Wie gnädig: „Homosexuelle können in Gemeinden mitarbeiten“

In der evangelikalen Szene geht es im Augenblick rund. Nachdem der Vertreter der konservativen Protestanten im Rat der EKD, Michael Diener, aus den eigenen Reihen für seinen „Kuschelkurs“ mit den liberalen Thesen der Evangelischen Kirche kritisiert wurde, sah man sich zur Stellungnahme genötigt, dass die „Heilige Schrift“ das gemeinsame Fundament innerhalb des Evangelikalismus sei.

Doch was war passiert? Diener hatte sich in verschiedenen Medien geäußert – und für evangelikale Verhältnisse sanfte Töne angeschlagen. Offenbar auch, was das Thema der „Homosexualität“ angeht, das in dortigen Kreisen nahezu täglich eine neue Debatte wert ist. Eine Aussage, die bei seinen geistlichen Geschwistern aufgestoßen sein mag, war wohl die, dass Diener sich dafür stark machte, wonach Homosexuelle auch in evangelikalen Gemeinden mitwirken dürften.

Was zunächst wie eine Selbstverständlichkeit klingen mag, ist im konservativen Protestantismus keinesfalls selbstredend. Immerhin stützt man sich dort weiterhin auf die Annahme, dass eine homosexuelle Veranlagung zwar hinzunehmen, ausgelebte Homosexualität allerdings Sünde sei. Und nicht umsonst nutzte das „pro medienmagazin“ in seinem Interview mit Diener gerade die Feststellung „Homosexuelle können in Gemeinden mitarbeiten“ als Aufhänger – offenbar genügt sie als brisante Schlagzeile, um Wallung in die evangelikale Szene hineinzutragen. Entsprechend schränkte auch Diener wohl mit der Vorahnung, dass seine Worte auf Widerstand stoßen werden, bei seinen Ausführungen umgehend ein: Der Homosexuelle müsse mit den biblischen Aussagen für sich persönlich in eine Übereinkunft kommen.

Gleichzeitig wird noch eine ganz andere Hürde deutlich: Nach Einschätzung von Michael Diener ist es in vielen Gemeinden der evangelikalen Glaubensgemeinschaft, die zum großen Teil aus evangelischen Freikirchen besteht, nicht umsetzbar, Homosexuelle gar aufzunehmen, geschweige mitarbeiten zu lassen. Denn solche Gemeinschaften seien auf den Konsens ausgerichtet. Und nach seiner Auffassung dürfte es in vielen der Gemeinden beim Thema der „Homosexualität“ nicht zu einem solchen „Kompromiss“ kommen, wonach es die Gemeinschaft schlussendlich dem Homosexuellen überlässt, das persönliche Schriftverständnis als verbindlich gelten zu lassen.

Im Umkehrschluss entnimmt man Dieners Worten auch den Zwiespalt, den er zwar selbst als notwendigen Diskurs ansieht, der letztlich aber aufzeigt, welche Gräben zwischen der Lehrmeinung innerhalb der EKD einerseits und der evangelikalen Gemeinde andererseits liegen. Der Protestantismus ist nicht nur in Fragen des Umgangs mit Homosexuellen tief gespalten. Nicht zuletzt auch deshalb, weil offenbar unterschiedliche Verständnisse darüber vorherrschen, wie Glaube zu verstehen ist. Während Diener sich zwar nicht explizit, aber doch erkennbar deutlich dafür einsetzt, dem einzelnen Christen die Exegese für das eigene Leben zu überlassen, will eine offenkundige Mehrheit der Evangelikalen die buchstabentreue Auslegung hoheitlich verkünden und somit aufoktroyieren.

Nicht umsonst steht die evangelikale Bewegung der katholischen Kirche deutlich näher als dem liberalen Protestantismus: Absolutheit und Machtanspruch prägen die eine Seite, Individualität und Glaubensfreiheit die andere. Solch fundamentale Unterschiede werden auf Dauer nicht ermöglichen können, dass sich beide Parteien annähern. Dieners Versuch des Vermittelns ist vielleicht gut gemeint, aber schlussendlich doch ohne wirkliche Aussicht auf Erfolg. Man muss deshalb Schwulen und Lesben, die sich der evangelikalen Glaubensgemeinschaft zugehörig fühlen, anraten, tatsächlich darüber zu befinden, ob es genügt, als Mensch angenommen zu sein (wie Diener es als Mindeststandard auch für evangelikale Gemeinden eindeutig definiert) – oder auf die Gnade und Barmherzigkeit der Gemeinschaft zu vertrauen, die das Schwert über die gleichberechtigte Teilhabe von Homosexuellen in ihren elitär anmutenden Kreisen richtet.

Dennis Riehle

Zum Autor: Dennis Riehle, geb. 1985, wohnhaft in Konstanz (Bodensee), war bis 2012 Mitglied der Evangelischen Landeskirche Baden, wirkte in evangelikalen Kreisen mit. Langjährige Jugend- und Gemeindearbeit. Ausbildung als Prädikant und in der Seelsorge. Mehrere Jahre Vorsitzender der Christlichen Lebensberatung e.V. und engagiert in christlichen Vereinen. Machte nach seinem Austritt aus der Kirche seine Homosexualität öffentlich.