Angreifbare Traditionspflege: Gedenkfeier der Gebirgstruppe auf dem Hohen Brendten

Am Pfingstwochenende ist es wieder soweit: Der Kameradenkreis der Gebirgstruppe e.V. lädt nach Mittenwald zur traditionellen Ge­denk­feier, um ihre Gefallenen zu ehren und sich gegenseitig der Legende der „sauberen Wehrmacht“ zu versichern. Der Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege hingegen wird vor Ort unter dem Motto „Von Mittenwald nach Distomo“ der vielen Opfer der Gebirgs­truppe gedenken, die unter anderem an der Deportation griechischer Jüdinnen und Juden nach Auschwitz beteiligt war.

Die von Gebirgsjägern der Wehrmacht begangenen Kriegsverbrechen hinterließen in einer Vielzahl von Nazi-Deutschland überfallener Staaten eine lange Blutspur. „Sühnemaßnahme“ und „Vergeltungsaktion“ lautete die kriegspropagandistische Rechtfertigung, mit der deutsche Gebirgsjäger plünderten, Dörfer niederbrannten und Zivilisten – darunter auch viele Frauen und Kinder – ermordeten.

Die Blutspur der Gebirgstruppe von Polen bis nach Griechenland

Einheiten der ab 1935 von Ludwig Kübler – als Kommandeur einer bayrischen Heimatschutz-Kompanie war er bereits an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik beteiligt – aufgebauten Elitetruppe der Gebirgsjäger begingen in Polen, der Ukraine, Jugoslawien, Italien, Frankreich und Griechenland schwerste Kriegsverbrechen.

Sie beteiligten sich am Überfall auf Polen und der „Sturmfahrt auf Lemberg“. Im Kampf gegen die „jüdisch-kommunistische Verbrecherbande“ wurden Tausende Zivilistinncn und Zivilistcn von Gebirgsjägern ermordet. Die Zahl der ermordeten Jüdinnen und Juden lässt sich nicht angeben.

Die 5. Gebirgs-Division beteiligte sich 1941 an der „Operation Merkur“, dem Überfall auf Kreta. Gebirgsjäger erließen auch nach damals geltendem Kriegsvölkerrecht verbrecherische Befehle und begingen brutale „Vergeltungsmaßnahmen“ mit Massakern an der Zivilbevölkerung.

Deportation aus Ioannina

Auf der griechischen Insel Kephalonia beteiligten sich im September 1943 Gebirgsjäger an der Ermordung von circa 5000 italienischen Kriegsgefangenen: Aus Rache dafür, dass der vormalige Verbündete Italien nicht nur den „Duce“ Mussolini gestürzt – sondern auch gegenüber den Alliierten kapituliert hatte.

Bereits vorher hatten am 25. Juli 1943 Angehörige der 1. Gebirgs-Division auf dem griechischen Festland bei Mousiotitsa über 150 Männer, Frauen und Kinder ermordet und über 20 Ortschaften in Schutt und Asche gelegt. In Kommeno ermordeten am 16. August 1943 Angehörige derselben Division 317 Menschen, darunter 172 Frauen und 97 Kinder und Säuglinge. Kompanieführer Röser hatte die Losung ausgegeben, niemand dürfe überleben, „alle sind niederzumachen“.

Am 1. Oktober 1943 geriet der Wagen von Oberstleutnant Josef Salminger, Kommandeur des Gebirgs-Jäger-Regiments 98 – das im Rahmen der sogenannten „Bandenbekämpfung“ für diverse Massaker an Männern, Frauen und Kindern in der griechischen Epirus-Region verantwortlich war – auf der Fahrt von Ioannina nach Arta in einen Hinterhalt der Partisanen. Salminger wurde dabei getötet. Die Nachricht über seinen Tod veranlasste General Hubert Lanz, Kommandeur der 1. Gebirgs-Division, zu der Anordnung, diese Tat durch „schonungslose Vergeltungsaktionen in 20 km Umkreis der Mordstelle [zu] rächen“. Zwei Tage später wurde dieser Rachebefehl unter anderem mit dem Massaker von Lingiades in die Tat umgesetzt, das 82 Opfer forderte, darunter viele Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und elf Jahren.

