Alex geht in den Knast

Das Konstanzer Theater startet ein neues Projekt in drei Justizvollzugsanstalten. In Workshops entkommen Inhaftierte mit theaterpädagogischen Methoden ihrem kahlen Alltag und entdecken neue Potentiale. Das Projekt „Theater hinter Gittern VI“ wird mit 195.000 Euro gefördert, die Laufzeit allerdings ist noch ungewiss.

Alex ist ein junger Mann mit markanten Gesichtszügen. Sein Alter ist schwer zu erraten, er hüllt sich in einen schwarzen Kapuzenpullover, hält den Blick gesenkt. Ein harter Typ. Beginnt er aber über seine Erfahrung mit dem Theater zu sprechen, so kommt Leben in ihn: „Theater ist wie ein Medikament. Theater verändert den Körper, die Seele und den Geist. Die Nebenwirkung ist: es macht glücklich.“ Alex erzählt weiter von den jungen Männern, mit denen er in den Gefängnissen arbeitet: „Die Jungs haben Lust zu spielen. Sie haben echt viel Fantasie und sie sind ehrlich.“

Alex ist kein Theaterpädagoge. Alex ist eine Puppe. Mit der Hand lässt sich sein Mund bewegen. Er stammt ursprünglich aus der Produktion von „Clockwork Orange“ am Stadttheater. Hier hat Magdalene Schäfer ihre Finger im Spiel. Sie ist studierte Puppenspielerin und derzeit im Stück „Geron“ auf der Werkstattbühne zu sehen. Seit einigen Wochen arbeitet sie mit Häftlingen in Konstanz, Adelsheim und Ravensburg. Ihre Puppen sind stets mit dabei, die jungen Männer in den Justizvollzugsanstalten spielen mit ihnen. „Es ermöglicht einen direkteren Kontakt, wenn man mit Puppen kommuniziert“, so Schäfer. „Man muss sich berühren, sich nahe kommen. Und es gibt einem eine Freiheit, da man ja jemand anderes ist.“ Zusammen mit dem Theaterpädagogen Dennis Ponomarenko hat sie bereits 2014 ein Projekt in der Konstanzer Haftanstalt initiiert. Nun sind sie zu dritt. Albert Bahmann, Lehrer für Deutsch und Englisch, ist ebenfalls im Team des Projekts „Theater hinter Gittern VI“.

Starker politischer Rückhalt

Christoph Nix, Intendant im Theater Konstanz, hat schon seit 1993 Erfahrung mit Gefängnisprojekten. Als Strafverteidiger sind ihm die Räume hinter Gittern vertraut, als Mensch widerstreben sie seiner humanistischen Auffassung. „Gefängnisse gehören eigentlich abgeschafft“, so Nix, der in seiner Rede Beispiele nennt für Gesellschaften, in denen Isolation als Strafe nicht stattfindet. „Die Welt ist veränderbar“, so spricht er weiter, und verändern kann das Theater: „Hier lässt sich einüben, was Zivilgesellschaft sein könnte. Man stirbt auf der Bühne nicht wirklich, man wird nicht wirklich degradiert, man kann sich ausprobieren.“

Ihm steht die grüne Landtagsabgeordnete Nese Erikli zur Seite, die gemeinsam mit Dennis Ponomarenko das Projekt ins Laufen brachte. Ihr sind die Zustände in den Gefängnissen ebenfalls vertraut. In Konstanz sind 85 Personen zugelassen, derzeit sitzen über 100 in den Zellen. Vier Männer in einem Raum, die Toilette mit drin, nur eine Trennwand, man hört jedes Geräusch. Die Fenster sind mit Milchglasscheiben ausgestattet. Kein Himmel. Kein Vogel. Kein Sonnenstrahl zu sehen, für Monate oder Jahre. „Das muss man erst mal aushalten“, so Erikli, „die Umstände sind hart.“

Auch Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg-Stiftung, sieht die Notwendigkeit zur Veränderung: „Menschen in allen Lebenslagen sollten wir fördern und fordern. Wir dürfen keinen fallen lassen.“ Seine Stiftung hat seit der Gründung 24 Millionen Euro in Projekte wie diese fließen lassen. Hier sind es 195 000 Euro, die „Theater hinter Gittern VI“ eine Laufzeit von bis zu zwei Jahren sichern würden. Die Entscheidung zur vollen Laufzeit hängt jedoch von Karin Becker ab, die im August 2020 als neue Intendantin Christoph Nix ablösen wird.

Für das Projekt hat sich Guido Wolf, baden-württembergischer Minister für Justiz und Europa. stark gemacht. Und auch über die Landesgrenzen hinaus schlägt das Projekt Wellen. So habe Regierungsrat Fredy Fässler gegenüber Nix erklärt, dass an einer Realisierung von Theaterprogrammen für Gefängnisse im Kanton Thurgau Interesse bestehe.

Rehabilitation beginnt im Knast

Wie relevant die Arbeit hinter Gittern ist, wird deutlich, als Erikli die Zahlen der inhaftierten Wiederholungstäter nennt: 48 Prozent der jugendlichen Straftäter sind bereits zum zweiten Mal im Gefängnis. Eine Mitarbeiterin aus Adelsheim berichtet aus ihrer vierzigjährigen Erfahrung. „Wir brauchen die künstlerische Arbeit und qualifizierte Menschen, die diese vermitteln“, sagt sie. Es gibt neben dem Pflichtprogramm bestehend aus Schule, Arbeit und Therapie eine Reihe von freiwilligen Angeboten. Zum Beispiel Steinbildhauen, einen Chor oder Filmprojekte. Es gehe darum, die Insassen aus ihrer Welt heraus zu holen und Theater sei eine Möglichkeit, so erläutert die Mitarbeiterin weiter und zitiert Picasso: „Kunst wischt den Staub des Alltags von der Seele.“

Ponomarenko gibt diesem Zitat eine Bedeutung im Kontext des Theaters: „Gedanken werden zu etwas, das Zeit und Raum hat. Sie materialisieren sich“, sagt der Theaterpädagoge. Er ist sich bewusst, dass er es mit Straftätern zu tun hat. „Knast ist Knast und kein Mädchenheim. Und wir sind nicht die netten Tanten. In erster Linie sind wir Künstler und sehen vor uns Menschen“, so Ponomarenko, der bereits auf gepackten Koffern saß und mit seiner Familie zurück in seine Heimat Petersburg ziehen wollte. Die Bewilligung des Projektes lässt ihn hier bleiben. Kurz stand alles auf der Kippe, als der Konstanzer Gemeinderat das Geld nur über eine Abstimmung freigeben wollte, diese aber verlief positiv. Das Projekt kann starten. Sollte ein bereits gestellter Antrag bewilligt werden, sind die Ergebnisse vielleicht schon bald auch auf der Bühne des Theaters zu sehen.

Filmtipp zum Thema (Empfehlung von Christoph Nix): „Cäsar muss sterben

Veronika Fischer (Foto: Elaine Fehrenbach)

Der Text erschien auch auf: www.saiten.ch