„Bevor die Glut in dir erlischt, verlass die Stadt, die keine ist“
Ingo Putz war Leiter des Jungen Theater Konstanz und arbeitete die vergangenen vier Jahre am Haus sowie an freien Projekten in Konstanz. Seine Frau Katharina Stehr war als Schauspielerin im Ensemble und als Theaterpädagogin im JTK tätig. Nun verlassen sie mit ihrer Familie die Stadt, um in Zittau eine neue Zukunft zu beginnen. Zum Abschied sprach Ingo Putz mit Veronika Fischer über seine Zeit in Konstanz.
Veronika Fischer: Ingo, was wirst du denn am meisten vermissen, wenn du von hier wegziehst?
Ingo Putz: Wir haben sehr, sehr gerne hier gewohnt. Für unsere Familie war es eine wichtige und prägende Zeit. Wir hatten hier unsere erste gemeinsame Wohnung, mit dem Glück, dass wir fantastische Nachbarn und wirklich freundliche Vermieter hatten. Und ich habe mir den langersehnten Traum erfüllt und meinen Segelschein hier gemacht. Aber neben dem Freizeitwert, den die Stadt bietet, sind es vor allem die Begegnungen, die das Leben ausmachen und die uns fehlen werden. Das Team des Jungen Theaters mit Annika, Lela, Tanja erweitert durch Bene und Alex, ist für uns zur Familie geworden. Wir haben sehr viel Zeit gemeinsam verbracht und sind auch zusammen in den Urlaub gefahren oder haben Ausflüge gemacht. Das werden wir am meisten vermissen.
Fischer: An wen außerhalb des JTK-Teams wirst du dich noch gern zurückerinnern?
Putz: Erst einmal natürlich an die vielen Kolleginnen und Kollegen am Theater, sowohl auf der Bühne als auch im Dunkeln – wir haben vieles zusammen durchgestanden, Schönes und auch weniger Angenehmes. Im Besonderen natürlich Marie Labsch, meine Ausstatterin, aber wir arbeiten natürlich weiter zusammen. Die beiden Daniels: Daniel Morgenroth und Daniel Grünauer, das war, ist und bleibt eine sehr enge Verbindung. Mit Susanne Schlegel-Creutzburg von der Philharmonie, die ganz liebevolle Kinderstücke gestaltet hat, habe ich mehrere Projekte gemacht auch während des Lockdowns. Dann gibt es den ehemaligen Kulturagenten Michael Müller, an den ich mich gern erinnere. Ines Stadie war sehr wichtig, auf sie sollte man definitiv immer hören, sie hat so viel zu sagen und tolle Ideen. Mit dem ganzen Team vom Kulturamt habe ich mich gut verstanden – da sitzen gute Leute, die viel für die Stadt tun. Und zu den Schulen habe ich gute Verbindungen gehabt. In der GSS habe ich mehrere Theaterklassen geleitet und One-Shot-Filme entwickelt mit den Schülerinnen und Schülern, dort gibt es ein engagiertes, theaternahes Kollegium. Und Marie Therese Gey vom K9 habe ich sehr geschätzt, sie ist dann für mich unverständlicherweise entlassen worden. Ach es sind sehr, sehr viele Menschen hier, die mir fehlen werden und die ich natürlich nicht alle hier aufzählen kann.
Fischer: Am Theater hat es ja durch den Intendanzwechsel einen großen Umschwung im gesamten Personal gegeben. Du gehst jetzt als Schauspieldirektor ans Theater in Zittau. Wie startest du dort?
Putz: Der Prozess hier in Konstanz war ganz normal. Das passiert eigentlich meistens beim Wechsel einer Intendanz. Natürlich ist die Frage berechtigt, ob es wirklich so laufen muss. Wir haben uns aber dafür entschieden das Ensemble in Zittau erstmal komplett zu übernehmen und zu sehen, wie wir zusammen arbeiten. So können wir die bestehenden Verbindungen verstehen und dann eigene Visionen daraus entwickeln. Das ist jedenfalls meine Strategie. Ich freue mich jetzt auf die neue Herausforderung und halte es mit dem Song von Gustav: „Bevor die Glut in dir erlischt, verlass die Stadt, die keine ist.“
Fischer: Wie ging es dir denn hier mit der Presse?
