Über Sinn und Unsinn von Straßenbenennungen

Es deutet sich an, dass die Umbenennung der „Von-Emmich-Straße“ rückgängig gemacht wird. Der Gemeinderat wird auf seiner Sitzung am 28.6. darüber diskutieren. Seit Monaten beschäftigt das Thema die Öffentlichkeit. Auch der Historiker und Stadtführer Daniel Gross hat sich darüber seine Gedanken gemacht. Hier seine Kritik am Vorgehen der Straßenbenennungskommission. Dazu grundsätzliche Überlegungen, wie man in Zukunft mit Straßen(um)benennungen verfahren soll

Kritik an der Umbenennung der „Von- Emmich- Straße“ gibt es zur Genüge. Und Ja: Es ist meiner Meinung nach eine reine Willküraktion, wenn die Straße mit dieser Verfahrensweise und den angeführten Begründungen umbenannt wird.

Auf der Informationsveranstaltung zu dieser Umbenennung am 24.05.2012 dauerte es eineinhalb Stunden, bis ich die Antwort auf die von mir gestellte, einfache Frage erhielt: Gibt es eine Richt- oder Leitlinie von Seiten der Stadt, wie in Konstanz mit bestehenden, historischen Straßen- und Platznamen in Gegenwart und Zukunft umzugehen sei? Nein, war fast gegen Schluss der Veranstaltung endlich die – leider nur indirekte – Antwort!

Aus der Diskussion um den Von-Scholz-Weg nichts gelernt?

Bereits nach der Diskussion um von Scholz und der Aberkennung seines Weges wäre eine solche Leitlinie die Konsequenz gewesen. Und solange eine solche Linie nicht formuliert ist, bleibt diese Ab-Benennung Willkür. Wie Lothar Burchardt am Info-Abend referierte, Arnulf Moser im Konstanzer Almanach 2012 und auch in seemoz schrieb, sind Namen für Örtlichkeiten den jeweiligen Zeitströmungen und Moden unterworfen, spiegeln also nicht nur die Geschichte der Person, sondern stehen auch für die Zeit, in der die Benennung erfolgte.

„Laut unseren Recherchen“ erfolgte „die Benennung der Straße offenbar während des Dritten Reiches“ – so die vage (oder schlampig recherchierte) Formulierung im Begründungsschreiben zur Umbenennung vom 24.04. 2012. Tatsächlich erfolgte die Benennung nach von Emmich im 3. Reich, aber nicht primär, um ihn als Helden zu verewigen, sondern schlicht aus dem Zwang heraus, für die bestehende Straße einen anderen Namen zu finden. Seit dem 01.08.1934 war Wollmatingen nach Konstanz eingemeindet, ab diesem Tag gab es plötzlich zwei Straßen mit dem Namen „Fürstenbergstraße“ in Konstanz. Die kürzere der beiden – dazu noch die zwischen den beiden 114er Kasernen, der Kloster- und der seit 1914 bestehenden Jäger-Kaserne gelegene – wurde in Folge dessen in „Von- Emmich- Straße“ umbenannt. Man bemerke die Intention, die in krassem Gegensatz zu den Benennungen vom Frühjahr 1933 („Adolf-Hitler-Ufer“) steht.

Wird die Geschichte bei von Emmich verfälscht?

Von Emmich war kurz zwischen 1897 und 1901 Kommandant des Konstanzer 114er Regiments und nahm dann als General zu Beginn des Ersten Weltkrieges teil. Das Begründungschreiben versucht den Anwohnern weiß zu machen, dass von Emmichs Beteiligung am Ersten Weltkrieg, der Überfall auf Belgien und die Einnahme des als unbezwingbaren Festung geltenden Lüttich eine eigenmächtige Handlung des Generals war. Grundlage hierfür war jedoch der sogenannte Schlieffen-Plan von 1905 (!) und sein Befehl dazu kam vom obersten Befehlshaber: Kaiser Wilhelm II., der uns übrigens heute noch vom Haus „Zum Hohen Hafen“ am Obermarkt zuwinkt, den späteren Großherzog von Luxemburg, Adolf von Nassau, großflächig im Insel-Hotel freundlich begrüßt oder in der Vorhalle des Rathauses den Ehrentrunk der Stadt zum Prost erhebt.

