Steife Brise für Amtsblatt und Co.

In der breiten Vielfalt an Meldungen, die uns täglich über die Nachrichtenkanäle erreicht, geht manche beachtenswerte Neuigkeit unter, die großflächige Auswirkungen auf unseren Alltag haben könnte. Ähnlich ergeht es wohl einem Urteil des Bundesgerichtshofes, das zwar in der Sache wenig Aufsehen erregen dürfte, in der Praxis aber vor allem in Deutschlands Rathäusern für großes Kopfzerbrechen sorgen wird: Es geht um die Frage, welche Rechte der Staat hat, wenn er in die Rolle eines berichterstattenden Mediums zu schlüpfen versucht – beispielsweise, indem er ein kostenloses Amtsblatt verteilt, wie es auch in Konstanz geschieht.

Einem jahrelangen Rechtsstreit wurde nun ein höchstrichterliches Urteil entgegengesetzt: Das Landgericht in Ellwangen und das Oberlandesgericht in Stuttgart hatten sich bereits mit der Frage beschäftigt, wie weit sich Medien und Staat zu distanzieren haben, um den grundgesetzlichen Ansprüchen einer Staatsferne der Presse Genüge zu tragen. Dieses abzuleitende Gebot aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantiert nicht nur der schreibenden Zunft die Freiheit in ihrem Tun; es sichert ihr auch zu, sich auf die Regeln des Marktes verlassen zu dürfen, welche unter anderem in § 3a des „Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb“ (UWG) festgeschrieben sind.

Presseähnliche Amtsblätter: Verstoß gegen „Marktverhaltensregelung“

Demnach gilt, dass rechtswidrig derjenige handelt, der „einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen“ (ebd.). Seine Interessen spürbar beeinträchtigt sah offenbar ein privates Verlagsunternehmen, das sich gegen die große Kreisstadt Crailsheim zur Wehr setzte – und nun auch vor den Bundesrichtern Recht bekam. In ihrem Urteil mit Aktenzeichen I ZR 112/17 vom 20.12.2018 erklärten diese zusammenfassend, dass die öffentliche Hand nicht die Aufgabe der Presse wahrnehmen darf. Viel eher schützen Grundgesetz und UWG die Presse vor Mitbewerbern aus den deutschen Rathäusern, die in ihren eigenen Medien versuchen, das Tagesgeschehen aus der Gemeinde zeitungsähnlich an den Mann zu bringen.

Konkret ging es um folgenden Sachverhalt: Die Stadt Crailsheim lässt seit 1968 ein kommunales Amtsblatt drucken. Dieses „Stadtblatt“ enthält neben einem amtlichen auch einen redaktionellen sowie einen Anzeigenteil – wobei die Stadt den redaktionellen Abschnitt selbst betreut. Zunächst erfolgte der Verkauf über ein Abonnement und im Einzelhandel, nach einem Beschluss des Stadtrates aus dem Jahr 2015 verteilt die Gemeinde ihr Produkt seit Anfang 2016 kostenlos an 17.000 Haushalte. Was zunächst wie eine Selbstverständlichkeit klingt und in vielen Städten des Landes ähnliche Routine sein dürfte, stellt laut Bundesgerichtshof (BGH) aber einen Verstoß gegen eine „Marktverhaltensregelung“ dar, sprich: Eine Gemeinde darf den freien Markt der Presse nicht dadurch irritieren, dass sie selbst zum Akteur der berichtenden Zunft wird und einen Kreislauf behindert, der gerade in Zeiten eines sich wandelnden Konsums an Presseerzeugnissen immer sensibler und umkämpfter wird.

Kommunen sind keine Medien!

Im aktuellen Fall hat der BGH die Gemeinde nun zur Unterlassung der Verteilung seines „Stadtblattes“ verpflichtet, denn die kostenlose Ausgabe eines solchen Amtsblattes im Bezirk des privaten Verlagsunternehmens kann aufgrund der Staatsferne der Presse nicht rechtmäßig sein. Kommunen dürften demnach nicht die Aufgabe der Medien übernehmen – und im redaktionellen Sinne über das Gemeindeleben berichten. Andernfalls würde der Staat in den Wettbewerb privater Verlage und Co. eingreifen, seine besondere Stellung ausnutzen und den freien Markt beschneiden, was gerade unter dem Aspekt der Trennung zwischen Medien und öffentlicher Hand verfassungsrechtlich unzulässig wäre.