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Putz: Generell gibt es einige Redakteurinnen und Redakteure, die ich sehr schätze. Auch wenn wir teilweise unsere Not hatten, sie ins Kinder- und Jugendtheater zu locken: „Das Angebot sei zu groß.“ Selbst eine Gästin aus Nuuk (Grönland), die dort ein Star ist, hat vom Südkurier niemanden beeindruckt. Schade. Sie haben was verpasst. Als dann ganze Schulen verweigerten mit ihren Schülerinnen und Schülern die Vorstellung von „Brüder Löwenherz“ zu besuchen und es nach einem Skandal roch, da kam der Südkurier gleich zweimal und berichtete wie erwartet. Denn tatsächlich ist die Reaktion oder eigentlich die Ängste der erwachsenen Menschen auf Brüder Löwenherz in allen Städten ähnlich. Der Südkurier ist dem auf den Leim gegangen, enttäuschend, aber geschenkt.
Nur als die Berichterstattung im Wahlkampf zum Amt des Oberbürgermeisters so entgleiste, hat der Südkurier für mich eindeutig die Grenzen einer neutralen Instanz verfehlt. Das war ein sehr unsportliches Verhalten, das ich bedenkenswert finde. Und als dann die AFD-Beilage in der Aufmachung des Südkuriers erschien, war es ganz vorbei. So etwas geht in meinen Augen gar nicht. Das möchte ich jetzt nicht der Redaktion ankreiden. Viele waren selber schockiert und damit nicht einverstanden. Ich denke, in diesem Fall stinkt der Fisch vom Kopf her. Wie auch immer habe ich deshalb beschlossen, meinen Abschied hier zu geben, beim seemoz, der gibt wenigstens zu, parteiisch zu sein.
Fischer: Stichwort OB-Wahl. Auch der Kulturbürgermeister bleibt uns ja noch eine Runde erhalten. Wie findest du das?
Putz: Von Herrn Osner bin ich als ehemaliger Leiter des JTK in mehrfacher Hinsicht enttäuscht. Dank ihm habe ich allerdings gelernt, dass du einen politischen Posten ausführen kannst, ohne ein tieferes Interesse dafür aufzubringen – jedenfalls wirkt es so. Leider. Und wenn du Mist baust, hat es noch nicht mal Konsequenzen, wie beispielsweise bei dem Gutachten für das Tabori-Theaterstück. Was ist eigentlich mit dem Geld passiert?
Weder an den Schulen noch im Theater ist der Kulturbürgermeister sehr bekannt oder sagen wir häufiger gesehen. Wobei: Vielleicht verbringt er sehr viel Zeit in Sportvereinen, wäre ja schon mal etwas – das kann ich tatsächlich nicht beurteilen. Im Theater habe ich ihn ganz selten mal bei einer Premiere im Großen Haus gesehen, im Jungen Theater kein einziges Mal, auch nicht bei den wichtigen Club Premieren. Wenn ich sage, die Jugend der Stadt interessiert mich, dann schaue ich mir doch wenigstens an, was die Kids im Tanz-, Jugend- und in den Kidsclubs leisten! Aber zack: Er wurde wiedergewählt! Hä? Konstanz? Oder ist das als eine Art Nachsitzen zu verstehen?