Der Historiker Lothar Burchardt konnte auch keine Hinweise auf eine Beteiligung oder einen Befehl finden, die von Emmich in den Zusammenhang mit der im Begründungsschreiben angeführten Erschießungen von Zivilisten in Lüttich und Belgien bringen – wie uns das Schreiben suggerieren sollte. Von Emmichs Namen ohne Beweis im Zusammenhang mit diesen Kriegsverbrechen zu nennen, ist nicht nur höchst fahrlässig, sondern auch die Geschichte verfälschend – das ist Propaganda-Stil vergangener Zeiten.

War Bismarck auch ein Kriegsverbrecher?

Nach wie vor bleibt von Emmich ein Militär, aber ist er deswegen „ein typisches Beispiel eines militaristischen, nationalistischen Heldenkults“? Keiner wie Kaiser Wilhelm II. verkörperte den Militarismus des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts so wie er – sollten dann nicht auch die Wandbilder (s.o.) übertüncht werden? Der Phallus Bismarck-Turm ist das Zeichen solchen Kults par excellence: mit dem Wunsch den Herrn zu ehren, 1911/12 errichtet. Aber hatte nicht eben dieser Herr Bismarck mit der Kürzung der sogenannten „Emser Depesche“ am Abend des 13.07.1870 den Krieg von 1870/71 bewusst provoziert – also ein Kriegsverbrecher im eigentlichen Sinne? Sollte dann nicht auch der Turm abgerissen werden?

Der Name Chérisy erinnert noch heute an die Schlacht vom 03.05.1917 an diesem Ort. Zur Erinnerung an die badische Waffentat des Regiments 114 … verlieh der Reichskriegsminister anlässlich der am 07. Januar 1937 vollzogenen Einweihung der neuen Kaserne in Konstanz-Wollmatingen dieser den Ehrennamen „Chérisykaserne“. Diese Schlacht verlängerte den Ersten Weltkrieg nur noch um sinnlose, weitere Tage. Und übrigens: Die Kaserne wird bis heute noch bewacht von einem Soldaten aus Stein mit einem Hakenkreuz an seiner Fahnenstange.

Dazu: Die Bezeichnung Chérisy wurde auch mit gedankenloser Selbstverständlichkeit in der letzten Gemeinderatssitzung von eben diesen Janus-Masken tragenden Stadträten immer wieder verwendet, die zuvor für die Umbenennung der „Von- Emmich- Straße“ stimmten. Ich unke: Auch wenn das Areal Chérisy einen neuen Namen bekäme – es bleibt in Konstanz die Chérisy-Kaserne. Erfolglos war bereits 1982 der Versuch, Chérisy in „Fürstenberg-Kaserne“ umzubenennen. Genauso wenig wie der Bismarck-Turm gesprengt und das Konterfei von Wilhelm II. übermalt werden muss, weil sie Kunstwerke und Denkmäler darstellen, sollte auch die „Von- Emmich- Straße“ als Zeitdokument begriffen werden. „Sie kann, muss aber nicht umbenannt werden“, so das Fazit von Lothar Burchardt.

Ich brauche nicht noch einmal König Sigismund zu bemühen, um zu zeigen, dass von Emmich zu einem Bauernopfer durch die „Straßenbenennungskommission“ wurde. Von einem „verschärften Geschichtsbewusstsein … in letzter Zeit“ oder gar „neueren Erkenntnissen zur Person“, so in dem Schreiben, kann wirklich keine Rede mehr sein, da von Emmichs Biographie in Konstanz seit den Artikeln von Tobias Engelsing 1982/83 und 2004 sowie dessen Buch von 1983 bekannt war.

Bestandsschutz für historische Namen?

Vielmehr bleibt diese Umbenennung eine Willkür-Aktion – wenn nicht sogar selektive Aktenvernichtung, solange es im Umgang mit den historischen Bezeichnungen, und auch Denkmälern, keine Leitlinie gibt. Der Bestandsschutz für solche Bezeichnungen, den auch Lothar Burchardt ansprach, wäre ein solcher Gedanke: Personen, denen Verbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Volksverhetzung etc. nachgewiesen werden können, deren Ehrungen sollen aberkannt werden, ohne Ansehen des Rangs oder Amtes. Bis zum Beweis solcher Verbrechen gilt allerdings die Unschuldsvermutung.

Zur Klarheit: Es geht hier nicht um die Neubenennung der Straße nach Georges Ferber, der damit für seine Verdienste um die Verständigung nach 1945 mit der Benennung geehrt werden soll. Wobei auch nicht vergessen werden darf – gerade nach der Causa Helmle sollte das nun Usus sein -, Ferbers Biographie, immerhin Offiziersanwärter in der französischen Infanterie, auch für die Jahre vor 1945 gründlich zu untersuchen.

Autor: Daniel Gross

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