Wulff auf „Bild“-Reise – von Wolke 7 ab in die Wüste
Phantasieren wir, Christian Wulff verhielte sich wie Thomas Gottschalk. Auf einem Plakat der laufenden „Bild“-Imagekampagne sagt dieser: „`Bild` hat mich erst zur Schnecke gemacht und dann zum `Titan`! Wer in Deutschland was werden will, muss da durch.“ Wer spurt, fast alles mit sich machen lässt, der wird belohnt. Hätte der Bundespräsident dieses Geschäftsmodell verstanden, dann hätte er Kai Diekmann auf die Mailbox gesprochen: Staatsbesuch abgebrochen, zur Beichte bereit.
„Bild“ hätte auf einer Doppelseite exklusiv „die brutalstschonungsloseste Beichte, die weltweit je ein Staatsoberhaupt ablegte“ veröffentlicht, die nächste home-story wäre schon in Arbeit. Ein paar Journalisten würden unter Ausschluss des Interesses der breiten Öffentlichkeit noch an dem einen oder anderen Zinssatz des Wulff-Kredits und den miesen kleinen Vertuschungsversuchen herummäkeln. Alles wäre gut.
„Bild“ ist kein journalistisches Produkt, sondern der werktägliche Rummelplatz mit Promis, Tieren, Spielen, Sensationen. Ihr Geschäftsmodell blüht, wenn „Bild“ Prominenten erst via Riesenrad hoch hinaus hilft – und dann mit ihnen Geisterbahn fährt. Damit das eine wie das andere nach Bedarf jederzeit machbar ist, klaubt „Bild“ immer Zitate, Photos, Material für zwei Schubladen zusammen. Auf der einen Schublade steht: Hosianna, auf der anderen: Kreuzigt ihn. RTL schickt Promis, die mitspielen, in den Dschungel, „Bild“ auf Wolke sieben oder in die Wüste.
Von guten Freunden lässt sich Christian Wulff gerne helfen. Am vorzeitigen Ende seiner Amtszeit hilft er – seiner besten Freundin „Bild“. Wulff adelt „Bild“ und lässt sie als Bannerträgerin der Pressefreiheit, als Speerspitze des investigativen Journalismus erscheinen. Und die Qualitätsmedien versuchen gar nicht erst, den Eindruck zu vermeiden, dass sie sich von „Bild“ Thema, Taktzahl und Ton vorgeben lassen. Die öffentliche Diskussion lässt sich von „Bild“ dumm machen, schließt aus, dass jemand Täter und Opfer zugleich sein kann, thematisiert nicht einmal, dass „Bild“ und Pressefreiheit in verschiedenen Sphären beheimatet sind.
Seit Mitte Dezember 2011 existiert in der Gedankenwelt der Medien nur noch der Täter und Vertuscher Wulff. Das möglich zu machen, hat Wulff nichts unterlassen. In der Sprache der Superlative: Christian und Bettina Wulff sind die dankbarsten Opfer, die seit langem auf dem Altar der Selbstvermarktung von „Bild“ lagen, höchstmögliches Amt, größtmöglicher Dilettantismus. 2006 bejubelt „Bild“ Christian und Bettina als „die schönste Liebes-Koalition“ des großen Sommerfestes von BILD-Hannover. „Bild“ bewundernd im Jahr 2007: „Regierungschef, Vater, Geliebter und Noch-Ehemann – wie kriegt Christian Wulff das bloß so prima hin?“ 2008 erzählt „das frischvermählte Paar von der Trauung, vom neuen Eheglück“, natürlich in „Bild“. 2009 sagt „Bild“ über Bettina Wulff: „Die Zweifach-Mutti mit Liebe zum Tattoo macht Niedersachsens Ministerpräsidenten zum Hinguck-Muss.“ Die Schublade „Kreuzigt ihn“ war da schon gut bestückt.
„Bild“ profitiert von der Reputation und den Rechten, welche die Demokratie dem Journalismus verleiht – und denkt gar nicht daran, die damit verbundenen Pflichten zu erfüllen. Die höchstmögliche Auflage, die sie zum erfolgreichen Werbe- und zum einflussreichen Meinungsträger machen soll, ist die Leitidee des Blattes. In diese Strategie gehören der kleine Preis, das ausgefeilte Vertriebssystem und das Prinzip, nur dort journalistisch zu arbeiten, wo es zum Geschäftsmodell passt. „Bild“ pflegt die Sprache des Extremismus, die keine Zwischentöne kennt, für die es nur das Beste und das Böseste, das Schönste und das Häßlichste gibt. Kein Tag ohne Irrsinn, Wahnsinn, Mega-Schock, Horror-Crash, egal was passiert.
„Bild“ ist eine periodische Veröffentlichung. Das hat sie mit journalistischen Erzeugnissen gemeinsam. Aber mit dem Journalismus einer demokratischen Öffentlichkeit hat sie nichts am Hut. Journalismus sucht Aufmerksamkeit für relevante Informationen, „Bild“ sucht Informationen, egal welche, wenn sie nur Aufmerksamkeit schüren. Journalismus will Wichtiges bekannt machen, „Bild“ will sich wichtig machen und benützt dafür Prominente nach Gutdünken. Dass die Qualitätsmedien nicht kritisieren, sondern mitmachen, wenn „Bild“ sich Personen und Ereignisse für seine Selbstvermarktung zurecht legt, schadet der Demokratie mehr als das Geschnorre des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten.
Autor: Wolfgang Storz/www.evangelisch.de
Die Bild-Zeitung hat viel mit Goethes Faust zu tun: Wer zum Pakt mit dem Teufel bereit ist, muss sich nicht wundern, wenn er in der publizistischen Hölle landet und dort schmort und schmort, bis er weichgekocht ist. Und da hilft dann auch kein Anden-Pakt mehr. Die nüchterne Analyse tut gut. Bild hat für sich Agitationsfelder ausgewählt. Was beim Fussball gelingt, gelingt auch in der Politik. Bei rückgängigen Käuferzahlen muss man sich anders am Markt positionieren: Man lässt die anderen Bild zitieren. Und es traut sich in der Journalle offenbar niemand mehr, Bild aufs Korn zu nehmen. Angesichts rückläufiger Auflagen ist Mainstream angesagt. Dass dieser Bundespräsident so ziemlich alles falsch gemacht hat, was nur möglich ist, ist keine Frage. Politiker sollten sich durch Leistung auszeichnen nicht durch Glanz in der Promiwelt der Regenbogenpresse, für die der Südkurier ja auch täglich eine Seite „opfert“ – mit Zeitverzug.