Auch wenn den Kommunen ein Selbstverwaltungsrecht zukommt, das sie laut den meisten Gemeindeordnungen dazu verpflichtet, die Bürgerinnen und Bürger über gemeindepolitische Themen zu unterrichten, so unterliegt dies dem grundgesetzlichen Anspruch der Presse, auf dem Gebiet der redaktionellen Berichterstattung eine hoheitliche Monopolstellung einzunehmen. Den Kommunen ist es also fortan untersagt, über Nachrichten aus dem Gemeindeleben zu berichten, die nicht unmittelbar ihr eigenes Verwaltungshandeln betreffen. Kurz gesagt: Eine Gemeinde darf zwar über die Ergebnisse der letzten Stadtratssitzung unterrichten, nicht aber über die Mitgliederversammlung des ortsansässigen Kleintierzüchtervereins.

Zeitungsverlage künftig im Vorteil

Was bedeutet das nun für die betroffenen Städte? Gerade die Gemeinden, die ihre kostenlosen Amtsblätter mit redaktionellen Inhalten füllen, müssen künftig genau abwägen, was rechtlich erlaubt ist. Zwar bleiben amtliche Bekanntmachungen legitim, doch die bisherige Vorgehensweise, sich Themen aus dem öffentlichen Leben zu bedienen, ist nun tabu. Über Geschehnisse aus Sport, Kultur und Kunst, aus Vereinen und Bürgergemeinschaften, aus politischen Gruppierungen und Kirchen, aus Ehrenamt und Unternehmen darf nur noch dann berichtet werden, wenn die Meldung in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Handeln von Gemeinderat und Stadtverwaltung steht. Besonders kritisch wird die Lage dann, wenn die Aufmachung der Verlautbarungen auch noch der der Presse nahekommt, wenn Schreibstil und Wortwahl journalistisch aufgemacht wirken, wenn Bilder und Illustrationen Pressefotos ähnlich sehen oder wenn Infokästen, Überschriften und Teilabsätze denen eines professionellen Zeitungsartikels zum Verwechseln gleich sind.

Auch in Konstanz wird man mit den öffentlichen Publikationen fortan sensibler umgehen müssen. Zu klären bleibt beispielsweise, ob die Statuten für das hiesige Amtsblatt völlig neu überarbeitet und angepasst werden müssen – in der Frage, wie viel Inhalt abseits der reinen Verwaltungsmeldungen noch sein darf und wie Berichte dargeboten werden, die sich vielleicht nicht unmittelbar kategorisieren lassen. Jedenfalls bedeutet die Entscheidung des Bundesgerichtshofs eine Mehrarbeit für die Pressestellen und Redaktionen der Gemeinden, die ihre Amtsblätter nun akribisch dahingehend zu überprüfen haben, ob im Einzelfall eine Überschreitung der eigenen Kompetenzen vorliegt. Mit dem Beschluss des BGH sind Zeitungsverlage klar im Vorteil, wenn sie ihre Interessen in Sachen Hoheitsrechte über die redaktionelle Berichterstattung verletzt sehen.

Unmittelbare Folgen der Entscheidung schon heute absehbar

Je näher ein Artikel eines Amtsblattes künftig der Schreibe und der Aufmachung eines Beitrages kommt, der gleichzeitig in der freien Presse hätte veröffentlicht werden können, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass seine Verbreitung über den kostenlosen Kanal der kommunalen Verlautbarungen irregulär ist. Ziel des Urteils ist eine Stärkung der Medien, deren Kernkompetenz die Information ihrer Leserinnen und Leser ist – die Kommunen müssen zurückstecken, weil für sie die Unterrichtung der Bevölkerung nur ein Zubrot sein kann. Amtsblätter, die bislang manche Lücken mit Berichten aus der zivilgesellschaftlichen Landschaft ihrer Gemeinde gefüllt hatten, müssen nun umdenken. Die Bürger werden fortan wieder stärker auf die Presse, aber auch auf die zunehmende Zahl freier Blogs und Nachrichtenportale setzen müssen – die Gefahr, auf „Fake News“ hereinzufallen, könnte damit steigen. Die städtischen Medien als bequeme und zuverlässige Quelle kommunaler Nachrichten zu sehen, diese Zeit scheint jetzt vorbei.

