„Konflikte erhofft“ – die neue Theater-Spielzeit will provozieren

Borderline – engl. Grenzlinie, med. Persönlichkeitsstörung, theatralisch Grenzüberschreitung. Von alledem will das Konstanzer Stadttheater in der Spielzeit 2012/2013 etwas bieten. Und die Theatermacher (s. Foto) fassen heiße Eisen an, wenn sie „Der Jude von Konstanz“ von Wilhelm von Scholz auf die Bühne bringen. „Kontroversen sind erhofft“, sagt Intendant Christoph Nix zum Programm kampfeslustig.

Symbolträchtig wird das neue Spielzeit-Programm unter dem Motto „Borderline – Deutsche Heimat Schweizer Berge“ beim deutschen Zoll vorgestellt, symbolträchtig das Foto am Grenzübergang gestellt und symbolträchtig beginnt die Vorstellung mit einem Dialog aus Schwyzerdütsch und Hochdeutsch. So viele Metaphern sind gewollt, aber auch nötig. Denn das große Haus des Stadttheaters Konstanz ist umbaubedingt erst ab Mitte November wieder bespielbar – bis dahin weicht man auf Schweizer Spielorte in Kreuzlingen oder Schaffhausen, aber auch in den Gemeindesaal Wollmatingen aus. Und einmal mehr auf den Konstanzer Münsterplatz mit der sicherlich spektakulären Neuaufführung von „Der Glöckner von Notre-Dame“.

Das Theater Konstanz sucht Statisten für „Der Glöckner von Notre-Dame“!
Das Theater Konstanz sucht für sein OpenAir-Mittelalterspektakel „Der Glöckner von Notre- Dame“ (Regie: Christoph Nix) auf dem Münsterplatz im Juli 70 Statistinnen und Statisten jeden Alters, auch Eltern mit Kindern und Gruppen, wie Kegelvereine, Turnvereine, Narrenzünfte. Erwünscht, aber nicht Voraussetzung, sind außergewöhnliche Fähigkeiten: ein Instrument spielen, Feuerspucken, Jonglieren, Stelzenlaufen, Akrobatik, Taschenspielertricks oder ähnliches. Die Statisten sollten Lust aufs Theaterspielen und von Mitte Mai bis Ende Juli Zeit für die Proben und Aufführungen haben. Premiere ist am 29. Juni, die Vorstellungen laufen bis Ende Juli 2012. Interessierte melden sich bitte bis zum 22. März bei Nicole Greue unter 07531.900-194 oder Diana Laimer unter 07531.900-170

Im Repertoire 12/13 sind traditionelle Schweizer Stücke wie „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch oder auch Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“, aber auch „Dantons Tod“ von Georg Büchner und Schillers „Don Carlos“, sogar Zuckmayers „Der fröhliche Weinberg“ im Sommertheater Überlingen – allesamt Schauspiele, die von Grenzüberschreitungen erzählen, die aber auch „anspruchsvolles, politisches Volkstheater“ präsentieren und mit Seitenhieben auf politischen Fanatismus und bürgerliche Engstirnigkeit nicht geizen.

Daneben wird Derbes gezeigt: So kommen Norbert Heizmann und Notty’s Jug Serenaders auf die Bühne der Spiegelhalle und führen „ihre Suche nach dem wahrhaft musikalischen Kern des Badischen, Alemannischen, Schwyzerdütschen“ auf. Oder Harmonisches wie „Comedian Harmonists – Ein neuer Frühling“.

Und dann „Der Jude von Konstanz“ von Wilhelm von Scholz, Premiere am 7. Juni 2013, wohl nicht zufällig am Ende der Spielzeit. Kontroversen sind programmiert – der womöglich einzige Dichter aus Konstanz von überregionaler Bedeutung mit einem Trauerspiel, „das sich gegen den Antisemitismus richtet“ (Rolf Hochhut). Gleichzeitig ein Mann, der Hitler verehrte und seine Landsleute noch zu Kriegsende beschwor, in den sinnlosen Kampf zu ziehen; über den 2007 in Konstanz erbitterte Debatten geführt wurden, die mit der Umbenennung einer nach ihm benannten Straße endeten. Die Diskussion – wohl ganz im Sinne von Christoph Nix – wird neu eröffnet.

22 Inszenierungen bietet die neue Spielzeit, sechs weniger als im Vorjahr. Das ist dem Umbau des Stadttheaters geschuldet – und schafft Probleme, vornehmlich finanzieller Art, weil unweigerlich die Zuschauerzahlen (bisher im Bundesdurchschnitt im Spitzenfeld) sinken werden. Schon heute, so Intendant Nix, ist das Konstanzer Stadttheater mit 31 Prozent seiner subventionierten Kosten das relativ „am geringsten finanzierte Theater in Baden-Württemberg“, so eine aktuelle Untersuchung des Rechnungsprüfungshofes – andere Theater beginnen ihre Quote bei 35 Prozent. Geldwertig betrage dieser Vier-Punkte-Unterschied satte 250 000 Euro. Nix sparte nicht mit Kritik an der grünen Kulturpolitik in Stuttgart, denn vornehmlich die ausbleibenden Landesmittel führten zu Finanzengpässen. Sogar das Sommertheater in Überlingen sei gefährdet, wenn die Zuschüsse unter 60 000 Euro fielen.

Dieses Thema lässt den Intendanten nicht ruhen. Sobald der endgültige Bericht des Rechnungsprüfungshofes vorliegt, will er den Staatssekretär des Kultusministeriums zur Diskussion einladen und später das Problem der geschuldeten Mittel öffentlich problematisieren.

Und trotz solcher Sorgen – es geht um die ohnehin geringen Schauspieler-Gehälter, es geht um Gagen für auswärtige Künstler, um Ausstattungskosten und sogar um den Lohn des Fahrers – bleibt die Theater-Mannschaft optimistisch: Es erwartet Sie eine spannende Saison mit provokantem Theater, mit heftigen Diskussionen und, natürlich, hervorragenden Leistungen. Denn die Akteure werden einmal mehr ihr Bestes geben; so sind sie nun mal, die sich ausbeutenden Schauspieler.

Autor: hpk