„Peer Gynt“: Starkes Stück, starke Spieler, starkes Theater
Starker Tobak, starkes Theater: Mit der „Peer Gynt“-Premiere knüpft das Stadttheater Konstanz an die viel umjubelten Erfolge der bisherigen Spielzeit an. Jedenfalls war das Publikum in der ausverkauften Spiegelhalle begeistert von der Neufassung des nordischen Klassikers. Auch wenn die mit der klassischen Fassung des klassischen Fjord-Dramas nur noch wenig zu tun hat – die aktuelle Aufführung präsentiert sich als starkes Stück mit starken Schauspielern.
Über die trolligen Sagas des aufschneiderischen Perr Gynt erfährt man wenig in der Konstanzer Inszenierung. Schon die Neufassung der Theater-Profis Peter Stein und Botho Strauß stellte vor Jahren das Ibsen-Stück vom Kopf auf die Füße – und noch einmal umgemodelt wurde der Stoff vom Regisseur Oliver Vorwerk und Chefdramaturg Thomas Spieckermann für ihre Konstanzer Aufführung.
Nichts ist geblieben vom sprunghaften Handlungsablauf des 140 Jahre alten Dramas, stattdessen jetzt Szenen wie Versatzstücke; kaum etwas erinnert noch an das starre Versmaß der nordischen Dichtung und ihrer stelzigen Dialoge, stattdessen nun überwiegend schmissige Prosa in Jetztzeit. Und der Besseggenkamm und das Jotunheimen-Gebirge der norwegischen Fjell-Landschaft – bei Ibsen noch Schwerpunkt seiner romantisierenden, nationalen Nabelschau – sind vollends abgetaucht. Kurzum: Der Konstanzer Peer Gynt könnte auch Paul Gernegroß oder sonstwie heißen und seine Abenteuer am Bodensee statt am Gjendesee erleben.
Diesem Neuaufbau der Dramaturgie folgt Oliver Vorwerk konsequent in seiner Regie. Die Sinnsuche des willensschwachen, selbstsüchtigen Peer wird vorgeführt in quälenden Monologen, garniert und bereichert von aus- und eindrucksvoll gespielten Frauen- und Trollrollen. Das ist starker Tobak, schwer verdaulich und dennoch gelungen.
Solch‘ eine Regie-Idee steht und fällt mit der Darstellungskunst des Hauptdarstellers. Und tatsächlich findet Regisseur Vorwerk in Ingo Biermann einen kongenialen Partner, der dem Peer Gynt trotz aller Zerrissenheit liebenswerte Züge verleiht, gar kabarettistische Seiten abgewinnt und stets, zwei Stunden lang, auf der Bühne atemberaubend präsent wirkt.
Doch mancher Regie-Schnickschnack stört bisweilen: Was sollen die selten benutzten Mikrophone, was die unmotivierten Schlager-Einspielungen? Verfremdungselemente, die den Zuschauer manches Mal höchstens fremdeln lassen. Ganz anders das bloß auf den ersten Blick karge Bühnenbild von David König: Aus bloßen Planken werden in der Fantasie des Zuschauers einmal steile Bergwände, ein andermal furchterregende Meeresbrecher, aber immer Rutschbahnen menschlicher Talfahrten. Starkes Theater.
Und trotz der Konzentration auf die Hauptfigur, ein Manko schon in Ibsens Urfassung, gewinnen in der Konstanzer Aufführung die Nebenrollen an Kontur dank starker Schauspieler, die drei, vier oder noch mehr Parts übernehmen: Jana Alexia Rödiger verleiht den jugendlichen Frauenrollen Ingrid und Solveig genau die nötige Mischung von Naivität und Ehrlichkeit; Olga Strub verkörpert ausdrucksstark die überfürsorgliche Mutter Aase und Odo Jergitsch, Alexander Peutz sowie Ralf Beckord gefallen als heimtückischer Trollkönig, hinterhältiger Knopfgießer oder hinterwäldlerischer Mads Moen. Wie gesagt: Starke Schauspieler-Leistungen allesamt.
Nach „Geierwally“ und „Woyzeck“ nun mit „Peer Gynt“ also die dritte Premiere des Stadttheaters Konstanz von geradezu unerwarteter Qualität. Wenn Intendant Nix und sein Ensemble so weitermachen, ist eine außergewöhnliche Spielzeit zu erwarten. Ist so etwa das Theatermotto „Ladies and Gentlemen, kämpfen wir noch?“ als Gegenwehr zu den Konstanzer Haushaltsdebatten zu verstehen?
„Ja, wir kämpfen“ – mit dem grandiosen „Peer Gynt“ voller Spielfreude und Interpretationswitz darf diese Premiere als Zusatz- und Zukunftsversicherung für das städtische Theater gelten.
Autor: Hans-Peter Koch