Und das nächste Mal vielleicht mit Schokoladenpanzern

Foto: Th. Rohr

Die Politposse des Professors (s. seemoz v. 12.1. sowie den Kommentar von Sabine Bade dazu v. 18.1.) fand mit dem Freispruch ein friedliches Ende. Vom SPIEGEL bis zur ‚Süddeutschen Zeitung“ hat die Presse der Republik über dieses Spektakel amüsiert berichtet – wir bringen das Schlusswort von Peter Grottian im Lindauer Prozess: Ein Aufruf zum zivilen Ungehorsam. Und die Ankündigung der nächsten Aktion des provokanten Professors.

Schlusswort von Prof. Peter Grottian vor dem Amtsgericht Lindau am 18.1.2012:

Demokratie braucht zivilen Ungehorsam

Ziviler Ungehorsam ist das Salz in der Suppe einer oft öden Demokratie. Es ist ein öffentlicher, gewaltloser, gewissensbasierter Ungehorsamsakt, auf demokratische Veränderungen ausgerichtet – mit der Konsequenz, auch möglicherweise bestraft zu werden. Es ist der Mut, „Nein“ zu sagen als positive Antwort auf eine oft grenzenlose Hinnahmebereitschaft. Ziviler Ungehorsam ist Ausdruck des plebiszitären Drucks derjenigen, die über keine privilegierten Einflussnahmen verfügen. Er ist letzte Möglichkeit, als Notschrei Demokratiedefzite – so sagt Jürgen Habermas – zu korrigieren.

Ziviler Ungehorsam ist fast zum Königskind der Demokratie geworden, ohne zivilen Ungehorsam gäbe es keine Modernisierung von Demokratie, keine Frauen- und Ökologiebewegung, kein Gorleben, kein Dresden gegen Rechtsextremismus und keine Bewegung gegen Stuttgart21. Ziviler Ungehorsam ist kein Schmuddelkind der Demokratie, er ist integraler Bestandteil und Leuchtfeuer dieser.

Wenn das auch nur einigermaßen richtig ist, dann sollte die Staatsanwaltschaft und die Richterschaft mit einem Vortrag von mir in Lindau gelassener umgehen. Ich habe neben einer Analyse der Verursachung der Finanzmarktkrise, alternativen Lösungsvorschlägen und einer Kritik an den Banken und der Politik keineswegs zu Straftaten aufgerufen, sondern das Repertoire des zivilen Ungehorsams und anderer Aktionsformen erörtert, um abschließend – wie bei vergleichbaren Vorträgen in 20 Städten – zu sagen: Jetzt macht euch euren Kopf, welche Aktionen des zivilen Ungehorsams für euch in Lindau, Mainz, Dortmund und Berlin machbar und vertretbar erscheinen.

Ihr Bild, hier habe ein Hochschullehrer die Menschen zum Hausfriedensbruch bei den Banken aufgefordert, stimmt weder inhaltlich, noch gehört die Vorstellung, ein Professor könne in einer Demokratie urteilsfähige Menschen so einfach verführen, zur modernen Demokratie. Ich habe selbst 4 glaubwürdige Zeugen benannt, die den Verlauf des Vortrags in ähnlicher Weise zu Protokoll gegeben haben. Das Gericht selbst hat nach meiner Kenntnis außer der polizeilichen Vernehmung der Journalistin, deren Artikel in der Lindauer Zeitung für das Tätigwerden der Staatsanwaltschaft Kempten maßgebend war, nichts unternommen, um die Beschuldigungen gegenüber meiner Person substanziell anzureichern. Sie haben einen Strafbefehl ohne sorgfältige Prüfung aus der Hüfte geschossen.

Für meine Glaubwürdigkeit spricht, dass die Attac-Aktionen am 30.9.2010 in ca. 60 Städten der Republik in sehr verschiedenen Protestformen abliefen. An diesem Bankenaktionstag wurden 13 Banken besetzt, vor den Banken demonstriert, Infostände aufgebaut, Gespräche mit den Kunden der Banken geführt, Theaterspiele aufgeführt, Diskussionsveranstaltungen organisiert, eine eigene Attac-Zeitung verteilt und anderes mehr. Alles gewaltfrei und friedlich – keine einzige Bank stellte einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs. Sie sehen, ziviler Ungehorsam war eine Variante im Ensemble pluraler Protestformen.

Wenn ich mich, inzwischen ein leicht bemooster Hecht im Unruhestand, so vehement für die Erörterung und Praktizierung des zivilen Ungehorsams einsetze, dann vor allem deshalb, weil die Bankenmacht und das Politikversagen die Demokratie zu erdrosseln drohen. Die Finanzmarktindustrie mit ihren machtvollen Interessen beherrscht die Entwicklung von Gesellschaften, sie treibt die Politik vor sich her, oder, um mit Frau Merkel zu sprechen, sie zieht zig-fach die Politik über den Tisch.

Ob Merkel, Steinbrück oder Schäuble, sie sind allenfalls Gummilöwen, die in Wahrheit nicht die Finanzmärkte einhegen oder sogar kontrollieren, nicht Finanzpolitik zum Teil in gesetzliche Giftschränke packen, nicht die Ratingagenturen in die Schranken weisen oder Banken ausreichend kontrollieren. Da kann die Zivilgesellschaft nicht wegschauen. Da hat ein Hochschullehrer, zumal der Politwissenschaft, die Pflicht aufzustehen, aufzuklären und nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie Bürgerinnen und Bürger das offenkundige Politversagen mildern können. Ziviler Ungehorsam ist das demokratische Mittel, das den Herrschenden in Politik und Ökonomie am unangenehmsten ist. Es tut weh, es ist unberechenbar, und es erzeugt gesellschaftliche Dynamiken, die nicht so einfach kleinzukriegen sind.

Und wenn die Banken in den Waffenhandel und in die Waffenproduktion verwickelt sind, wenn die Spekulationspapiere von Banken die Hungermacher der Welt werden, wenn Banken den Daumen über unsere sozialen Sicherungssysteme senken – dann wird ziviler Ungehorsam zur Bürgerpflicht. Ausloten von Formen des zivilen Ungehorsams ist keine Straftat, sondern eine notwendige demokratische Selbstverständlichkeit.

Ich bitte, das Verfahren gegen mich einzustellen.

Und irgendwie muss Peter Grottian, der sich auch in die Rüstungsdebatte letzten Freitag im Konstanzer Stadttheater einmischte (s. seemoz v. 18.1.), aus dieser Veranstaltung etwas mitgenommen haben. Denn dem SPIEGEL berichtete er von seiner nächsten Aktion – gegen die Lieferung deutscher Panzer nach Saudi-Arabien. Er wolle der Regierung Merkel „ein wenig die Hölle heiß machen“. Dieses Mal womöglich mit Schokoladenpanzern.

Autor: hpk

 

Weiterer Link:

Der Professor mit der Schokopistole