Scala, Zoffingen & Büdingen – Die Schnauze voll?

Die Verbitterung ist groß: Viele BürgerInnen haben sich massiv engagiert, um Bauprojekte etwa in Zoffingen oder auf dem Büdingen-Areal zu verhindern. Genützt hat es nichts, gebaut wird trotzdem. Woran liegt es, dass der Volkswille so wenig bewirkt? Ist das die Schuld einer gekauften Verwaltung oder am Schicksal normaler Menschen desinteressierter GemeinderätInnen? Haben die Initiativen nicht genug Druck gemacht oder nicht die richtigen Mittel gewählt? Hier der Versuch einer Bestandsaufnahme.

Wer die letzte Gemeinderatssitzung verfolgt hat, sah dort im Publikum viele neue Gesichter: Die zutiefst bürgerlichen „BürgerInnen für eine lebenswerte Stadt“ hatten sich dort eingefunden, um der Kommunalpolitik in Sachen Büdingen mal so richtig Dampf zu machen. Ich will davon schweigen, dass es vielleicht nicht sehr stilvoll ist, wenn eine Gruppe von AnwohnerInnen, die sich (mit gutem Recht!) gegen ein Bauprojekt in ihrer Nachbarschaft wehren will, durch ihren Namen suggeriert, sie sei nicht nur eine lokal begrenzte Lobbygruppe, sondern ein Zusammenschluss besorgter Menschen, denen es um das Gemeinwohl geht. Im Zorn neigen wir Menschen nun mal dazu, unser mehr oder weniger privates Anliegen für ein Anliegen der gesamten geknechteten Menschheit zu halten (oder es zumindest als solches auszugeben).

Killerargument dringend gesucht

Auch wenn die AnwohnerInnen des Zoffingen, denen das neue Gebäude auf dem Schulhof in Zukunft die Sicht versperren wird, plötzlich entdecken, dass kleinere Altersheime für die zu Betreuenden besser sind als große, ist es natürlich nicht die Sorge um das Wohl der alten Menschen, die sie umtreibt, sondern die Suche nach Argumenten für ihr ganz persönliches Anliegen. Dass die Gebäude, in denen sie wohnen, zum Teil ebenfalls erst entstehen konnten, nachdem alte Bausubstanz abgerissen oder massiv verändert wurde, hat sie selbst damals nicht gekümmert, gilt aber jetzt als Argument gegen Zoffingen. Und wer in die Hinterhöfe schaut, die teilweise Parkplätzen geopfert wurden, merkt schnell, dass es mit der Sorge um die für das Allgemeinwohl so wichtige grüne Lunge der Niederburg und die Zunahme des schrecklichen Individualverkehrs nicht so wahnsinnig weit her sein kann. Nach Car-Sharing-Pionieren sehen die zumeist gutbürgerlichen Protestierenden jedenfalls nicht aus.

Protest verpufft

Sei es, wie es sei, in beiden Fällen laufen AnwohnerInnen Sturm gegen ein Bauprojekt, das sie ganz persönlich nervt, und beiden Initiativen ist gemeinsam, dass sie es geschafft haben, sich große öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Warum sind sie dann so wirkungslos?

Als die Anti-Büdingen-Fraktion vor dem Gemeinderat in die Bütt ging, wurde klar, dass die Wut größer war als der Fleiß und der Verstand und dass die Initiative ihre Hausaufgaben zum Teil nicht gemacht hatte. Wer PolitikerInnen in Sachen Büdingen mit zornesbebender Stimme vorwirft, sie hätten ihren Amtseid verletzt, für das Wohl der Menschen zu wirken, ist bestenfalls naiv.

Nicht minder naiv ist die Annahme, dass der Oberbürgermeister oder der Gemeinderat einfach mal so beschließen können, dass es kein Hotel in Büdingen geben wird. Gemeinderat wie Verwaltung sind (neben rechtlichen Vorgaben) an ihre früheren Beschlüsse gebunden, die sie nicht einfach von heute auf morgen revidieren können. Im Baurecht denkt man in Jahren oder Jahrzehnten, und in diesem Fall sind wegweisende Entscheidungen bereits zu einer Zeit gefallen, als einige der heutigen LokalpolitikerInnen noch nicht mal auf der Welt waren (von Gerichtsentscheidungen vor Äonen ganz zu schwiegen). Es mag in Einzelfällen die Möglichkeit geben, ein Bauvorhaben ein wenig zu verzögern (wie es damals fürs Scala gefordert wurde), aber weder die Verwaltung noch Bürgermeister oder Gemeinderat haben jenen geradezu diktatorischen Entscheidungsspielraum, den ihnen die Protestierenden unterstellen. Der OB kann nicht einfach eine Baugenehmigung verhindern oder gar nachträglich kassieren.

