Als das Reisen nicht mehr geholfen hat
Passend zur beginnenden Feriensaison samt weiteren Lockerungen spricht Valentin Groebner, Geschichtsprof an der Uni Luzern, über sein aktuelles Buch „Ferienmüde“. Darin zeichnet er die historische Entwicklung des Urlaubs nach – dem Ausflug in die Fremde, der inszenierten Utopie. Nicht nur durch Corona fällt sie immer weiter in sich zusammen. Der von der vhs organisierte Vortrag findet im Konstanzer Kulturzentrum in Präsenz statt.
Dass der Urlaub im Ausland oder sonst wo, das „Wegfahren“, von uns allen als ein Grundrecht wahrgenommen wird, ist eine eigentlich recht junge Entwicklung. Und mit dieser Entwicklung ging die Entstehung von immer mehr fiktionalisierten Ferienorten einher: Ischgl, Basel, Luzern, aber auch Konstanz berufen sich gegenüber ihren Gästen und Touris auf ihre ureigene Tradition und Heimatfühligkeit.
Groebner dekonstruiert in seinem aktuellen Buch „Ferienmüde“ das Urlaubsresort als die letzte große Utopie des 21. Jahrhunderts, die nicht nur arbiträr und fiktionalisiert ist, sondern in Zeiten von „overtourism“ nun vollends in sich zusammenfällt. Denn da wo geneigte Urlauber:innen Ruhe vom Alltag suchen (okay, vielleicht nicht unbedingt auf Malle und in Ischgl), finden sie dann doch oft nur überlaufene Strände, volle Hotels, und so werden diejenigen, die sich auf den Individualurlaub eingestellt haben, am Ende auch nur zu gewöhnlichen Tourist:innen in der Finanzkalkulation ihrer bevorzugten „besonders individuellen“ Feriendestination.
Die Auswüchse dieser Entwicklung sind nicht nur zum Beispiel durch die Germanisierung von Mallorca sichtbar. Auch die Erfindung der „urbayrischen“ Kulturtradition schlägt in dieselbe Kerbe. Und wo die angeblich mittelalterliche Luzerner Kapellbrücke schon seit Jahrhunderten kein originales Stück Holz mehr hat (sie wird alle paar Jahre grundsaniert – es ist ja auch nur eine Holzbrücke), wo in Luzern, Konstanz und Basel die Innenstädte mit Geranien ausstaffiert werden, die traditionell authentisch wirken sollen, aber jedes Jahr aufs Neue aus Afrika herangekarrt werden, weil sie in hiesigen Gefilden gar nicht wachsen. Da erlaubt sich durchaus die Frage, was denn eigentlich diese authentische Urlaubserfahrung sein soll, von der immer alle reden.
Denn ausgerechnet nach dem Jahr 2019, als immer öfter das Schlagwort „overtourism“ im Gespräch war, kam Corona. Strände dicht, Restaurants dicht, Grenzen dicht, Flughäfen dicht. Doch nicht nur deshalb hört diese Utopie gerade auf zu funktionieren. Es ist voll und eng geworden im Paradies. Deswegen ist es wie jedes Paradies leider unlängst endgültig geschlossen worden. Die Erfüllung der Träume hat zu viel Schmutz hinterlassen, jede Menge Überdruss und Müdigkeit. Doch kehrt nach Corona irgendwann die Normalität zurück? Grund genug für eine kleine Bilanz. Worum ging es beim touristischen Aufbruch in die Freiheit eigentlich und was lässt sich heute damit anfangen?
Valentin Groebners unnachahmlicher, pointierter Schreibstil ist immer einen Blick zwischen zwei Buchdeckel wert – und einen Vortrag im Wolkensteinsaal im Konstanzer Kulturzentrum.
Los geht’s am Mittwoch, den 16. Juni um 19.30 Uhr. Anmeldung und weitere Infos finden sich hier auf der vhs-Seite.
Es handelt sich hierbei um eine Präsenzveranstaltung in einem Innenraum. Hierfür hat die vhs die ansonsten auch üblichen Maßnahmen vorgesehen (Anmeldung, Maske, Abstand, Frischluft, Impfung/Genesung/Test). Detailliertere Information wiederum hier auf der vhs-Seite.
Alle, die keine Zeit haben oder noch nicht ganz warm mit Menschenversammlungen in Innenräumen sind, mögen bitte doch ihren nahegelegenen Buchladen plündern und sich die beiden Bücher Groebners zum Thema Urlaub, Tourismus und Ferien zu Gemüte führen. Sie sind beide ganz famos.
Valentin Groebner: Ferienmüde – Als das Reisen nicht mehr geholfen hat, Konstanz University Press, Göttingen 2020, ISBN 9783835391260, gebunden, 152 Seiten, 18,00 EUR.
Valentin Groebner: Retroland – Geschichtstourismus und die Sehnsucht nach dem Authentischen, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018, ISBN 9783103973662, kartoniert, 224 Seiten, 20,00 EUR.
MM/jh (Bilder Franca Pedrazzetti – Luzern / konstanz university press)