Brecht ergreifend

Mit einem 11-köpfigen Ensemble bringt Johanna Schall derzeit Bertolt Brechts Parabelstück „Die Tage der Commune“ auf die Bühne des Theaters Konstanz. Das Thema der kleinen Revolution am Ende des Deutsch-Französischen Kriegs in Paris im Frühjahr 1871 ist, wie die Themen vieler Brecht-Stücke, ‚harter Stoff‘ – schonungslos und authentisch erzählt. Doch die Inszenierung Schalls, die auf der Fassung des Berliner Ensembles aus dem Jahr 1962 basiert, schafft es mit viel Feingefühl, ohne erhobenen Zeigefinger die Schwierigkeiten einer Revolution darzustellen.

Die 72 Tage andauernde „neue Zeit“ folgt auf den Waffenstillstand zwischen Preußen und Frankreich und den Widerstand der französischen Nationalgardisten gegen die eigenen Befehlshaber („die den Krieg verursacht haben, sollen ihn auch bezahlen“). Am 26. März 1871 wird mit der Pariser Commune eine neue Herrschaft mit einem neuen Herrscher, dem Zentralkomitee, ausgerufen. Aus dem sprichwörtlichen „kleinen Mann“ wird der Souverän.

Sichtbare Klassenunterschiede

Gewöhnlich sind die Protagonisten in der Hinsicht, dass sie zwar unterschiedliche, aber doch weitestgehend alltägliche Berufe ausüben – vom Pfarrer und Physiker bis zum Bäckerlehrling: „Arbeiter wie wir“. Alle aber haben ihre persönlichen Hoffnungen und Wünsche an die Revolution. Da ist Jean Cabet (Dan Glazer), der Lokomotivführer, der seit drei Monaten keine Arbeit mehr hat, da aufgrund des Krieges keine Züge mehr fahren. Da ist seine Mutter, Madame Cabet (Renate Winkler), die keine Kokarden mehr verkaufen kann, weil das französische Hoheitszeichen für die Bevölkerung zu einem Symbol des Leidens geworden ist, und die Nationalgardisten „Papa“ (wandelbar: Thomas Fritz Jung) und François Faure (Peter Posniak), die keine Lust mehr haben, sich für 1,5 Francs pro Tag die „ungewaschene[n] Mäuler aufs Pflaster [zu] schlagen im Namen der Kultur“. Alle tragen sie ihren Professionen entsprechend Arbeitskleidung oder Uniform (Kostüm: Jenny Schall). Alle haben sie Blut an den Kleidern oder im Gesicht, auch der fein gekleidete Kellner Emile (Axel Julius Fündeling), der dem Patron (fein zynisch: Ralf Beckord) das Essen serviert.

Nur die Machthaber, wie Adolphe Thiers (auch Ralf Beckord) oder Jules Favre (Axel Julius Fündeling), haben sich nicht schmutzig gemacht und tragen weiße Hemden, Sakkos und Krawatten zu schwarzen Hosen und Schuhen. Details, etwa voluminöse Aristokraten-Perücken oder weiße Cowboyhüte, lassen sie wie Witzfiguren aussehen und reißen eine Kluft zwischen ihre Erscheinung und ihren nach wie vor hohen Einfluss. In der neuen Zeit hat die alte Garde (eigentlich) ausgedient – und doch werden bestehende Privilegien verteidigt. Auf modernen hohen Metall-Thronen sitzend werden sie von unsichtbarer Hand hinten an die Bühne (Nicolaus-Johannes Heyse) geschoben. Diese steigt von vorne nach hinten an – sie ist das Gefälle zwischen Arm und Reich, Macht und Ohnmacht. Wer die Bildsprache noch nicht verstanden hat, versteht es spätestens, wenn er das Material betrachtet: Quadratische Eisengitter, wie das Raster, durch das all die Entrechteten fallen.