Am frühen Morgen des 25. März 1944 – dem griechischen Nationalfeiertag und jüdischen Pessach-Fest – riegelten im nordgriechischen Ioannina Truppen unter dem Oberbefehl des Gebirgsjäger-Generals Hubert Lanz die jüdischen Wohnbezirke ab. Anschließend wurden über 1800 jüdische Männer, Frauen und Kinder auf bereitstehende offene LKW getrieben. Eine Propagandakompanie der Wehrmacht erstellte eine Fotodokumentation des Abtransports der jüdischen Bevölkerung. Von Larissa aus trafen sie nach neuntägiger Fahrt in Viehwaggons in der Nacht vom 10. zum 11. April in Auschwitz-Birkenau ein, wo das Gros der Menschen kurz nach der Ankunft in den Gaskammern umgebracht wurde. Möglich machten dies nicht Eichmanns Emissäre aus dem Reichssicherheitshauptamt – sondern eine ganz reguläre Wehrmachtseinheit: Gebirgsjäger. Von deren Verbrechen hier nur einige wenige aufgeführt werden können.

Das Traditionsverständnis der Bundeswehr

Der 1952 gegründete Kameradenkreis der Gebirgstruppe e.V. ist eine Vereinigung, die sich insbesondere aus aktiven und ehemaligen Soldaten der Gebirgstruppe von Wehrmacht und Bundeswehr zusammensetzt. Der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Massenmord und Ausgabe völkerrechtswidriger Befehle vom Nürnberger US-Militärgerichtshof zu 12 Jahren Haft verurteilte General a. D. Hubert Lanz wurde kurz nach seiner vorzeitigen Haftentlassung Ehrenvorsitzender des Kameradenkreises und Vorsitzender im Traditionsverband der 1. Gebirgs-Division. Seine Verurteilung sah er zeitlebens als völlig ungerechtfertigt an.

Lanz wie auch Kübler – der wegen seiner Verbrechen als Befehlshaber in der Operationszone Adriatisches Küstenland von einem jugoslawischen Militärgericht 1947 wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt und in Ljubljana hingerichtet wurde – waren Gallionsfiguren des Kameradenkreises der Gebirgstruppe. Lanz blieb bis zu seinem Tod 1982 dessen Ehrenvorsitzender, und Kübler diente der Bundeswehr drei Jahrzehnte lang als Namenspatron für eine Kaserne in Mittenwald.

Gedenkort Mousiotitsa

Das Traditionsverständnis von Kameradenkreis und aktiver Truppe der Bundeswehr drückte der bayrische Ministerpräsident und frühere Verteidigungsminister Franz Josef Strauß in einer Ansprache am 17. Februar 1986 anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der 1. Gebirgsdivision so aus: „Für die deutsche Gebirgstruppe war General Kübler als Mensch und Soldat ein Vorbild. Ihm hat die Truppe bis auf den heutigen Tag viel zu verdanken.“

Auch sein Nachfolger Edmund Stoiber, selbst Mitglied des Kameradenkreises, attestierte 2001 der Gebirgstruppe eine „unangreifbare Traditionspflege“.

Auch heute noch geht es bei der Brendten-Feier um Tätergedenken. Opfer haben am Ort der Täter keine Stimme. Auch heute noch werden die „lieben Kameradinnen und Kameraden unter dem Edelweiß“ in der Zeitschrift des Kameradenkreises der Gebirgstruppe beispielsweise um die Unterstützung der „Denkmalpflege auf Kreta“ gebeten. „Denkmäler“ wie jenes in Floria, das die 5. Gebirgs-Division 1941 für 14 nach dem Überfall auf Kreta bei Floria getötete Gebirgsjäger errichtete, deren Tod als Begründung für die „Vergeltungsmaßnahme“ in Kandanos herangezogen wurde. Nach der Restaurierung durch den Kameradenkreis zeigt nun wieder ein steinernes Halbrelief in bester Nazi-Manier martialisch Handgranaten schwingende Landser: „Gefallen für Großdeutschland am 23.5.1941“.

