Auf der Suche nach Freiheit

Am 22. Mai 1939 – in diesen Tagen vor rund 80 Jahren – hat sich der Dichter, Revolutionär und Antifaschist Ernst Toller in einem New Yorker Hotel sein bewegtes und so endlos wertvolles Leben genommen. Mit Hilfe seiner Sekretärin hatte er für eine Reise nach Europa die Koffer bereits gepackt. Als sie aus einer kurzen Mittagspause zurückkehrte, hatte er sich erhängt. Hier eine Erinnerung an einen außerordentlichen Menschen.

An der Gedenkfeier Tollers nahmen 500 Trauergäste teil. Oskar Maria Graf, Juan Negrin und Sinclair Lewis hielten die Grabreden, Olga Fuchs rezitierte aus dem „Schwalbenbuch“, seinen 1923 im Festungsgefängnis Niederschönenfeld geschriebenen Texten.

Bei der Einäscherung am nächsten Tag waren nur noch drei Personen anwesend. Die Urne mit Tollers Asche stand danach unbeachtet über zwei Jahre im Keller des Krematoriums. Niemand hat sie abgeholt.

Über die Gründe für den Suizid des 46jährigen ist viel spekuliert worden. Fakt ist, der Bürgerkrieg in Spanien war Ende März 1939 mit der Einnahme der Heldenstadt Madrid durch die Franco-Söldner beendet. In Spanien, Deutschland und Italien triumphierten die Faschisten. Toller, der unendlich viel Kraft in die Solidarität investiert hatte, war tief erschüttert. Möglicherweise ahnte er auch den Beginn und das Ausmaß der Katastrophe, die nur einige Monate später, am 1. September, mit dem Überfall der faschistischen Wehrmacht auf Polen ihren Anfang nahm. Und ihm, dem enorm politisch Denkenden und Handelnden, blieb zu diesem Zeitpunkt nicht verborgen, dass keine Kraft sichtbar war, die dem Faschismus entgegentreten konnte – und wollte. Das mag zu der Verzweiflungstat geführt haben.

Das bewegte Leben Ernst Tollers begann am 1. Dezember 1893 in Samotschin, im Kreis einer deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie.

Nach dem Besuch des Gymnasiums begann er ein Jurastudium in Grenoble, unterbrach es nach kurzer Zeit und setzte es in Heidelberg und München fort. 1914, zu Beginn des 1. Weltkrieges, verpflichtete er sich noch als Kriegsfreiwilliger, um sich 1916, nach einer schweren Verwundung und der Entlassung aus dem Militärdienst zu einem entschiedenen Kriegsgegner zu wandeln. Unter dem Einfluss Kurt Eisners und Gustav Landauers, die er in München kennenlernte, verließ er die bürgerlich-expressionistische Opposition gegen die „Welt der Väter“, wurde Sozialist, bejahte den Klassenkampf, trat der USPD bei und beteiligte sich aktiv am Streik der Münchner Munitionsarbeiter.

Über seine Funktion als Vorstandsmitglied des Zentralrats der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte Bayerns, wurde Toller, der ein blendender Redner war, mit der Position des Staatsoberhaupts der ersten Bayrischen Räterepublik betraut und, nach deren Ablösung durch eine kommunistische Räterepublik, Oberkommandierender der Roten Armee an der Dachauer Front. 1919 wurde er deswegen zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt.

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Nach seiner Entlassung 1924 traf er auf eine gesellschaftliche Realität, die ihn tief erschütterte. Er trennte er sich von der USPD, verzichtete auf jede parteipolitische Aktivität, blieb aber der Arbeiterklasse und ihrem Kampf ein treuer Verbündeter, trotz tiefer Enttäuschungen über das Ausbleiben der proletarischen Revolution, für die er so viel gegeben hatte.

Er hat dann Bayern verlassen und ist nach Berlin gegangen, schrieb als Mitarbeiter für die „Weltbühne“, bereiste 1926 die Sowjetunion, 1929 die USA, 1930 Spanien und emigrierte 1933 über die Schweiz, Frankreich und England in die USA.

Seine Werke wurden in Nazi-Deutschland verboten, er wurde ausgebürgert. Nun begann sein Kampf für eine weltumfassende Solidarität der Menschlichkeit. Unvergessen ist sein rastloses Wirken im Exil. Es gibt unendlich viele bewegende Dokumente aus dieser Zeit, die das dokumentieren.

Auf der Londoner Schriftstellerkonferenz am 19. Juni 1936 ist er der Präsident und eröffnet sie mit einer ergreifenden Hommage zum Tod von Maxim Gorki. Seine Kernsätze werden: „Aus dem Volk stammend, wurde er die Stimme des Volkes. Seine Werke sind zum Besitz von Millionen geworden.“

Er beendete seine Rede mit den Worten: „Wir kennen die Bedingtheiten unseres Schaffens. Wir sind Pflüger, und wir wissen nicht, ob wir Erntende sein werden. Aber wir haben gelernt, dass ‚Schicksal‘ eine Ausrede ist. Wir schaffen das Schicksal! Wir wollen wahr sein und mutig und menschlich“.

Toller hat ein umfangreiches literarisches Werk hinterlassen, das zum Teil während seiner Gefangenschaft entstanden ist. In den ersten Jahren der Weimarer Republik gehörte er zu den bedeutendsten Bühnenautoren seiner Zeit.

Die Stücke „Hoppla, wir leben!“ (1927) und „Feuer aus den Kesseln“ (1930) gelten als die literarisch gelungenste und erfolgreichsten Arbeiten Tollers. Sein letztes Werk wurde das Drama „Pastor Hall“. Toller schrieb es 1938 an verschiedenen Orten: in New York, in Barcelona und in Cassis. Er stellte dem Stück voran: „Gewidmet dem Tag, an dem dieses Drama in Deutschland gespielt werden darf.“

Toller geriet nach 1945 – wie viele Exilschriftsteller – in Vergessenheit. Das hat sich inzwischen positiv verändert. Es gibt eine rührige Ernst-Toller- Gesellschaft, die regelmäßige wissenschaftliche Foren zu Toller organisiert und einen Ernst-Toller-Preis auslobt. Einzelne Werke wurden neu aufgelegt, eine gute Biographie ist erhältlich, eine kritische Gesamtausgabe in Arbeit. Und es gibt immer wieder – wenn auch spärlich – Bühnen, die seine Stücke aufführen.

Dirk Krüger (Bild: antifa.vvn-bda.de)

Der Text ist zuerst hier erschienen: antifa