SOS: Kommunen im Würgegriff

Im Landkreis Konstanz sind vorläufig weder Büchereien noch Schwimmbäder von der Schließung bedroht. Doch das kann sich ändern. Die Wirtschafts- und Finanzkrise macht auch vor der Bodenseeregion nicht Halt. Was auch auf uns zukommen könnte, beschreibt seemoz- Autor Werner Ruegemer

Auf die deutschen Kommunen wird geschimpft wie auf die griechischen Schuldenmacher. Doch in beiden Fällen herrscht mehr Psychokrieg als Wahrheitsliebe. Griechenlands Statistikschummelei wäre nicht möglich ohne die Mithilfe US-amerikanischer Banken, französischer Rüstungsverkäufer und Schmiergeldzahler namens Siemens. Und ungleich mehr Schulden als die Kommunen machen in Deutschland die Bundesregierung und die Landesregierungen, die ohne Sinn und Verstand bankrotte Banken retten, die sich mit ihrer Hilfe verspekuliert haben.

Der Druck auf die Kommunen

Es ist richtig, dass in vielen Kommunen im Laufe des letzten Jahrzehnts auch dubiose, ja gesetzwidrige Wege gegangen wurden: Cross Border Leasing, Derivate und Zinswetten (Swap-Geschäfte) sollten auf scheinbar clevere Weise Geld in die Kasse bringen. Doch auch hier wird gern verschwiegen, dass die Berliner Regierungen dasselbe über die Bundesunternehmen Telekom, Deutsche Post, Deutsche Bahn und Deutsche Flugsicherung machten.

Und es wird auch hier verschwiegen, daß die Banken, die diese „Finanzinnovationen“ den Stadtkämmerern andienten, vorher durch die Deregulierung des Finanzsektors aus Berlin die Freigabe erhalten hatten.
Bei aller möglichen Miß- und Klüngelwirtschaft in den Kommunen ist unbestreitbar: Ihre strukturelle Verschuldung wurde und wird durch die Bundesregierungen verursacht, in zweiter Linie durch die Landesregierungen. Beginnend mit der deutschen Vereinigung, dann insbesondere seit etwa dem Jahre 2000 folgten die Bundesregierungen dem neoliberalen Muster: Neben der Aufwertung der Großbanken und der Export- und Energiekonzerne gehört dazu die Abwertung des öffentlichen Dienstes und der Kommunen, während der Zentralstaat ausgebaut wurde.

Allein die Steuergesetzgebung der rot-schwarzen Bundesregierung seit 2005 bringt den Kommunen bis 2013 einen Verlust von knapp 20 Milliarden Euro. Und allein die ersten Steuersenkungen der neuen gelb-schwarzen Regierung seit Anfang 2010 („Wachstumsbeschleunigungs-Gesetz“) führen zu jährlichen Verlusten der Kommunen von 1,6 Milliarden Euro. Die Bundesländer tun das Ihrige dazu: So belastet die gelb-schwarze Landesregierung von Nordrhein-Westfalen die Kommunen durch neue Kürzungen und Aufgabenübertragungen allein im Jahr 2010 mit 375 Millionen Euro.

Die Bundesregierung schädigt die Kommunen noch ganz anders. Sie haben Milliarden Euro in umweltschonende und effektive Energie-Technologien investiert – im Vertrauen auf die Abschaltung der Atomkraftwerke. Die Regierung will nun aber deren Laufzeit verlängern. Durch den konkurrenzlos billigen Atomstrom aus den bereits abgeschriebenen Atommeilern der vier großen Energiekonzerne würden die kommunalen Investitionen weitgehend entwertet, Einnahmen fallen aus.

Leichen pflastern ihren Weg

Gegenüber diesen strukturellen Maßnahmen mit Milliardeneffekt nehmen sich gegenwärtige Versuche zu fieberhaften Einsparungen und neuen Geldquellen in den Kommunen wie absurdes Theater aus. Um ein paar Euro zu sparen, werden Öffnungszeiten von Bibliotheken um weitere paar Stunden verkürzt, in den Bädern wird die Wassertemperatur um ein paar Grad Celsius abgesenkt, die Straßenbeleuchtung in Außenbezirken wird ausgeschaltet; Preise für Schwimmbäder, Kindergärten und Volkshochschulkurse werden erhöht, Hotel- und Sexsteuern werden erhoben. Freundliche Bürger dürfen ihr Namensschildchen auf Parkbänke und Theaterstühle nageln, weil sie für 200 Euro den Bank- und Stuhl-Paten spielen. Und ein großer Versicherungskonzern übernimmt gnädigerweise für 15.000 Euro im Jahr die Kosten dafür, dass im Springbrunnen auf dem Marktplatz das Wasser weiter fließen kann. Makaber wird es, wenn etwa die Stadt Grevenbroich die Leichen ihrer armen Bürger, für die sie zuständig ist, in ein anderes Bundesland zur Verbrennung und Bestattung schickt, weil dies dort ein paar Euro billiger ist.