Fischer: Das umstrittene Stück „Mein Kampf“ hat er ja auch nicht angeschaut…
Putz: Genau. Ich war von der Inszenierung auch enttäuscht, ich fand sie schwach. Und die Idee mit den Hakenkreuzbinden … wurde zum Glück noch aufgegeben. Aber Herr Osner hat sich für die Presse vor das Theater gestellt und ein Interview zu etwas gegeben, was er nicht wirklich klug beurteilen kann, ohne den Kontext der Inszenierung zu kennen und hat dann per Gutachten noch nachgetreten. Ich erwarte von Politikerinnen und Politikern, dass sie über persönlichen Konflikten stehen und mehr als nur reine Lippenbekenntnisse liefern. Fürs Theater bedeutet ein demokratischer Prozess, dass die Politik Geld für Kultur gibt und gleichzeitig in Kauf nimmt, dass sie von derselben kritisiert wird. Das ist eine Grundbedingung für Kunst in einer Demokratie. Nur so kann ein Dialog anfangen und nur so können Missstände aufgedeckt werden.
Fischer: Mit dem persönlichen Konflikt sprichst du die Fehde von Osner mit dem ehemaligen Intendanten Christoph Nix an. Wie war dein Verhältnis zu Nix?
Putz: Nach einem Jahr Funkstille nähern wir uns einander wieder, wir führen ehrliche Gespräche auf Augenhöhe und ich schätze es, dass Christoph Nix den Dialog mit mir gesucht hat. Das hat mich beeindruckt, nach unserem Streit. Ich sehe bei aller Kritik, die ich habe, auch die guten Dinge, die er in seiner Zeit am Theater gemacht hat. Wie auch immer: Wir bearbeiten unsere Geschichte unter uns.
Fischer: Was wünscht du dir denn für das Theater hier in Konstanz?
Putz: Geld! Das Haus ist total baufällig und wenn man da nicht schnellstmöglich investiert, dann wird das ein größeres Problem. In Schleswig wurde am Theater auch immer nur herumrepariert, bis es schließlich abgerissen werden musste. Das ist ein trauriges Bild, ein Theater, das abgerissen wird, das kann ich sagen. Ich verstehe nicht, warum die Stadt nicht endlich mal aufhört Geld in das Bodenseeforum zu stecken und stattdessen anfängt was Vernünftiges zu machen. Dort einen Ort für Kultur zu errichten, funktioniert nicht. Das Ding hat eine Atmosphäre wie eine Turnhalle. Da müsste sich dringend was ändern. Auch der Philharmonie wünsche ich den Platz, den sie verdient. Der Hafner wäre doch eine gute Möglichkeit für neue Kulturangebote!
Fischer: Und was wünscht du dir sonst noch für Konstanz?
Putz: Ich finde es sehr schade, dass sich die Stadt komplett gentrifiziert und es mehr und mehr unmöglich wird Wohnraum zu finden. Ich würde mir also wünschen, dass es ein Wohnkonzept gibt, dass es auch normalen Menschen ermöglicht, hier zu leben. Theatermenschen zum Beispiel! Und die queere Szene würde ich mir sichtbarer wünschen, dafür sollte es mehr Raum geben. Ach, und von den Politikerinnen und Politikern wünsche ich mir, dass sie mehr ins Theater gehen! Das fände ich gut. Auch mal ins Kinder- und Jugendtheater, bitte!
Fischer: Ingo, vielen Dank für dieses Gespräch. Und für deine tolle und wertvolle Arbeit hier in Konstanz, die wir sehr geschätzt haben und die uns fehlen wird! Wir wünschen dir und deiner Familie alles Gute und hoffen, dass wir uns bald wiedersehen!
Text: Veronika Fischer (Bild: privat)
Ich freue mich sehr, dass der kritische Geist von Ingo Putz eine neue Heimat findet, dass er sich nicht so leicht etwas sagen lässt, seine Phantasien nicht verliert, seine Geschichten erzählt, so ist doch aus all dem in Konstanz etwas entstanden, das weitergeht: und reife Väter verstehen es, dass man sie morden muss, aber die Liebe bleibt. Alles Gute der Theaterfamilie, der Kahtrin und den kids, wir finden uns im Zirkus von Oklahoma, das liegt zwischen Sardinien, Stammheim und Zittau und irgendwann gemeinsam in NUUK: toitoitoi vom alten Mann.