Telemedizin für den Landkreis Konstanz: Sind wir gewappnet?
Aktuell berichteten die regionalen Medien darüber, dass auch im hiesigen Landkreis Konstanz die Grundvoraussetzungen für ein Modellvorhaben geschaffen wurden, um die Praktikabilität der telemedizinischen Begleitung von Patienten zu prüfen. Mithilfe des Pilotprojektes soll herausgefunden werden, ob ein persönlicher Besuch des Hausarztes oder ein Gang in die nächste Praxis zumindest bei Fragestellungen, die sich über „Video-Chat“ einordnen lassen, überflüssig werden. Denn nicht nur die Senioren auf dem Land werden schon bald den enormen Wegbruch praktizierender Mediziner, vor allem außerhalb der Städte, zu spüren bekommen.
Prognosen: Massiver Wegbruch von Hausarztpraxen
Bereits seit geraumer Zeit weisen Statistiken darauf hin, dass eine Vielzahl an Hausärzten in den kommenden Jahren in den Ruhestand eintreten werden. Der bei einer Reihe an angehenden Doktoren wenig beliebte Beruf des Allgemeinmediziners auf dem Dorf muss attraktiver werden. Zahlreiche Maßnahmen von Bund, Ländern und auch Kommunen versuchen bereits heute, die Arbeitsbedingungen für Hausärzte in der Peripherie zu erleichtern. Mit finanziellen Anreizen, Wohnraum, Familienfreundlichkeit und einer sozialen Einbettung desjenigen, der sich bereits während des Studiums oder der fachlichen Spezialisierung für eine spätere Tätigkeit in den kleinen Gemeinden entscheidet, sollen Ärzte zurück in die Ortschaften geholt werden.
Doch das wird wohl breitflächig kaum erreichbar sein, weshalb der Entschluss, die Telemedizin auch in der hiesigen Region auszuprobieren, dank der Hartnäckigkeit der Verantwortlichen – unter anderem des Kreisseniorenrates – einen wichtigen Anteil an der zukünftigen Gesundheitsversorgung haben wird. Dennoch vermute ich eine Zurückhaltung von Hausärzten, was die Beteiligung an dem Modellversuch angeht. Schließlich sind noch immer zahlreiche Fragen ungeklärt, wir sollten uns bei aller Dringlichkeit des Problems genügend Zeit nehmen, um Schritt B nicht vor Schritt A zu gehen.
Erhebliche Zweifel von Patienten und Medizinern
Die Zweifel an der telemedizinischen Betreuung von Patienten resultieren nicht zuletzt aus der nur langsam vorangehenden Digitalisierung unseres Gesundheitswesens. Denn wie kommt das Rezept bei ärztlicher Konsultation über die „App“ oder eine passende Computeranwendung von Arzt zu Apotheke? Was wird aus der heute gerade in den „Hausarztverträgen“ noch immer obligatorischen Überweisung an einen Facharzt, die bisher völlig altmodisch vom ausstellenden Behandler unterzeichnet werden muss? Und wie sicher ist die Krankschreibung, die der Patient nicht mehr zu Gesicht bekommt, weil sie über moderne Kommunikationsmittel vom Hausarzt direkt zum Arbeitgeber übermittelt worden ist? Datenschutz scheint eine große Rolle zu spielen, wenn viele Entscheidungen, Nachrichten und kollegialer Austausch zwischen den Gesundheitsdienstleistern fortan am Betroffenen vollends vorbeigehen.
Und letztlich ist auch ungewiss, ob die für das Vertrauensverhältnis zu einem Arzt so wichtige Empathie über den Bildschirm tatsächlich übermittelt werden kann. Denn selbst wenn bereits viele Gesetzesvorhaben, die das Bürokratische an einer „Arzt-Patienten-Betreuung“ über den PC schon bald regeln sollen, auf dem Weg zur parlamentarischen Umsetzung sind, scheint mir die Vorlaufzeit für alle Beteiligten an der ausgereiften Telemedizin noch viel zu gering. Erst dann, wenn partizipierende Hausärzte rechtliche Sicherheit haben, über die Ferne begutachten zu können, und die Patienten verstanden haben, wie das Arztgespräch von morgen konkret aussieht, scheint ein Pilotvorhaben sinnvoll zu sein. Für die Kranken muss darüber hinaus Sicherheit herrschen, im Notfall auf eine analoge Versorgung setzen zu können.
Reform benötigt viel Zeit
Nicht nur unserer älteren Generation bedarf es an Wissen und Kenntnissen, die digitale Technik für das virtuelle „Meeting“ mit dem Hausarzt ohne Probleme nutzen zu können. Wir müssen alle Patienten mitnehmen – und gegebenenfalls mit Schulungsangeboten oder einfach zu erlernenden Computeranwendungen dafür Sorge tragen, dass jedem Menschen im Land der Zugang zum Gesundheitssystem bleibt. Dafür braucht es Zeit, die wir eigentlich nicht haben. Aber der Vorwurf, man habe zu spät mit dem Umdenken begonnen, um das Gesundheitswesen tatsächlich zukunftsfähig zu machen, nutzt uns heute auch nichts mehr. Daher plädiere ich für Transparenz und ein breites Einbeziehen all jener, die die medizinische Versorgung von morgen mitgestalten wollen.
Ein Einblick in das, was im hiesigen Landkreis nun ausprobiert wird, sollte den Bürgern offenstehen. Und die Ergebnisse müssen dringend einer kritischen Bewertung unterzogen werden. Denn nur im Falle einer qualitativ überprüften und für den Normalverbraucher gangbaren Lösung wird die möglicherweise unpersönliche, aber unter dem Angesicht des „Demografischen Wandels“ notwendige Alternative der Telemedizin Eingang in das Leben der Patienten finden.
Dennis Riehle