Wir schweigen nicht

Seit anderthalb Jahren liegt die Stuttgarter Wochenzeitung Kontext mit einem Neonazi im Rechtsstreit. Marcel Grauf, tätig für zwei AfD-Abgeordnete im Landtag von Baden-Württemberg, zerrt das Blatt jetzt erneut vor Gericht – mit sechsstelligem Kostenrisiko für die  Redaktion. Die ist entschlossen, sich nicht mundtot machen zu lassen, wie sie im folgenden Beitrag schreibt.

Der Streitwert ist exorbitant hoch: Auf 260 000 Euro hat die Rechtsanwaltskanzlei Höcker ihn für das kommende Hauptsacheverfahren gegen Kontext beziffert. Insgesamt 60 000 Euro Schadenersatz möchte Marcel Grauf, ein rechtsradikaler Mitarbeiter zweier AfD-Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg, im Mai 2020 erstreiten, diesmal vor dem Landgericht Frankfurt. 30 000 Euro will er von der Kontext-Redaktion, und dazu je 15 000 Euro von den Kontext-RedakteurInnen Anna Hunger und Minh Schredle. Dafür, dass wir ihn im Mai 2018 namentlich benannt und aus insgesamt 17 000 Seiten seiner Facebook-Chats zitiert haben, die uns vorliegen.

Veröffentlicht haben wir dabei ausschließlich aus Unterhaltungen mit Neonazis, rechten Burschenschaftlern, Neuen Rechten und NPD-Funktionären, angereichert mit Hitlergruß-Emojis. Es geht um Hitler, Mussolini, den Attentäter Anders Breivik, um Muslime: „Dass sie generell eher zu untermenschlichem Verhalten neigen, liegt schon an der Rasse“, schreibt Grauf. Anne Frank nennt er eine „Hure“, Geflüchtete „Nigger, Sandneger, ich hasse sie alle“. Als „Eröffnungsgag“ bei einer Diskussion mit offenem Mikrofon schlägt er vor: „Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde.“

Wir haben das öffentlich gemacht, den Rassismus, den Antisemitismus und die Verachtung gegenüber der demokratischen Staatsform. Denn wir sind der Meinung, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, zu erfahren, was in den Köpfen vor sich geht, die für die AfD im Hintergrund arbeiten. Und weil wir es als unsere journalistische Pflicht ansehen, dabei Sachverhalte und Personen klar zu benennen.

Und nicht nur wir sind dieser Meinung. Im Februar dieses Jahres hat uns das Oberlandesgericht Karlsruhe in seiner insgesamt 32-seitigen Urteilsbegründung vollumfänglich recht gegeben. Es überwiege in diesem Fall, wie das OLG ausführte, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und das Recht der Redaktion auf Meinungs- und Medienfreiheit das Interesse des Klägers am Schutz seiner Vertraulichkeitssphäre: „Denn mit Rücksicht auf die Diskussion um rechtsextreme Bestrebungen im Umfeld der AfD leisten die beanstandeten Presseartikel einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage.“

Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) war erleichtert über das Urteil: „Wir alle wissen, dass Journalistinnen und Journalisten, gerade die investigativ tätigen, für unsere Demokratie so wichtig sind, wie die Luft zum Atmen. Sie müssen die Wahrheit ans Licht bringen, das ist Teil ihrer Kontrollfunktion“, kommentierte sie in einem Gastbeitrag für Kontext.

Zwei Mal waren wir in den vergangenen anderthalb Jahren gegen Marcel Grauf vor Gericht, der in mehreren eidesstattlichen Erklärungen behauptet, man habe ihm die zitierten Passagen untergeschoben. Wir haben ein linguistisches Gutachten in Auftrag gegeben und vor Gericht präsentiert, das diese Aussage widerlegt. Gegen die Erklärungen an Eides statt gehen wir bereits juristisch vor.

Keule gegen Kontext

Der Text „‚Sieg Heil‘ mit Smiley„, der erstmals aus Graufs Chatprotokollen zitiert, war im Sommer für den Theodor-Wolff-Preis 2019 nominiert, eine der höchsten Auszeichnungen der Journalistenbranche. Doch nun geht es, nach Verhandlungen in Mannheim und Karlsruhe, juristisch in die dritte Runde. Und es geht um hohe Kosten, die der Rechtsstreit mit sich bringt – viel Geld, das uns fehlt. Wir werden nicht klein beigeben.

Doch das schaffen wir nur zusammen mit Ihnen, mit Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Deshalb haben wir unsere diesjährige vorweihnachtliche Spendenaktion ganz unter dieses Thema gestellt: Aufrecht gegen rechts.

Marcel Grauf lässt sich von der Kanzlei Höcker vertreten, eine der bekanntesten Medienrechtskanzleien Deutschlands. Sie vertritt prominente MandantInnen und seit einiger Zeit verstärkt PolitikerInnen und das Umfeld der AfD, denen nicht gefällt, wenn Medien kritisch über sie berichten. Kontext ist nur eine Zeitung unter vielen Presseorganen in Deutschland, die von der juristischen Keule bedroht sind, die diese Kanzlei schwingt.

Wer den Streitwert in einem Presserechtsverfahren gegen eine spendenfinanzierte Zeitung auf 260.000 Euro veranschlagt, hat ein klares Ziel: eine kritische Stimme zum Schweigen zu bringen. Wir wehren uns! Wir wehren uns dagegen, dass eine Kanzlei im Namen der Neuen Rechten Medienvertretern den Mund verbieten möchte.

Deshalb werden wir kämpfen und wünschen uns, dass Sie eine Mitstreiterin, ein Mitstreiter werden. Lassen Sie uns gemeinsam stark und laut sein gegen den Rechtsruck und dessen juristische Keule. Diesmal zielt sie auf uns. Gemeint sind wir alle.

Redaktion Kontext (Karikatur: Oliver Stenzel)

Spenden Sie unter dem Betreff „Aufrecht gegen rechts“ auf das Konto:
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KONTEXT e.V. ist gemeinnützig. Sie erhalten automatisch Anfang Februar die Spendenbescheinigung für das Vorjahr. Bitte geben Sie dazu bei Ihrer Überweisung ihre Postadresse an.