Achtung Satire! – Humoristische Religionskritik

Kritik an Religion und Kirche wurde in früheren Zeiten, wenn überhaupt, ausschließlich in schriftstellerischen und akademischen Zirkeln geübt. Solange das „gemeine Volk“ davon nichts erfuhr, nahm die Kirche das zähneknirschend hin. Nun formiert sich aber immer mehr eine „Religionskritik von unten“. Dafür steht auch die neu erschienene „Reimbibel“, die seemoz mit großem Vergnügen weiter empfiehlt 
In den letzten Jahrzehnten und zunehmend immer mehr formiert sich eine basisatheistisch zu nennende Bewegung, eine bisher noch zu wenig wahrgenommene Religionskritik „von unten“, die sich skeptisch, zweifelnd und ablehnend gegenüber Religion und Kirche äußert. Die Missbrauchsfälle der letzten Monate innerhalb jener Institution, die sich als Hort der Moral versteht, beschleunigt zur Zeit diesen kritischen Reflexionsprozess.

Genug Stoff für Kabarettisten

Denn inzwischen entdecken offenbar immer mehr Menschen unterschiedlichster gesellschaftlicher Stellung und beruflicher Orientierung nicht nur den Widerspruch zwischen christlichem Glauben und Vernunft und zwischen biblischer Lehre und eigener Lebenserfahrung, sondern bekunden ihre Gründe für die Abkehr von Religion und Glauben auch öffentlich in Wort und Schrift. Das geschieht in Form einer bisher nicht gekannten Vielzahl publizierter religions- und kirchenkritischer Bücher aus der Feder von „Laien“, in Form einer Fülle von privat betreuten Internetseiten, die sich der Kritik an Religion und Kirche im weitesten Sinn widmen, in Form von Filmen und Videoclips, Dokumentationen und Diskussionsrunden in Rundfunk und Fernsehen mit Ergebnissen, die der Kirche höchst unangenehm sind. Auch viele Kabarettisten greifen solche Themen inzwischen publikumswirksam auf, denn die Weltferne, Heuchelei und Anmaßung vieler offizieller Vertreter dieser Institution liefern ihnen treffliche Vorlagen für entlarvende Pointen.

Wolfgang Klosterhalfen gehört auch in die Reihe dieser Kabarettisten, man könnte ihn fast einen Wilhelm Busch der Theologie nennen. Dieser war nicht nur – wie bekannt – ein vortrefflicher Reimer, sondern auch – weniger bekannt – ein gesellschafts- und zeitgeistkritischer Spötter: Wer in Glaubenssachen den Verstand befragt, kriegt nichtchristliche Antworten. Solche nichtchristlichen Antworten liefert Klosterhalfen in Hülle und Fülle, sie ergeben sich fast von allein, wenn man die Bibel nicht aus dem Blickwinkel jener liest, die sie für ihre Zwecke jahrtausendelang funktionalisierten, sondern mit dem gesunden Menschenverstand, und dabei jene vernunftbasierten und humanistischen Maßstäbe anlegt, die inzwischen allgemein anerkannt sind, in der Bibel jedoch in unglaublicher Weise missachtet werden, weil unbekannt.

Eine „Heidenarbeit“

Klosterhalfen hat wesentliche Teile des Alten und des Neuen Testaments, Buch für Buch, Kapitel für Kapitel in – häufig spöttische – Verse umgesetzt, um dieses „Buch der Bücher“ in eine Form zu gießen, die deren wahren Gehalt bloßlegt und dabei dennoch das Lesen zum Vergnügen, wenn auch streckenweise einem makabren, werden lässt. Kabarett bester Qualität: Zutreffende Informationen brisanter Art mit Wortwitz und überraschenden Einsichten gepaart – Respekt! Allein vom Arbeitsumfang her eine geistige Herkulestat, eine „Heidenarbeit“ wie ein Leser treffend zweideutig vermerkte. Einige Gedichte, z.B. die gereimten Fassungen des Buchs Hiob und der Offenbarung des Johannes, sind künstlerisch besonders gut gelungen und dürften – von der anschließenden Kommentierung abgesehen – auch Christen gefallen und im Religionsunterricht einsetzbar sein

