„…with a little help of our friends“
Generalstreik und Flüchtlingsproteste in Athen – Griechenland im Aufruhr. Die Griechen haben wegen der herben Sparpolitik bis zu 30 Prozent ihres Einkommens verloren, ein Drittel wird sich im Winter keine Heizung leisten können, mehr als 25 Prozent sind ohne Job, die Quote der arbeitslosen Jugendlichen liegt bei 58 Prozent. seemoz sprach mit Theano Fotiou, wohl bald Ministerin einer neuen Links-Regierung
Was macht Sie und Ihre Syriza-Partei so optimistisch, die nächsten Parlamentswahlen in Griechenland, die womöglich im Frühjahr stattfinden werden, zu gewinnen?
Die Umfragen sprechen weiterhin für uns. Wir haben nach dem Erfolg bei den Europawahlen in der Wählergunst noch einmal zugelegt und rangieren jetzt bei 30 Prozent. Das können selbst die konservativen Medien hierzulande nicht mehr ignorieren. Deutlich wurde das bei der Berichterstattung über die alljährlich stattfindende Wirtschaftskonferenz in Saloniki – erstmals wurde in voller Breite und durchaus fair im In- und Ausland über unser Wirtschaftsprogramm berichtet. Und die Regierung gerät in Panik.
Doch die konservative Regierung ist längst nicht mehr Herr im eigenen Haus. Die Troika und damit die EU-Regierungen bestimmen die Richtung…
…wohl wahr. Aber die Regierungen im Ausland stellen sich unverkennbar auf einen Wahlsieg von Syriza ein und entziehen der Athener Regierung das Vertrauen. Und der fällt es so immer schwerer, ihre Interessengruppen zu bedienen. Die Zeit arbeitet für uns.
Bei einem Wahlsieg sähe sich Syriza einer gewaltigen Erwartungshaltung ausgesetzt. Was wären die ersten Maßnahmen einer solchen Linksregierung?
Unser Sofortprogramm gegen die soziale Katastrophe sieht sieben Schritte vor, die in den ersten 100 Tagen durchgesetzt werden sollen. Die zwei Milliarden Euro dafür erzielen wir durch eine zügige Umstrukturierung des Staatshaushalts. Ich nenne nur die wichtigsten Maßnahmen – neben einer Reichen-Steuer wird es eine Umwidmung von Wohnungskrediten geben, 82 Prozent der Griechen leben in unbezahlten Eigentumswohnungen. Damit sorgen wir in 300 000 Haushalten für einen Stromanschluss und schaffen 30 000 Appartements für Obdachlose; Rentner erhalten Weihnachtsgeld und Arbeitslose eine freie Gesundheitsversorgung. Durch die Einführung eines Mindestlohns fördern wir die Binnennachfrage und durch Einsparungen im Rüstungsbudget stärken wir die Sozialversicherungen, die kurz vor dem Ausbluten sind.
Wenige Tropfen auf viele heiße Steine. Aber löst man so das Problem der Überschuldung?
Nein. Und so naiv sind wir auch nicht. Wir brauchen einen Schuldenerlass, wie ihn beispielsweise Deutschland in den 50iger Jahren von den Siegermächten erhielt. Um wieder auf die Beine zu kommen, wird Griechenland schätzungsweise 20 Jahre der Erholung brauchen. Und solange wird wohl auch „Solidarity4all“ noch arbeiten müssen, um die sozialen Verwerfungen der letzten Jahre wenigstens leidlich auszubügeln. Aber es gibt durchaus positive Zeichen: Für unseren Plan, die von den Konservativen und der Troika abgeschafften Arbeitsrechte wieder einzuführen, erhalten wir beispielsweise Unterstützung sogar von den Arbeitgeber-Verbänden. Auch die spüren: Die Troika-Spar-Politik fährt unser Land gegen die Wand.
Dennoch wird es ohne EU-Hilfen nicht gehen…
…darauf setzen wir. Zur Gegenfinanzierung unserer langfristigen Pläne, die rund 10 Milliarden kosten werden, rechnen wir mit drei Milliarden aus einer Umstrukturierung der EU-Mittel, vier Milliarden wird unser Kampf gegen die Steuerhinterziehung einbringen und weitere drei Milliarden müssen wir durch neue Kredite aufbringen. Aber das kann funktionieren, wenn die griechische Wirtschaft durch unsere Rezepte wieder auf die Beine kommt.
EU-Solidarität ist womöglich auch anderweitig nötig. Die Konservativen werden sich mit einem Syriza-Sieg nicht abfinden und Ihnen Knüppel zuhauf zwischen die Beine werfen. Man hat in Griechenland traurige Erfahrungen mit solcher Art der Opposition.
Sie spielen auf die Gefahr eines Umsturzes an. Ich bin schon von meiner Sozialisation her zu sehr europäische Demokratin, als dass mich ein solches Szenario schrecken könnte – ich bin mir der Solidarität Europas und seiner Demokraten sicher. Aber Sie haben recht: Solche Solidarität und stete Wachsamkeit gerade der Linken in Europa wird nötig sein, um Griechenland wieder zu einem gesunden Mitglied der Europäischen Gemeinschaft, ursprünglich ja ein links-demokratisches Projekt, werden zu lassen. Um es europäisch zu sagen: with a little help of our friends (mit ein wenig Hilfe unserer Freunde, die Beatles) ist das zu schaffen, da habe ich weder Sorge noch Angst.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: hpk
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