Aus der Kirchturmperspektive

All diesen Initiativen wie Scala, Zoffingen oder Büdingen ist eins gemeinsam: Dort haben sich Menschen zusammengefunden, um Kirchturmspolitik zu treiben, das heißt, sich kurzfristig für oder gegen ein Bauvorhaben zu engagieren. Mir klingt noch im Ohr, wie es von der Scala-Initiative damals hieß „wir werden aktiv bleiben, die Stadtentwicklung in Zukunft kritisch begleiten und gegen eine weitere Kommerzialisierung der Innenstadt kämpfen“. Niemand tauchte jemals wieder im Gemeinderat auf.

BürgerInnen für ein lebenswerteres Konstanz? Wo waren sie denn, als der Gemeinderat vor einiger Zeit mit Mehrheit beschloss, das Siemens-Areal nicht zu kaufen? Wer ist Sturm gelaufen, als das innerstädtische Filetstück Vincentius den Spekulanten zum Fraße vorgeworfen wurde? Wer hat der Verwaltung oder den GemeinderätInnen (die all das mit Stimmenmehrheit abgesegnet haben) Druck gemacht, wer hat sich da denn hörbar für ein lebenswerteres, sozialeres usw. Konstanz eingesetzt? Wo sind die BürgerInnen, die dafür kämpfen, dass die Stadt Grundstücke künftig nicht mehr verkauft, sondern nur noch in Erbpacht vergibt? Wo sind die rührigen Initiativen, die sich machtvoll und hörbar für sozialen Wohnungsbau auf dem Hafner einsetzen?

Langer Atem ist gefragt

Mit einer solchen Politik des Geschreis ausschließlich um des eigenen Interesses und Quartiers willen ist allerdings kaum etwas zu erreichen – weder für sich noch für andere, und das ist der Hauptgrund dafür, dass die Zoffingen- und Büdingen-Proteste verpuffen werden.

Wer ernsthaft etwas ändern will, hat die Chance dazu, aber das braucht einen langen Atem und viel Fleiß. Wer eine andere Stadtentwicklung (auch vor seiner Haustür) will, muss sich kommunalpolitisch engagieren und neben Zeit auch die Bereitschaft mitbringen, sich mit komplizierteren Zusammenhängen auseinandersetzen. Und das geht nur gemeinsam, zum Beispiel durch eine langfristige Mitarbeit in der Lokalpolitik.

Es wäre zu wünschen, dass aus diesen Protesten tatsächlich eine Bewegung „BürgerInnen für eine lebenswerte Stadt“ entsteht, die diesen Namen verdient. Deren Aufgabe wäre es, sich tatsächlich über Jahre hinweg mit der Stadtentwicklung auseinanderzusetzen. Bei Interesse bietet die Volkshochschule sicher auch Kurse an, die InteressentInnen mit den Grundlagen der Kommunalpolitik und der Stadtentwicklungsplanung vertraut machen. Die Aufgabe einer solchen Bewegung wäre es, als Lobbygruppe für (fast) alle BürgerInnen zu wirken, sich Bebauungspläne anzuschauen, sich mit rechtlichen Rahmenbedingungen und Entscheidungsprozessen vertraut zu machen – und dann bei den PolitikerInnen und der Verwaltung Änderungen einzufordern, bevor alles zu spät ist. Das Projekt Hafner zum Beispiel wäre sicher ein solches Engagement wert.

Eine lebenswerte Stadt – Gähn!

Eine Keimzelle einer solchen Bewegung könnten die sein, die sich für das Scala, gegen Zoffingen oder gegen Büdingen engagiert haben, auch wenn es ihrem Anliegen nicht mehr hilft. Die bisherige Tour nach dem Motto „ich bin das Volk, und wenn ihr nicht tut, was ich will, bin ich in Zukunft politikverdrossen“ dürfte sich als erkennbar ineffektiv herausgestellt haben. Wie eine solche Bewegung funktionieren und dauerhaft zu einer politischen Größe heranwachsen kann, haben Institutionen wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland oder auf der anderen Seite der ADAC bewiesen. Genauso funktioniert es – etwas kleiner – auch in der Kommunalpolitik, wenn man/frau nicht lieber effektiv in einer der lokalen Parteien oder Wählervereinigungen mitarbeiten will.

Aber diese Lektion will und wird wohl niemand von den Protestierenden lernen, und so darf man denn entspannt auf das nächste größere Bauprojekt warten, bei dem sich mal wieder irgendwelche gedemütigten NachbarInnen in WutbürgerInnen verwandeln, die wegen einer Tiefgarage das große Ganze in Gefahr sehen, ehe sie wieder in ihren politischen Dämmerzustand zurückfallen – und auch bei der nächsten Kommunalwahl dieselben Parteien wie immer wählen.

O. Pugliese