Und das ist links?

Tom Strohschneider, Chefredakteur der Tageszeitung „Neues Deutschland“, schrieb jüngst über das neue Grundsatzprogramm der SPD, das deren Vorsitzender Gabriel in dem denkwürdigen Satz zusammenfasste: „Wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen.“ Trotz aller Solidarität mit Griechenland stellt unser Autor auch kritische Fragen Richtung Athen.

Strohschneider kommentierte die Äußerung Gabriels umgehend: „Denn was bei aller Diffamierung von SYRIZA-Politikern, vor lauter neoliberalen Sprach-Rastern (… ) welche die Wahlentscheidung der Griechen nicht zu respektieren gedenkt – was bei all dem doch noch überrascht: dass die SPD es schafft, die Union und deren Claqueure rechts zu überholen.“

Gut gebrüllt, Löwe.

Wenn die Syriza-Regierung angegriffen wird, dann werfen sich vom Chefredakteur, dem jetzigen bis zu den künftigen Links-Fraktionsvorsitzenden alle Fortschritts-Gesinnten bedingungslos schützend vor die Athener Regierung. Denn die ist links, weshalb sie nicht nur von IWF und EZB, sondern auch von EU-Kommission und Merkel-Regierung in die Knie gezwungen werden soll – so der Verdacht.

Dieses Dazwischenwerfen, das kann sinnvoll und richtig sein. Aber: Auch der sehr interessierte und sympathisierende Laie kann nur noch glauben. Sich selbst ein Bild machen, das ist so gut wie unmöglich geworden – trotz aller Kundigen, die helfen, die Irrtümer der veröffentlichten Meinung zu korrigieren; wie beispielsweise Medienkritiker wie Stefan Niggemeier oder Publikationen wie „Faktencheck: Hellas“. Zu diffus und zu komplex. Der Informations-Boden ist sumpfig geworden. Gehen jetzt alle Beschäftigten in Griechenland im Durchschnitt mit 56 Jahren in Rente – oder doch `nur` die des öffentlichen Dienstes? Und was heißt dann `nur`?  Trotz Solidarität, viel Verständnis und einer grundsätzlichen Kritik an den Markt- und Wettbewerbsradikalen, angeführt von dem Juristen Wolfgang Schäuble: Die Fragen häufen sich – die in Richtung Athen.

Die Athener Regierung gilt hier als links. Die Partei Die Linke hat ihr das sogar offiziell bescheinigt: Links. Das ist prima, das ist eindeutig, daran kann man sich festhalten.

Weniger gut: Gleich zu Beginn musste gelernt werden, die linke Regierung koaliert mit Rechtsradikalen und lässt nur Männer ins Kabinett. Längst verdaut, aber hoffentlich nicht vergessen. Wie ging es seither weiter? Leider nicht so, wie es sein sollte. Denn links wäre beispielsweise:

Erste Maßnahme: Die stark überdurchschnittlichen Militärausgaben werden drastisch gesenkt; die Beschlüsse sind bereits durchs Parlament. Nach Angaben von SIPRI hat Griechenland noch im vergangenen Jahr 2014 rund vier Milliarden Euro allein für Rüstung ausgegeben, das entspricht 2,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes; damit übertrifft das Land deutlich die Anforderungen, ist also mehr als ein NATO-Musterknabe. „Griechische Hochrüstung“, so Werner Rügemer in „Faktencheck: Hellas“. Die Links-Regierung, die das nicht zu verantworten hat, macht damit energisch Schluss. Endlich.

Zweite Maßnahme: Die griechische Regierung steht kurz davor, Kapitalverkehrs-Kontrollen einzuführen, um endlich den Kapitalabfluss zu stoppen.

Dritte Maßnahme: Auf Luxusgüter wird eine besondere Steuer erhoben.

Vierte Maßnahme: Die Verhandlungen mit der Schweiz und anderen Staaten, um via Abkommen an die Schwarzgelder der reichen Griechen heranzukommen, stehen kurz vor dem Abschluss.

Fünfte Maßnahme: Der Regierungsapparat arbeitet mit Hochdruck an Gesetzen, mit denen erst die Privilegien der Reeder abgeschafft und dann die Unternehmen in öffentliches Eigentum überführt werden sollen.

Sechste Maßnahme: Finanzminister Yanis Varoufakis bedauert zutiefst seine jüngste Äußerung, Steuererhöhungen nützten nichts, der griechische Staat sei sowieso nicht in der Lage, die Steuern einzuziehen. Sein überraschender Kurswechsel: Er will etwas tun und nimmt deshalb unverzüglich das Angebot der EU-Kommission an. Diese stellt hunderte Experten in Sachen Steuerfahndung und Steuerverwaltung aus verschiedenen EU-Ländern mit modernsten Techniken zur Verfügung, um endlich zu beginnen, eine Steuer-Verwaltung aufzubauen, um vor allem aber sofort die Steuerschulden der griechischen Millionäre und Milliardäre mit einer Taskforce einzutreiben.

Wenn die Regierung Tsipras das alles ohne viele Worte in den vergangenen fünf Monaten entschieden angepackt hätte – ja, das wäre links.

Wolfgang Storz