Modern episch

Die Musik von Hanns Eisler in der schwungvollen Umsetzung von Torsten Knoll, der als preußischer Soldat am Bühnenrand sitzt und auch für Kanonen- und Musketensounds verantwortlich zeichnet, ist ein besonderes Schmankerl des Abends. Schon die Anfangsszene, in der das merklich gesangsgeschulte Ensemble das Revolutionslied „Le temps des cérises“ anstimmt, erzeugt Gänsehaut. Ganz in der Tradition des epischen Theaters werden die Musikstücke gezielt platziert und mit Präzision vorgetragen. Dabei weiß die Inszenierung im Ganzen mit den Stilmitteln des epischen Theaters zu arbeiten. Etwa übernehmen Schauspieler Frauenrollen und stehen als geschwätzige Hausfrauen (sehr amüsant: Thomas Ecke, Axel Julius Fündeling und Thomas Fritz Jung) bei der Bäckerei an oder posieren als Marianne (singt wieder wunderbar: Arlen Konietz) die rote Fahne schwenkend auf einer Kanone. Die Requisiten sind spärlich, aber gezielt eingesetzt: Die Reichen trinken aus Tässchen mit Goldrand und rauchen Zigarren, die Armen verkaufen Ratten am Straßenrand. Sarah Siri Lee König ist als Frau mit Ratte so beharrlich, dass man ihr das tote Tier am liebsten abkaufen möchte.

Die satirischen Elemente der Inszenierung, beispielsweise, dass besagte Ratte als Huhn auf dem Teller des Patrons landet, tun der Botschaft des Stücks keinen Abbruch. Im Gegenteil – dass die Bürgermeister wie die Hühner auf der Stange am Bühnenrand sitzen, im Chor erstmal tief seufzen, um dann den Kommunarden für die Erreichung ihres Ziels energisch „Toi,toi,toi“ zu wünschen („Möge Euch Eure Aufgabe glücken, uns ist sie ein wenig zu groß“) und synchron seitlich hinüberfallen ist keineswegs überzogen. Komisch, aber typisch für Brecht, ist auch die Erklärung einer umständlich formulierten, doch im Grunde vernünftigen Forderung der Commune. Jeder solle nach seinem Beitrag am Ertrag der Gemeinschaft partizipieren. Mehrmals fragt Clément (Sarah Siri Lee König), Delegierte der Commune, ins Publikum, ob das jeder verstanden hat und bittet ihren Kollegen Pierre Langevin (große Klasse: Thomas Ecke) zusätzlich um Wiederholung.

Brot ist Brot?!

In der Tat scheint zumindest bis zur Pause die Brecht’sche Lehre nicht zum ganzen Publikum durchgedrungen zu sein. Hinter mir raunt ein älterer Herr seiner Frau zu: „Also ich weiß ja noch nicht, was dieses Stück mir sagen soll?“ Sie antwortet: „Die kriegen eins auf’n Deckel. Dann war’s das.“. Er: „Noch eine Stunde. Dann sind se alle tot.“. Im Grunde könnte man das so sagen, wenn man Brecht nun überhaupt nicht verstehen will. Lesart des Stücks Nummer eins wäre also: Revolutionen sind grundsätzlich zum Scheitern verurteilt. Punkt. Das Entscheidende ist jedoch das Warum. Warum scheitert diese Revolution? Diese Revolution scheitert erstens, weil die Kommunarden verkrustete Strukturen des alten Systems vorfinden, die ihnen eine Ordnung nach ihren Vorstellungen faktisch unmöglich machen. Und damit gelangen wir zum zweiten Grund des Scheiterns: Diese von den Revolutionären unverschuldeten verkrusteten Strukturen, die die Veränderung verhindern, sind nur mit Gewalt überwindbar. Dabei hatten sich die Kommunarden Gewaltfreiheit geschworen. Ist die Lage wirklich so bitter, dass alle Ideale über Bord geworfen werden dürfen?

Als die alte Regierung die Bevölkerung mit der Verteilung von Brot „pazifizieren“ will, sagen die einen: „Weißbrot mit Ordnung – das ist der Krieg gegen uns“. Die anderen konstatieren: „Brot ist Brot“. Was aber, wenn man „das schlechte Leben mehr fürchtet als den Tod“? Ist Gewalt dann legitim? Kann körperliche Gewalt gerechtfertigt sein, wenn das Los sonst lebenslange Armut ist? Und ist Gewalt legitimer, wenn sie von Mächtigen ausgeübt wird? All diese Fragen stellen uns Brecht und seine Enkelin. Und sie warnen uns: Wenn Ihr etwas erreichen wollt, rauft Euch zusammen oder Ihr erreicht gar nichts. So lautet denn die Resolution der Kommunarden: „keiner oder alle, alles oder nichts“.

F. Spanner (Foto: Ilja Messe)


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