„Alle müssen ‚Farm der Tiere‘ gesehen haben!“
Ein Theater für alle – das wollen die neue Intendantin am Theater Konstanz Karin Becker, Chefdramaturgin Doris Happl und der designierte Leiter des Jungen Theaters Kristo Šagor in der Spielzeit 2020/21. In der vergangenen Woche stellten sie sich und ihren Spielplan in virtuellem Rahmen der Presse vor. Unter dem Motto „Einmal Welt, bitte!“ soll dem Theaterpublikum in der kommenden Spielzeit eine Mischung aus Klassikern wie Shakespeares „Viel Lärm um nichts“, modernen Werken (zum Beispiel „Katharina Blum. Oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“) und Neuheiten wie „dosenfleisch“ von Ferdinand Schmalz präsentiert werden.
Man möchte auf die Welt schauen – genau hinsehen, so Becker, und auch das Schöne erkennen. Es gehe, so ausdrücklich, um kulturelle Vielfalt, Gerechtigkeit, globales Denken und Fridays for Future. Das klingt nach großen Plänen. Aber „Einmal Welt, bitte!“, das heiße nicht nur das große Ganze im Blick zu haben, sondern auch die Innenwelt der Menschen, ergänzt Šagor. Ihn interessiert es, was in den Menschen vor sich geht – Monologe als Stücke oder als Teile von Inszenierungen sind für ihn deshalb besonders aussagekräftig.
Zentrale Rolle der Frau(en)
Mit der Besetzung zentraler Positionen im künstlerischen Betrieb und der Spielplanung kommt Karin Becker ihrem Versprechen nach, dass Frauen im Theater unter ihrer Führung eine bedeutendere Rolle einnehmen werden: Ihr künstlerisches Leitungsteam besteht bis auf den Leiter des Jungen Theaters ausschließlich aus Frauen. Becker sagt: „Es gibt viele gute und intelligente Frauen in der Theaterszene. Ich wäre dumm, wenn ich die nicht einfach engagieren würde“. Eine Quote gebe es bei ihr aber nicht, das Zusammenkommen vieler Frauen am Theater war eher ein Selbstläufer. Auch das Programm liefert immer wieder kleine Schlaglichter mit wichtigen Frauenfiguren wie etwa „Katharina Blum“. Doris Happl verweist zudem auf das für März 2021 geplante Festival „Let’s ally!“, das nationalen und internationalen Künstlerinnen ein Forum bieten soll, sich vorzustellen, ihr Können zu präsentieren und – natürlich – sich zu verbünden.
Gepflegt streiten
Ein Sprachrohr der Gesellschaft solle das Theater sein, sind sich die neuen Führungsköpfe einig. Deshalb verweist das neue Spielzeitheft auch gleich auf der ersten Seite auf die Charta der Vielfalt der Stadt Konstanz. Die harte Realität folgt nur zwei Seiten darauf mit Werbung für die Immobilienmakler „Engel & Völkers“. „Wir rücken Ihre Immobilie ins beste Licht und verkaufen sie zum Höchstpreis“, heißt es da. Vielleicht nicht ganz glücklich gewählt, gibt Becker zu, aber ein Theater müsse eben auch wirtschaften. Es gibt also schon mal Grund zur Diskussion. Eine Plattform dafür soll auch geboten werden: „Lasst uns reinen Tisch machen!“, heißt die Reihe, die uns in Zeiten von Hate Speech und überhitzten Kommentarspalten im Netz lehren und animieren soll, konstruktiv zu streiten. Auch für die Stadtgesellschaft aktuelle Themen, wie etwa die Forderung nach einer autofreien Innenstadt, sollen hier diskutiert werden. Weiteren Stoff für eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten aber auch mit der Entwicklung der Stadt liefert Happl zufolge das Jelinek-Stück „Das Licht im Kasten“ über Mode, Kaufrausch und (Selbst-)Täuschung. Ob damit die nach der Krise wahrscheinlich zurückkehrenden Schweizer erreicht werden sollen? Darüber hinaus gebe es mit der Fallada-Dramatisierung „Jeder stirbt für sich allein“ in der Regie von Schirin Khodadadian zum Spielzeitauftakt ein Stück über das „Mund aufmachen“.
