„Weder revolutionär noch riskant“

„Die Mieten müssen steigen!“ Kein Ober­bürger­meister, kein Verbandsfunktionär, nicht einmal ein Wohnungsbauinvestor würde diese Forderung heute noch öffentlich erheben. Ein Sturm der Entrüstung, modern Shitstorm genannt, wäre sicher. Konse­quen­ter­weise benennen mittlerweile alle Akteure in Politik und Wohnungswirtschaft die Schaffung bezahlbaren Wohnraums als wichtiges Ziel. Handeln sie auch danach? Nicht immer, meinen unsere Kommentatoren Günther Weiss und Winfried Kropp (s. Foto), beide Mitglieder im Vorstand des Mieterbunds Bodensee.

Werfen wir einen Blick auf die Stadt Radolfzell. Grundstückspreise und Mieten waren im Vergleich zum teuren Konstanz lange Zeit günstig, die Lage in der Stadt am See oder in den Bodanrück-Ortsteilen attraktiv, die Verkehrsanbindungen gut. Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf den Markt: Die Neuvertragsmieten nähern sich dem hohen Konstanzer Niveau an, Immobilienpreise steigen und wer dringend eine Wohnung benötigt, sucht lange vergebens. Radolfzell ist da kein Einzelfall.

Eine rege Bautätigkeit in unseren Städten geht vielerorts an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Wer eine Mietwohnung sucht, hat nichts von neuen attraktiven Eigentumswohnungen. Neugebaute Häuser sind oft so teuer, dass sich Handwerker, Krankenschwestern, Erzieher oder Polizistinnen darin keine Wohnung mieten können. Man kann dies auf die einprägsame Formel bringen: Reich baut für reich.

Es fehlen fast überall in Baden-Württemberg Bauträger, die sich bemühen, kostengünstige Wohnungen für breite Schichten der Bevölkerung zu bauen und zu bewirtschaften. Wir haben in Zeiten der Wohnungsnot die paradoxe Situation, dass es hohe Zuschüsse für den geförderten, sozialen Wohnungsbau gibt, aber viel nur wenige Träger diese Förderung haben wollen. Auch die ehemals gemeinnützigen Baugenossenschaften verfolgen mittlerweile andere Ziele und interessieren sich nicht mehr für sozialen Wohnungsbau.

Dabei sind die Konditionen attraktiv: Bauherren erhalten Zuschüsse oder zinslose Darlehen. Im Gegenzug verpflichten sie sich, die so subventionierten Wohnungen an Menschen mit niedrigeren Einkommen zu ermäßigten Mieten zu vergeben. Diese Mietpreisbindung gilt je nach Förderdauer zwischen zehn und dreißig Jahren.

Viele Städte, auch Radolfzell, haben in ihren Wohnungsbauprogrammen oder baulandpolitischen Grundsätzen eine Sozialquote von 30 Prozent verankert. Doch ohne gemeinnützig ausgerichtete Bauträger bleiben solche Quoten für den sozialen Wohnungsbau ein hehres Ziel ohne nachhaltige Wirkung. Denn nach Auslaufen der Preisbindung, oft bereits nach zehn Jahren, werden diese Wohnungen zu Marktpreisen vermietet oder gar in teure Eigentumswohnungen umgewandelt. Verhindern lässt sich dies kaum.

Daher sind die Kommunen gefordert: Wenn niemand preisgünstige Wohnungen bauen will, müssen die Städte dies selbst tun. Viele besitzen immer noch eigene Wohnungsbaugesellschaften, mit denen sie teilweise seit über 100 Jahren ihren BürgerInnen ein bezahlbares Dach über dem Kopf geschaffen haben. Nicht nur in Konstanz, Ulm und anderswo erfüllen sozial ausgerichtete kommunale Baugesellschaften eine wichtige wohnungspolitische Aufgabe. Städte, die keine Baugesellschaft (mehr) haben, sollten von diesen Vorbildern lernen. Denn dieses Instrument der sozialen Wohnungspolitik ist weder revolutionär noch riskant.

Dennoch haben sich der Oberbürgermeister der Stadt Radolfzell und eine Mehrheit aus CDU, Freien Wählern und FDP gegen eine Wohnungsbaugesellschaft der Stadt ausgesprochen.
Sie machen damit einen schweren Fehler: So wird es in Radolfzell weiterhin niemanden geben, der günstige Wohnungen baut und sie auf Dauer nach sozialen Grundsätzen bewirtschaftet. Bitteres Fazit: In Radolfzell gibt es eine politische Mehrheit für steigende Mieten.

Winfried Kropp/Günther Weiss