„Alles ist wunderschön“ im Cabaret

Am Freitagabend feierte das Musical „Cabaret“ in der Inszenierung von Rosamund Gilmore und unter der musikalischen Leitung von Tobias Schwencke im Stadttheater Konstanz Premiere. Die Faszination für die ‚Goldenen 20er‘ ist spätestens seit Kinofilmen wie „The Great Gatsby“ und dem Erfolg der Krimi-Serie „Babylon Berlin“ größer denn je: Insbesondere junge Menschen besuchen Lindy-Hop-Kurse, Electro-Swing-Nächte und Great-Gatsby-Parties. Es ist laut, funkelnd, dekadent – und macht Spaß. Die Zwecksetzung scheint noch dieselbe wie vor fast hundert Jahren zu sein – eine nächtliche Realitätsflucht vor einem deprimierenden, dem Lohnerwerb unterworfenen Alltag und dem Gefühl der (vermeintlichen) politischen Machtlosigkeit.

„Willkommen, Bienvenue, Welcome“

Genau diesen Spaßfaktor betont der Conférencier des Kit-Kat-Klubs (Ingo Biermann stellte erneut sein Gesangstalent unter Beweis), wenn er die Gäste zur allabendlichen Show begrüßt: „Bei uns ist alles wunderschön!“ – die Girls, die Gäste und das Leben selbst. Bei der Silvesterparty 1929/30 sind noch alle willkommen im Cabaret. Auch der von einer Schreibblockade geplagte amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw, mit einer tollen Singstimme verkörpert durch Arlen Konietz, stürzt sich – eben erst in Deutschland angekommen – in das vielbesungene Getümmel des Berliner Nachtlebens – bunt und schillernd wie die Kostüme der Kit-Kat-Klub Girls (Ausstattung mit viel Liebe zum Detail und einem Gespür für die Epoche: Carl Friedrich Oberle). Sein neuer und erster deutscher Freund Ernst Ludwig (Peter Posniak), der Vorname wird später noch Programm, hat ihm den Klub empfohlen und eine Bleibe verschafft; bei Fräulein Schneider (Katrin Huke), einer in die Jahre gekommenen und dennoch sehnsuchtsvollen Pensionswirtin, die das 100-Mark-Zimmer auch für 50 Mark vermietet („Kommse, kommse!“). Katrin Huke zieht das schroff und ehrlich klingende Berlinerisch bis zum Ende durch, ebenso wie die gesanglich feinfühlige Interpretation ihrer starken und zugleich verletzlichen Rolle.

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Unterschied wie Tag und Nacht

Viele Figuren des Stücks haben zwei Seiten, wie der Star des Kit-Kat-Klubs Sally Bowles (hervorragender Gesang und Körpereinsatz: Anne Simmering), die sich als aufstrebende Schauspielerin und „extraordinäre Person“ glaubt, obschon ihre Auftritte im Cabaret weniger mit ihrem Talent denn mit ihrer sexuellen Gefügigkeit ihrem Chef gegenüber zu tun haben. Ernst Ludwig verdient sich seinen Lebensunterhalt mit Geldschmuggel, Cliff Bradwshaw mit elterlichen Schecks anstelle von Romanen und der Conférencier mit dem Trinkgeld seiner Girls, das diese bei ihm abliefern müssen. „Money makes the world go round“ heißt einer der Songs im Stil der späten 1920er. Für das täglich Brot gehen viele Kompromisse ein, die nachts bei Musik und Alkohol vergessen gemacht werden. Die Inszenierung arbeitet die Widersprüche dieser Zeit zwischen Realität und Wunschtraum schauspielerisch (Sorglosigkeit vs. Existenzängste), choreografisch und musikalisch (Swing vs. Marschmusik) sowie bühnenbildnerisch (Leuchtreklame vs. Hakenkreuze) geschickt heraus. Besonders bemerkenswert sind dabei die im Vergleich zu größeren Häusern an sich knappen Personalressourcen, aus denen das Konstanzer Theater alles rausholt und dabei Großartiges leistet (ein siebenköpfiges Orchester und ein sechsköpfiger Chor!).

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Von der Komödie zur Tragödie

Die erste Hälfte des Musicals nimmt sich Zeit, das Publikum in die Vergangenheit zu versetzen; an manchen Stellen vielleicht etwas zu viel. Klamaukige Nummern wie „Two ladies“ oder „Nichts wär mir so lieb“, eine Ode an die Ananas, führen zu großer Erheiterung im Zuschauerraum und zeigen gleichzeitig den lüsternen Humor der damaligen Zeit. Sex trifft auf Schicklichkeit. Fräulein Schneider bandelt mit dem jüdischen Gemüsehändler Herr Schultz (Ralf Beckord zeigt seine sanfte Seite) an und nimmt sichtlich gerührt seinen Heiratsantrag entgegen, um eben dieser Schicklichkeit Rechnung zu tragen. Auch Sally und Clifford verlieben sich im Laufe des Stücks ineinander und denken über eine gemeinsame Zukunft nach. Doch die Drohkulisse des Nationalsozialismus überschattet das Glück der Frischverliebten. Disharmonien schleichen sich ein und der Kit-Kat-Klub wird immer mehr zum Zerrbild der Realität. „Finden Sie unser Land nicht schön?“, fragt der Conférencier in heiterem Tonfall das Publikum. Und? Wie ist es bei Ihnen?

F. Spanner (Foto: Bjørn Jansen)


Weitere Aufführungstermine: 16.4., 20.4., 21.4., 24.4., 25.4., 27.4., 2.5., 4.5., 8.5., 10.5., 11.5. und 12.5.