Was treibt einen Menschen an, der kein Theologe ist und der erfolgreich eine akademische Karriere auf medizinischem Gebiet durchlaufen hat, ein solch aufwändiges Werk zu schaffen? Es dürfte wohl die zur Empörung geronnene Fassungslosigkeit sein, dass eine Schrift, die vor zwei- und dreitausend Jahren entstand und voller Bösartigkeiten, Unmoral und Widersinn steckt, immer noch von unfassbar vielen Menschen als Gottes Wort angesehen und als heiliges Buch verehrt wird. Es ist eine Schrift, die zur Grundlage einer Lehre geworden ist, von denen diese Menschen glauben, dass sie ihnen die Erlösung von Leid und Ungerechtigkeit dereinst im Jenseits bringen wird, die aber im Diesseits eine grausame und blutige Spur durch die Geschichte gezogen hat.

Therapie gegen die Krankheit des Aberglaubens

Der geleistete Arbeitsaufwand und die dichterische Kreativität des Autors sind bewundernswert. Dabei bemerkt man, dass die durch den Zwang zum Reim und zum Einhalten des Versmaßes oft erforderliche Wortwahl die Vorstellungen des Lesers in andere Bahnen lenkt und eine andere Sichtweise auf diese gedanklich so eingefahrene und durch Schule und Predigt assoziativ fest geklopfte Thematik erzeugt. Mit der dem Dichter eigenen Freiheit entstehen gedankliche Verbindungen, die bei üblicher, „klassischer“ Beschreibung der Inhalte sich gar nicht einstellen würden. Klosterhalfens gereimte Texte statten uns mit einer Lesebrille aus, die uns scharf sehen lässt, was wir im Original bisher allenfalls schemenhaft wahrgenommen haben ? wenn wir uns denn überhaupt in diese Textwüste wagten. Was der Mediziner Klosterhalfen uns da „zusammenreimt“ ist eine Therapie gegen die Krankheit des Aberglaubens und zur Stärkung des geistigen Immunsystems.

Der unübersehbaren Fülle theologischer Werke, die sich gutgläubig, neutral oder kritisch diesem Konglomerat von Mythen, Kriegsberichten, Phantasien, Ausschweifungen, Strafandrohungen, Vergeltungsaktionen, Verboten, Ergebenheitsadressen, durchsetzt von Lebensweisheiten und Verhaltensvorschriften als angebliches Wort Gottes widmen, setzt Klosterhalfen seine Sicht der Dinge entgegen: bissig, spöttisch, mal derb, mal empört, inhaltlich immer eng am Originaltext orientiert. Klosterhalfen präsentiert kabarettistische Kleinkunst, die in Form von Zweizeilern, Gedichten, Versen und kritischen Kurzkommentaren als humoristisch-satirisches und religionskritisches Programm vor den Augen des Lesers abläuft. Dazwischen immer auch bemerkens- und merkenswerte Zitate einflussreicher Geistesgrößen, anerkannter sowie zwielichtiger Natur.

Sein Buch endet mit einem Brief an den lieben Gott der Christen:

„Lieber Herrgott mach mich fromm,/ dass ich in den Himmel komm./ Lass dich einfach einmal blicken,/ kannst mir auch ’ne E-Mail schicken:/ klosterwolf@hotmail.com. P.S. Möge es Dir bald gelingen,/ den Gehörnten umzubringen.
Wolfgang Klosterhalfen: Reimbibel. Heitere Aufklärung über den christlichen Aberglauben. 3. Auflage, Mai 2010, 320 Seiten, 19.90 €

Autor: Uwe Lehnert