Unspektakuläre Revolution

Weshalb hat die Öffentlichkeit für das Thema Industrie 4.0. noch nicht einmal ein Augenmerk übrig? Dabei könnten gerade Politiker und Organisationen, die sich links verorten, sich aus mindestens zwei fundamentalen Gründen animiert fühlen, diese sich bereits im Gang befindliche vierte industrielle Revolution – nach Mechanisierung, Elektrifizierung und Automatisierung – als bedeutendes Thema anzueignen.

So wird mit der totalen Digitalisierung der Industrie das Problem der Überwachung potenziert. Was heute in Verbindung mit NSA und Google als `böse` Überwachung diskutiert wird, wird sich bald mit einer scheinbar `guten` paaren. Wer heute sein Buch via Kindle konsumiert, liefert Amazon genaue Informationen über sein Leseverhalten: was interessiert, was wird übersprungen, welche Seiten gar überblättert. Das bald zur Verfügung stehende automatisierte Auto steigert den Reise-Komfort, registriert aber auch zu jedem Zeitpunkt, wo wir uns befinden. Wir kennen auch das smart grid, das uns erlaubt, von Ferne den Haushalt zu steuern. Wir kennen die Überlegung, dass Roboter Pflegedienste übernehmen. Der 3-D-Drucker, der Implantate im Nebenzimmer des Zahnarztes herstellt, ist auch schon Bestandteil unseres Alltages. Wir haben auch schon gelesen, dass ein Machtkampf ansteht: Wird künftig Google den Automarkt beherrschen oder unverändert die klassischen Auto-Konzerne? Wird Google-energy unsere Energie-Oligopolisten Eon, RWE und EnBW vertreiben?

Aber das, von dem wir schon gehört oder gelesen haben, das sind nur die Vorboten. Die Digitalisierung der Industrie bedeutet vereinfacht: In jedes Produkt und im Zweifel in jedes Produktteil wird ein Chip eingebaut, der misst und sendet. Jedes Bauteil wird eine IP-Adresse haben und auch die wird messen und senden. Die vierte Revolution bedeutet: Die Fähigkeiten eines i-phones, die den Fähigkeiten eines Hochleistungs-Computers entsprechen, werden der kompletten Industrie eingebaut, von der Entwicklung über die Produktion bis zur Logistik. Die individualisierte Massenherstellung wird kein Widerspruch mehr sein. Wer speichert diese Daten über Produkte und Produktionsprozesse? Wer deutet sie? Wer verwendet sie und wofür?

Seit Jahren wird in den Forschungs- und Entwicklungszentren der großen Konzerne, wird an zahlreichen Universitäten am Internet der Dinge gearbeitet. Alle werden miteinander kommunizieren: die Teile einer Maschine untereinander, die Maschinen miteinander, die Maschinen mit den Menschen, die Maschinen mit den Konsumenten. Nicht ausgeschlossen: der Mensch als Restgröße.

Wie immer das im Detail aussehen mag: Es steht fest, technische Neuerungen, nein, einschneidende technische Umwälzungen stehen an, die neue Produkte hervorbringen, Produkte, die wir uns noch gar nicht vorstellen können, die eine totalitäre Überwachung möglich machen, die die Arbeitsmärkte völlig verändern. Änderungen für Arbeitnehmer, Konsumenten und Gesellschaft, die niemand heute überblickt, die deshalb genau beobachtet, gestaltet und gesteuert werden müssen.

Das führt zu dem zweiten fundamentalen Grund, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Denn es geht nicht nur um Fragen der Überwachung und der Veränderung, es geht um die Frage des Wohlstandes unserer Gesellschaft. Die Industrie – die Chemie, der Maschinenbau, die Automobilbranche – ist unverändert der Kern unseres Wohlstandes. Hier wird der Reichtum verdient. Weil dies so ist, müsste eine moderne linke Industrie-Politik – zu der untrennbar eine Kultur der Technik-Kritik gehört – zu einer der wichtigsten und vornehmsten Bereiche linker Politik gehören; im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung ist das Thema wenigstens erwähnt. Endlich das Feld der Schöpfung der Werte zu besetzen, damit würden die Linken erwachsen werden. Allemal in Zeiten, in denen die Verhältnisse dieser Wertschöpfung gerade auf den digitalen Kopf gestellt werden. Es geht darum, die industrielle Revolution 4.0. zu politisieren. Wer hat Lust, sich einzumischen?

Autor: Wolfgang Storz