Ukraine: „Die Linke ist in der Krise“

Vor 40 Gästen redete der FAU-Gewerkschafter Roman Danyluk im Konstanzer Treffpunkt Petershausen über seine Einschätzung der Vorgänge in der Ukraine. Eingeladen hatte die linksjugend[’solid]. Der Münchner Buchautor, dessen Vater aus der Ukraine stammt, beschäftigt sich aus emanzipatorisch-anarchistischer Perspektive mit dem Land und tourt nebst Vollzeitjob seit Monaten kreuz und quer durch die Bundesrepublik und versucht, mit so manchen Klischee-Mythen aufzuräumen

Es hat ökonomische Ursachen, so Danyluk, weswegen die Ukraine vor allem gesellschaftlich so tief gespalten ist. Im nahezu ukrainischsprachigen Westen, mit vielen Verbindungen nach Polen, befindet sich eine marode Landwirtschaft. Eine vage, am Westen orientierte IT-Sparte wird gerade aufgebaut. Im Osten und im Süden hingegen sind eine Menge Schwerindustrie, die noch aus Sowjet-Zeiten heraus stark mit Russland vernetzt sind. Grenzanlagen nach Osten wurden erst mit der Wende aufgebaut, viele in der Ukraine lebende Menschen haben Verwandtschaft in Russland.

Ukraine wie Spanien?

Das erklärt grob, weswegen pro-russische und pro-westliche Parteien regional so unterschiedlich stark vertreten sind: „Die einseitige Orientierung in eine Richtung würde jeweils Hunderttausende Menschen den Job kosten. Die Alternativen, die in den letzten Monaten diskutiert wurden, sind irreführende Alternativen. Aber da die Arbeitslosigkeit in der Westukraine höher ist als im Osten, ist das auch ein Grund, weswegen die Menschen dort unbedingt in die EU wollen.“ Doch vor diesen Illusionen warnt Danyluk eindrücklich: „Ich sage den Leuten immer: ‚Wenn ihr die EU meint, dann denkt doch auch daran, dass die EU nicht nur Deutschland, Frankreich oder Polen heißt. Die EU ist auch Griechenland, Spanien, Portugal und das ist ein Szenario, was für die Ukraine wahrscheinlich eher zutrifft.“

Armut als Ursache für die Auseinandersetzungen

Die Gründe für die zwei Massenbewegungen von innerhalb 23 Jahren, sowohl bei der Orangenen Revolution als auch bei den Protesten auf dem Maidan, sind laut Danyluk in der unheimlich prekären Lage der Menschen zu suchen: „Ich habe einen Freund in Kiew, der als Arzt praktiziert. Der verdient umgerechnet etwa 300 Euro und zahlt allein schon für seine Wohnung 250. Das sind die Verhältnisse, wenn du einen ‚guten‘ Job hast. Der Mann hat übrigens noch einen Zweitjob. Die Renten bewegen sich zwischen etwa 20 und 100 Euro. Die Leute haben schlicht keine Perspektive. Das ist kein Wunder, dass die abwandern. Vor der Wende waren es 51 Millionen Menschen, jetzt sind es 46 Millionen. Zudem ist der Staat eigentlich pleite, mit 30% des BIP werden Auslandsschulden getilgt.“

„Auf Faschisten reduzieren ist zu einfach“

Eindringlich geht Danyluk auf die sozialen Ursachen ein und stellt heraus, dass die Bewegung sehr gekonnt von faschistischen Gruppen gekapert wurde: „Den Maidan auf Faschisten zu reduzieren, ist zu einfach, auch wenn man das Problem benennen und bekämpfen muss, aber man tut dann 80% der Leute Unrecht. Da geht man den Faschisten argumentativ auf den Leim. Ein paar Tage haben es die Studierenden, die anfänglich protestiert haben, geschafft, Parteien aus den Protesten herauszuhalten. Doch die Oppositionsparteien kamen dann eben doch, mit ihnen auch die Faschisten. Man hat es nicht geschafft, bei Zeiten basisdemokratische Strukturen auf dem Maidan zu etablieren, ja es gar versäumt. Der Rechte Sektor hat den Selbstschutz dort übernommen und darüber gab es eben keinen Protest, worauf hin sich dann auch irgendwann emanzipatorische Gruppen und die Arbeiterbewegung vom Platz verabschiedet haben. Es gab zwar eine hohe Solidarität unter den Leuten, aber die war weitgehend entpolitisiert und stellte keine sozialen Fragen mehr.“

Woraus die Faschisten ihren Erfolg beziehen

Der Erfolg faschistischer Organisationen ist zum einen bedingt durch die starke nationalistische Haltung weiter Teile der Westukraine: „Die 100 reichsten Menschen in der Ukraine besitzen 40% des Gesamtvermögens des Landes.“ Umverteilung wäre also durchaus ein Thema: „Doch die jetzige Politik in der Ukraine bereitet wieder Sündenböcke vor. Auch nach den Neuwahlen wird die Regierung die sozialen Probleme nicht lösen. Russland hat zum 1. April die Gaspreise angehoben. Die Swoboda hat wörtlich in ihrem Wahlprogramm stehen: ‚Alles Schlechte kommt aus Russland‘ Obwohl es eine Reihe an Oligarchen-Klans in der Ukraine gibt, kann man so Stimmung gegen Russland machen.“ Zudem übernehmen seit dem Maidan vor allem in der Westukraine rechte Paramilitärs zusammen mit Polizisten Streifzüge, also als gefeierte Widerständler des Maidans, hoheitliche Aufgaben.

Eine politische Linke in der Krise

Die politisch Linke sieht Danyluk in der Ukraine in der Krise: „Die kommen jetzt seit dem Regierungssturz zwar wieder verstärkt aus der Defensive, waren aber kaum auf dem Maidan. Zudem ist es sehr schwierig, in der Ukraine antifaschistisch zu sein. Wenn wir hier immer sagen ‚Antifa heißt Angriff‘, dann muss man wissen, dass der rechte Sektor klare SA-Strategien verfolgt, und Antifaschist_innen eingeschüchtert, verprügelt und getötet werden. Dort hat man ums eigene Leben zu fürchten mit feministischen, antifaschistischen, emanzipatorischen Positionen.“

Krim als Beispiel für die restliche Ukraine

Obwohl manche in der politischen Linken das Votum auf der Krim als positiv betrachten, so sieht dies Danyluk eher kritisch: „Das Referendum ist alles andere als demokratisch, da solch eine einschneidende Maßnahme eine längere gesellschaftliche Diskussion benötigt, um wirklich das Interesse der Krim-Bevölkerung widerzuspiegeln, was in der momentan nationalistisch aufgeheizten Situation mit Militärs auf den Straßen, Einschüchterung und Kriegsangst eben dazu führen musste, dass es keine wirklich freie Entscheidung geben konnte.

Auch die Minderheiten auf der Krim wurden nicht gehört, übergangen und eingeschüchtert. Aber die Krim zeigt exemplarisch, was auch für den Rest der Ukraine gilt: Alle fortschrittlichen Ansätze werden momentan von nationalistischen Kräften, sowohl prowestlichen wie prorussischen sowie den internationalen Großmächten (EU, USA und Russland) wieder zunichte gemacht. Kriegshetze und zynische Machtspiele ersetzen soziale Forderungen und politische Diskussion. Es ist schon bittere Ironie, dass ukrainische Nationalisten gegen die Russischen Nationalisten für etwas kämpfen, was die Leute in Russland schon haben: Einen autoritären, homophoben Staat. Nur wollen sie das eben auf ukrainisch haben.“

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Autor: Ryk Fechner