Gegenveranstaltungen

Der Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege organisiert seit 2002 Veranstaltungen gegen das Gebirgsjäger-Veteranen-Treffen in Mittenwald und bemüht sich seither zusammen mit der VVN-BdA und dem AK Distomo durch historische Recherchen NS-Täter zur Verantwortung zu ziehen.

„Als wir 2002 mit unserer Kampagne begannen“, so der AK Angreifbare Tradionspflege, „trafen wir die Verantwortlichen für die Massaker und für die Deportationen meist noch lebend an. So trafen sich die Mörder der 317 Zivilistinnen aus dem griechischen Kommeno – von der Justiz unbehelligt – als Kompanie-Kameradschaft regelmäßig in Gasthäusern, für einen Offizier, der die Deportation der Juden nach Auschwitz mitverantwortete, spielte eine Bundeswehr-Kapelle zum Geburtstag auf. Bei der Brendtenfeier stolzierten Ritterkreuzträger noch mit ihren Hakenkreuz-Orden herum. Das hat sich seit unseren Interventionen grundlegend geändert: Wir veröffentlichten Namenslisten mit Verdächtigen und organisierten Demos vor den Häusern der nicht verurteilten NS-Kriegsverbrecher. Die Treffen der in Kriegsverbrechen verwickelten Kompanie-Kameradschaften hörten aus Angst vor Strafverfolgung schlagartig auf. Auch die erfolgte Verurteilung des Gebirgsjägers Josef Scheungraber wegen seiner Beteiligung am Massaker im italienischen Falzano wäre ohne unsere vielfältigen ,Bemühungen’ und dadurch erzeugten öffentlichen Druck so wohl nicht erfolgt.“

Gedenkort Lingiades

Die Mitglieder des Arbeitskreises holten immer wieder Zeitzeugen aus den Opfergemeinden nach Mittenwald, ferner Historiker und Publizisten, und veranstalteten Hearings, Protestaktionen und Mahnwachen während der Brendten-Feiern.

Dieses Jahr finden die Gegenveranstaltungen zum Gebirgsjägertreffen auf dem Hohen Brendten vom 3. bis 6. Juni 2019 in Salzburg, München und Mittenwald statt (Programm siehe Infokasten).

An den Veranstaltungen wird auch Pandora Ndoni teilnehmen. Sie überlebte am 6. Juli 1943 im Alter von sieben Jahren das Massaker in ihrem Heimatdorf Borovë/Albanien, bei dem Angehörige der 1. Gebirgs-Division auf ihrem Weg nach Nordgriechenland 107 Männer, Frauen und Kinder ermordeten.

Aus Griechenland wird Dr. Efsthatios Chaitidis, Überlebender des Massakers von Pýrgoi, an den Veranstaltungen teilnehmen.

Der dritte Gast, Aristomenis Syngelakis aus dem Märtyrerort Viannos auf Kreta, kämpft seit vielen Jahren zusammen mit seinen MitstreiterInnen vom Nationalrat für die Entschädigungsforderungen Griechenlands gegenüber Deutschland für eine gerechte Lösung in der Entschädigungsfrage.

Sabine Bade (Text und Fotos der Gedenkorte Mousiotitsa und Lingiades und der Gebirgsjäger-Gedenkstätte in Floria; Foto einer Brendten-Feier © AK angreifbare Traditionspflege; Foto der Deportation aus Ioannina © Bundesarchiv, Bild 101I-179-1575-08 / Wetzel / CC-BY-SA 3.0)

Programm der Gegenveranstaltungen
(Liberation Tour 2019 „Von Mittenwald nach Distomo“)

3. Juni 2019 Salzburg
18.00 Uhr an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni Salzburg, Rudolfskai 42: „Mörder unterm Edelweiß. NS-Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger und ihre Traditionspflege“. Mit: Regina Mentner, Ralph Klein, Stephan Stracke (AK Angreifbare Traditionspflege).