Für die Medien ist die Entscheidung des BGH eine Bestätigung für ihre unantastbare Position in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die Bedeutung und qualitative Wertschätzung der journalistischen Arbeit könnte an Fahrt gewinnen, das Ansehen redaktionellen Wirkens steigen. Zwar waren die Berichte aus den Gemeinden Garanten für die Wahrheit, doch zukünftig hat es die Presse wieder selbst in der Hand, sich für ihre Seriosität ins Zeug zu legen. Folgen hat das Urteil bereits: Der Newsletter aus Litzelstetten, der von Seiten der Ortsverwaltung herausgegeben wurde, ist nach dem Urteil eingestellt worden. „Da unser Newsletter jedoch genau davon gelebt hat, das öffentliche Geschehen in Litzelstetten und der Kernstadt in all seinen Facetten abzubilden, sehen wir uns gezwungen, ihn nach knapp 100 Ausgaben im neunten Jahr seiner Erscheinung einzustellen“, hieß es in einer Verlautbarung. Wie sich der Newsletter der Stadt Konstanz verändern wird, der ebenfalls eine kostenlose Publikation von Seiten der Kommune darstellt, wird spätestens dann deutlich werden, wenn das Urteil in seinem Wortlaut vorliegt. Genauso, was aus den Mitteilungsblättern der Ortsteile wird, die zwar nicht kostenfrei verteilt werden, aber dennoch mit „kirchlichen Nachrichten“, dem „Vereinsgeschehen“ und einem „redaktionellen Teil“ Hauptangriffspunkt des Urteils sein könnten. Und nicht zuletzt sind es die Webseiten von Stadt und Stadtteilen, die die „Pressemitteilungen“ der Gemeinde bislang großzügig publizierten – und sie dabei weniger scharf trennten, ob nun medienähnlich oder nicht –, die nun abzuwägen haben: Wer auf der sicheren Seite sein will, lässt manche Medienverlautbarung künftig eher unter den Tisch fallen. Zum Nachsehen derjenigen, die damit ins Licht der Aufmerksamkeit gerückt worden wären.

Urteil stärkt die Verantwortung der Presse

Letztendlich ruft das Urteil Gewinner und Verlierer auf den Plan, hat es wie jede Entscheidung doch seine Vor- und Nachteile. Wo sich die Presse als Sieger sieht, da wird es besonders für die, über die die Gemeinden künftig nicht mehr berichten dürften, eng: So konnten beispielsweise Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement bisher darauf bauen, in den Verlautbarungen der Kommunen ein Sprachrohr zu finden – gerade auch dann, wenn sich die Medien nicht für ihr Tun interessiert hatten. Entsprechend wächst mit dem Urteil auch die Verantwortung der Presse: Selbst wenn sie in ihrem Wirken frei und unabhängig ist, wird ihr die Aufgabe zukommen, das Gemeindeleben noch viel stärker als bisher abzubilden. Den zivilgesellschaftlichen Themen muss mehr Platz eingeräumt werden, die Leserschaft wird sicher verlangen, den niedrigschwelligen Sachberichten größeres Gewicht zu geben. Die Entscheidung aus Karlsruhe dürfte für eine Menge Interpretationsspielraum sorgen – und damit eine kontroverse Debatte darüber anstoßen, ob die Medien tatsächlich ihren Ansprüchen gerecht werden, das Alleinstellungsmerkmal redaktioneller Berichterstattung nicht nur aus moralischen, sondern auch aus rechtlichen Gesichtspunkten mit Verpflichtungsbewusstsein auszufüllen …

Dennis Riehle