„Nibelungenlied“ reloaded
Der preisgekrönte Theaterautor und Regisseur Kristo Šagor, der in der nun frühzeitig beendeten Spielzeit mit „Patricks Trick“ begeisterte, wird sein Auftragswerk „Nibelungenleader“ auf die Bühne des jungen Theaters bringen. Prosatexte adaptieren, das mache er gerne. Insbesondere gefalle ihm das Spiel mit der Verteilung des Texts einer Figur auf verschiedene Personen. Das „ständige Neuverhandeln der Spielregeln“ reizt ihn. Sicher keine einfache Aufgabe, wenn man das Publikum nicht verwirren möchte. Die Frauenfiguren der Nibelungensage möchte Šagor stärker ins Zentrum rücken, da viele die Geschichte bislang nur als eine Geschichte starker Männer begriffen. Schließlich sei das Wortspiel im Titel ja auch ein „Kratzen an alten Herrschaftsformen“.
Mit „Generation Extinction“ startet die Spielzeit im Jungen Theater. Das immersive Theaterprojekt von Philipp Ehmann nimmt die Zuschauer*innen mit auf einen Parcours durch die Stadt und lässt sie in die Entstehung der Aktivist*innen-Gruppe Generation Extinction eintauchen. Das Besondere? Das Publikum entscheidet, wohin die Reise geht, und muss immer wieder Stellung beziehen. Die Grenzen zwischen Ensemble und Zuschauer*innen verschwinden ebenso wie die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Ein Projekt nicht nur für junge Leute!
Theater für alle
Die Welt der Menschen und die Welt der Tiere kommen in „Farm der Tiere“, einer dystopischen Fabel nach George Orwell in der Regie von Leandro Kees zusammen – ein Stoff aktueller denn je. Daher Beckers ausdrücklicher Appell an alle Generationen sich dieses Stück anzusehen: „Alle müssen „Farm der Tiere“ gesehen haben!“. Das ist ihr wichtig und das merkt man. Überhaupt „man darf das Publikum nicht unterschätzen“, bemerkt die Chefdramaturgin Happl. So soll auch ein Stadtensemble gegründet werden, bei dem alle ab 16 Jahren mitwirken dürfen. Das erste Stück, „Hin und her“ nach Ödön von Horváth, handelt von räumlichen und symbolischen Grenzen. Wie passend für die Grenzstadt Konstanz! Welches Potenzial sehen die Theatermacher*innen sonst noch in der Grenzlage? An Kontakten mangele es nicht, betont die Österreicherin Happl, doch wie diese für die Stadt nutzbar gemacht werden können, müsse erst erspürt werden. Jetzt gehe es erst einmal darum in Konstanz anzukommen.
F. Spanner (Foto: Theater Konstanz)
Ich habe mir gestern „Farm der Tiere“ angeschaut.
Gut gemacht! Respekt!
Die Übertragung dieses großen kleinen Buches auf die Bühne ist sehr gut gelungen. Überaus sehenswert!
Ich bin gespannt und freue mich auf eine neue Theatersaison!
Und ich wünsche der neuen Intendantin und ihrem Team viel Erfolg und gutes Gelingen.
Aber eine Bemerkung in Richtung des Autorin sei noch gestattet:
Es ist nicht unbedingt das Zusammenkommen der Welten von Tier und Mensch, die „Farm der Tiere“ ausmacht. Sondern der Gedanke, dass die Unterdrückten selbst zu Unterdrückern werden, wenn sie zu Macht gelangen. Mithin eine Abrechnung mit dem Stalinismus in Form einer Fabel.
„Alle Tiere sind Gleich; aber manche sind Gleicher“