4. Juni 2019 München
19.00 Uhr DGB-Haus Schwanthalerstraße 64: „Die Kriegsverbrechen der 4. SS-Polizei-Panzergrenadier-Division in Griechenland – Die Massaker der 1. Gebirgs-Division in Albanien und im Epirus – Entschädigung der NS-Opfer – Bestrafung der NS-Täter“. Mit: Pandora Ndoni (Borovë/Albanien), Überlebende des Gebirgsjäger-Massakers, Dr. Efsthatios Chaitidis, Überlebender des Massakers von Pýrgoi, Aristomenis Syngelakis, Nationalrat für die Entschädigungsforderungen Griechenlands gegenüber Deutschland, Ralph Klein, Historiker.
Veranstalter: AK Angreifbare Traditionspflege in Kooperation mit der DGB-Jugend München, mit der VVN-BdA München und dem AK Distomo.

5. Juni 2019 München
10.00 Uhr Pressekonferenz vor dem NS-Dokumentationszentrum, Max Mannheimer Platz 1, u.a. mit Aristomenis Syngelakis und Pandora Ndoni.
11.00 Uhr Transparent-Aktion für die Entschädigung der griechischen und albanischen NS-Opfer: „Der Freistaat Bayern muss zahlen!“. Vor dem Regierungssitz des bayerischen Ministerpräsidenten – Bayerische Staatskanzlei, Franz-Josef-Strauß-Ring (ehemaliges Armeemuseum).
ca. 12.00 Uhr Gedenken vor dem ehemaligen Jüdischen Altersheim an der Reichenbachstr. 27 in Erinnerung an die sieben Holocaust-Überlebenden, die am 13. Februar 1970 einem mörderischen antisemitischen Brandanschlag zum Opfer fielen.
ca. 13.00 Uhr Gedenken am sog. Russengrab auf dem Gräfelfinger Friedhof in Erinnerung an die am 2. Mai 1919 von Freikorps-Soldaten ermordeten 53 russischen Gefangenen.
ca. 15.00 Uhr Teach-In vor dem Schloss Seeseiten am Starnberger See „Finanziert Milliardär August Baron von Finck verdeckt die AfD? Zur familiären Kontinuität bei der Finanzierung rechter und nazistischer Parteien“.

5. Juni 2019 Mittenwald
ca. 19.00-22.00 Uhr Kundgebung am Gries vor dem Kameradschaftsabend der Gebirgsjäger, Vorführung des Dokumentarfilms „Ligiades: Der Balkon von Ioannina – Erinnerungen an die Besatzung“. Der Film von Chrysanthos Konstantinidis thematisiert das Gebirgsjäger-Massaker in seinem Heimatdorf Dorf Li(n)giades oberhalb von Ioannina, bei dem wahllos Babys, Kinder, Frauen, Ältere ermordet wurden als Rache für einen von Partisanen getöteten Gebirgsjäger-Offizier.

6. Juni 2019 Mittenwald
11.00 Uhr Obermarkt Mahnwache gegen das Traditionstreffen der Gebirgsjäger. Gespräch mit Pandora Ndoni (Borovë/Albanien), Überlebende des Gebirgsjäger-Massakers, und Aristomenis Syngelakis, Nationalrat für die Entschädigungsforderungen Griechenlands gegenüber Deutschland.
14:00 Uhr Internationale Gedenkinspektion der Brendten-Feier zur Kontrolle des Gedenkens des Kameradenkreises am Hohen Brendten.
Der AK Angreifbare Traditionspflege will mit einer internationalen Delegation, mit Angehörigen der Opfer, mit PressevertreterInnen und anderen die Gedenkfeier inspizieren. Teilnahme an der Veteranenfeier auf dem Berg in Mittenwald, um dabei die Einhaltung des neuen „Traditionserlasses“ der Bundeswehr zu kontrollieren, der die positive Bezugnahme auf die Wehrmacht verbietet. Dabei soll zusammen mit Angehörigen der NS-Opfer ein Kranz für die Opfer der deutschen Gebirgstruppe niedergelegt werden.