt, wäre Ihrerseits eine sachliche Argumentation von Nöten.
Ihre Behauptung, es gehe um rein lokale, private Anliegen wie bsw. versperrte Sicht, zeigt, dass Sie mit den Verhältnissen vor Ort nicht vertraut sind. Zu keiner Zeit waren die Niederburg Anwohner gegen einen Bau des Pflegeheims auf dem Zoffingen Gelände. Die „Sicht „wird so oder so „versperrt“ sein. Der Protest richtet sich allerdings gegen den 17 Meter hohen Anbau, der die umliegenden mittelalterlichen Häuser geradezu erdrückt. Zwei Etagen weniger würden das charakteristische Stadtbild nicht so zerstören. Außerdem ist die geplante chaotische Verkehrsführung für den zusätzlichen Zoffingenverkehr weiterhin äußerst problematisch. Da haben Sie auch noch eigene Hausaufgaben zu erledigen.
@Lutz E. Krause – ich bin da ganz bei Ihnen. Und ja auch selbst als Aktivistin gegen Kinderarmut und für Alleinerziehende gewissermaßen Teil einer Protestkultur, und das schon viel länger, als ich Stadträtin bin.
Aber ich kenne eben mittlerweile beide Seiten, und es hat mich sehr bereichert, von der Seite derjenigen, die „nur“ protestieren und fordern, zu jenen zu stoßen, die sich tiefergehend mit der Materie befassen müssen. Da lernt man nämlich, was geht, was nicht, und warum. Erst wenn man das weiß, kann man das System ändern.
@Christine Finke
Der heutige Gemeinderat ist sicherlich weit entfernt von den Zuständen der 60er und 70er Jahre, wie sie Erwin Reisacher in seinem Buch ›Steinige Wege am See‹ beschrieben hat. Doch es gibt auch heute noch Versuche, Gremien für Partikularinteressen zu instrumentalisieren, wie z. B. Litzelstetten ›Im Loh‹ und aktuelles Bauprojekt Schiffstrasse.
Die heutige Meldung, daß Mietpreise und Wohnungserwerb in Konstanz unter allen Städten dieser Größe bundesweit auf dem Höchststand sind, sollte zu denken geben, ob das verabschiedete ›Handlungsprogramm Wohnen‹ etwa tatsächlich zum Wohl der gesamten Stadt ist – oder nicht primär dem Interesse einer Handvoll Investoren dient, die hier für ihre internationale Kundschaft die beste Rendite ausgemacht haben (siehe auch Empira Studie: Mehr Wohnungsneubau treibt Mieten https://www.haufe.de/immobilien/entwicklung-vermarktung/marktanalysen/empira-studie-mehr-wohnungsneubau-treibt-mieten_84324_449270.html).
Das Wohl der Stadt im Sinn zu haben, mag heute für die meisten Ratsmitglieder gelten – doch es ist keine Gewähr für Fehlentscheidungen. Eine Protestkultur – auch wenn sie nur temporär ist – beinhaltet immer ein außerparlamentarisches Korrektiv, ist Teil einer lebendigen demokratischen Gesellschaft und sollte für gewählte Mandatsträger daher weniger Bedrohung als vielmehr Erweiterung des eigenen Blickwinkels sein.
Herzlichen Dank für diesen unpolemischen, absolut sachlichen Beitrag, Herr Pugliese; solche wünsche ich mir auf seemoz noch mehr. Man kann sich sehr wohl auch lokal und kommunalpolitisch für „das Ganze“ betätigen bzw. einsetzen, ohne dem Gemeinderat anzugehören oder immer nur dann die Stimme zu erheben, wenn es um eigene Interessen geht.
Danke. Und aus gemeinderätlicher Sicht sei gesagt: Was aussieht wie „Vorlagen durchwinken“ oder einfach etwas absegnen ist meist das Ergebnis langer Diskussionen, bei denen wir uns ebenso wie die „besorgten Bürger“ fragen, was denn realistisch überhaupt umzusetzen ist und wo unsere Handlungsspielräume sind. Denn oft wünschen wir uns auch etwas anderes, als dann beschlossen wird. Aber wie Sie sagen, Herr Pugliese – es ist kompliziert.
Von daher wünsche ich mir auch, dass sich möglichst viele Menschen etwas tiefergehend für Kommunalpolitik interessieren. Als Stadträte müssen wir das Wohl der gesamten Stadt im Auge haben, und Partikularinteressen zu bedienen, kann unser Ziel nicht sein. Darauf haben sind wir schließlich auch vereidigt worden, und ich bin überzeugt, dass die meisten von uns diesen Eid sehr ernst nehmen.
Auch wenn sich bei einigen Zeilen grosser Widerstand in mir regt, fühle ich mich doch auch einigermassen „ertappt“.
Danke für diesen Debattenbeitrag