Betriebsausflug in die Gaskammer

Unter diesem bemerkenswerten Titel ist auf der Höri ein bemerkenswertes Buch erschienen. Und die Lesung des Autors aus diesem Buch in der Gems in Singen wird – das ist nicht schwer vorauszusagen – sicher auch bemerkenswert. Neun Jahre lange forschte Bernhard Selting nach den Spuren seines Onkels, bis er den Mord an ihm beweisen konnte.

Der Maschinenbauingenieur Selting fand erst nach seiner Pensionierung im Jahre 2000 die Zeit, die Geschichte seines Onkels Peter Verhaelen zu recherchieren. Dessen Schicksal hatte ihn seit Jugendzeiten beschäftigt, doch die Informationen damals waren spärlich, teilweise auch falsch. „Eigentlich habe ich die Nachforschungen nur für meine Familie angestellt – wir wollten wissen, was mit unserem Onkel geschehen war. Als dann aber das umfangreiche Material zusammen getragen war, sagten viele ‚Mach doch ein Buch draus‘. Ich fand Unterstützung bei der VVN und  einen Verleger in Gaienhofen, der meine Texte als Buch herausbrachte“.

Da wird die Geschichte von Peter Verhaelen erzählt, der als 19jähriger am Ende des 1. Weltkrieges am Boykott und Aufstand der Matrosen und Hafenarbeiter teilnahm, der sich auch ansonsten politisch engagierte. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in den Jahren 1918/19  – Verhaelen immer mittendrin – traumatisierten den jungen Mann, der, als er in seinen alten Beruf als Konstrukteur nach Duisburg zurückkehrte, zu einem reizbaren Menschen wurde, der besonders unter Arbeitsdruck auf der Arbeitsstätte oder daheim schnell in Wut geraten konnte. Als in späteren Jahren weitere politischen Auseinandersetzungen hinzukamen – Verhaelen verweigerte den Hitler-Gruß mit den Worten ‚Für dieses Schwein erhebe ich nicht meine Hand‘ – schickte sein Arbeitgeber,  die Duisburger Kupferhütte, ein Tochterunternehmen der IG Farben, ihren renitenten Mitarbeiter für neun Monate „zur Erholung“ in eine Neußer Psychiatrie.

Und damit begann der Leidensweg des Peter Verhaelen: Denn in Neuß hieß die Diagnose: “ Schizophrenie“. Ein solches Arzt-Urteil lieferte in jener Zeit den Anstoß für medizinische Versuche, bei Verhaelen führte es 1936 „nur“ zur erzwungenen Sterilisation. Doch 1940 wurde auch dieser „Volksschädling“ in der Gaskammer ermordet.

Dieser, nur kurze Abriss der Leidensgeschichte von Peter Verhaelen, zeigt die Brisanz des Selting-Buches: Erinnerung an die Gräuel der Naziherrschaft, Mahnung zur Menschenwürde und Vorsicht vor neuerlichem Nazierstarken. Viele Gründe, die Lesung zu besuchen, das Buch zu lesen.

Das Buch: „Betriebsausflug in die Gaskammer“, ISBN 978-3-9811121-2-2, www.mdsverlag.de

Die Lesung: 25.3., 19 Uhr, im Gasthaus Kreuz in Singen (neben der Gems); Veranstalter VVN-BdA Konstanz-Singen