Doch schon bei etwas größeren Routineaufgaben versagt diese pea nuts-Methode. Schulen, Bäder, Bürgerbüros, Jugendzentren, Theater werden geschlossen. Parks verwildern. Straßenlöcher bleiben Straßenlöcher. Ganztagsplätze in Kindergärten und Horten werden gestrichen. Freie Träger im sozialen und kulturellen Bereich erhalten keine Zuschüsse mehr. Welche Verwüstungen in einem der reichsten Länder der Welt! Das wäre erst der Anfang – und die angeblich immer noch irgendwie beliebte Bundeskanzlerin Merkel blicket stumm in der ganzen Wüste herum.

Die alten Seilschaften greifen immer noch

Alle bisherigen neuen Heilmittel sind gescheitert. Das betrifft nicht nur Cross Border Leasing und ähnliches. Auch nach dem (Teil-)Verkauf von Stadtwerken und anderen kommunalen Unternehmen sind die Kassen leerer und die Schulden höher als vorher. Bei den Berliner Wasserbetrieben BWB erhöhen RWE und Veolia die Preise auf europäische Rekordhöhe und kassieren die Gewinne ab. Städte wie Solingen und Kiel, die sich für ihre Stadtwerke einen gelobten „strategischen Partner“ ins Haus geholt haben, finden sich ausgepowert wieder: Der „strategische Partner“ hat vor allem für sich selbst gesorgt, hat Arbeitsplätze abgebaut und Dienstleistungen an eigene Tochterfirmen vergeben. Nach dem Verkauf von 48.000 kommunalen Wohnungen in Dresden explodieren dort die Mieten und die städtischen Schulden wachsen schon wieder.

Aus solchen Erfahrungen haben so manche Stadtobere immer noch nichts gelernt. Gerade jetzt holen sie sich teure Berater. Rüsselsheim etwa will sich mithilfe der Bertelsmann-Stiftung selbst aus dem Sumpf ziehen: Die strukturellen Ursachen der Verschuldung werden nicht benannt. Bei der neuen Privatisierungsmethode Public Private Partnership (PPP) bahnt sich ein neues Desaster an.

Immer noch fällt es Stadtoberen schwer, sich aus der Kumpanei mit dubiosen Investoren zu lösen. Der Europäische Gerichtshof hat den PPP-Vertrag der Stadt Köln mit dem Investor Oppenheim zu den neuen Messehallen für unwirksam erklärt. Die Bank Oppenheim ging pleite, die Vorstände, mit denen der Vertrag unterschrieben wurde, wurden wegen Unfähigkeit geschasst: Die Stadt könnte den Vertrag neu verhandeln, die Messehallen zum wirklichen Wert kaufen und dabei eine dreistellige Millionensumme sparen. Aber nichts dergleichen geschieht, lieber kürzt man in aufwendigen Auseinandersetzungen den freien Trägern dort 5.000 Euro, hier 2.000 Euro.

BürgerInnen werden aktiv

Die kommunale Infrastruktur ist eine elementare Voraussetzung für den Sozialstaat und den Zusammenhalt der Gesellschaft, für ein sicheres Leben der Bürger. In der Bevölkerung hat sich inzwischen die Meinung verfestigt, dass die Daseinsvorsorge in kommunale und öffentliche Hand gehört. Die kommunale Infrastruktur ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Die im Grundgesetz garantierte Selbstverwaltung der Kommunen erfordert dafür ausreichende Finanzen. Alles andere ist Verfassungsbruch.

In vielen Städten sind Bürger längst selbst aktiv geworden. Sie bilden offene Foren, treffen sich wie „Köln kann auch anders“ jede Woche montags 18.00 Uhr vor dem Rathaus, laden Bürgerinitiativen und Experten zum Erfahrungsaustausch ein. Kritische Stadträte und städtische Personalräte koordinieren sich überregional. Die Vorschläge von vielen Seiten liegen auf dem Tisch: Kurzfristiger staatlicher Rettungsschirm für die Kommunen, Gemeindewirtschaftssteuer unter Einschluß der freien Berufe, Gründung neuer öffentlicher Energie- und Wohnungsunternehmen, Offenlegung und Rückabwicklung dubioser Privatisierungsverträge, Ausbau und Qualifizierung des öffentlichen Dienstes, Zinsmoratorium – es ist gar nicht so schwer, wenn wir der demokratischen Fantasie nur freien Lauf lassen!

Foto: © Michael Ottersbach / PIXELIO
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Autor/In: Werner Ruegemer