Bücher, die das Leben schreibt
Wolfgang Schorlau ist der neue Star unter Deutschlands Krimi-Autoren. Seine sechs bisher veröffentlichten Thriller haben allesamt einen aktuellen, politischen Hintergrund. So aktuell, dass einem nach den jüngsten Nazi-Morden geradezu gruselig werden kann. Denn in seinem Buch „Das München-Komplott“ nimmt er zum Beispiel die Verquickung von Verfassungsschutz und Naziszene vorweg. Vorweg? Wie es scheint, stecken wir mitten drin.
Zugegeben, anfangs schienen mir die Plots reichlich verschroben, glaubte ich, einem Verschwörungstheoretiker aufgesessen zu sein. Doch spätestens beim Lesen des Nachworts (und das heißt in jedem seiner Bücher „Finden und erfinden“), in dem der Autor regelmäßig seine Recherchen beschreibt, kommt jeder noch so kritische Leser ins Grübeln. Was weiß man denn wirklich von der NATO-Geheimorganisation Gladio und was von den Tricks der Pharmaindustrie? Und glaubten wir nicht immer schon, dass im Afghanistankrieg geheime Waffen zum Einsatz kommen?
Held von Schorlaus Kriminalromanen ist der trinkfeste Bluesfan Georg Dengler, der seinen Job als BKA-Polizist aus Frustration über Polizei-Affären hinschmeißt, um sich als Privatermittler in Stuttgart selbstständig zu machen. Doch seine Recherchen führen ihn durch ganz Deutschland, selbst in die USA. Und immer wieder stößt er bei simplen Kriminalfällen auf politische Hintergründe, die aufzuklären viel spannender sind als der Erbschaftsfall oder der Ehebruch. Und für den Leser viel informativer.
So geht es in Denglers erstem Fall „Die blaue Liste“ auch um die Ermordung des ersten Präsidenten der Treuhandanstalt, Detlev Rohwedder, durch die RAF; im zweiten Fall/Buch „Das dunkle Schweigen“ um die Lynchjustiz an alliierten Piloten im 2. Weltkrieg und im dritten Buch „Fremde Wasser“ um die Privatisierung der Wasserwirtschaft. Schorlau, der in den knapp zehn Jahren seines Schreibens auch Bücher wie „Sommer am Bosporus“ oder „Stuttgart 21“, alle bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und nicht teurer als acht Euro, verfasst hat, liefert immerzu aktuell-politischen Mehrwert in seinen Büchern.
Das gilt auch für Denglers vierten Fall „Brennende Kälte“, der sich den Afghanistankrieg und den dort vermuteten Test von Mikrowellenwaffen zum Thema nimmt. „Das München-Komplott“ beleuchtet Zusammenhänge um das nicht endgültig aufgeklärte Bombenattentat auf das Oktoberfest 1980 – erst kürzlich berichtete „Der Spiegel“ von neuesten Fahndungserfolgen, die Schorlaus Theorien zu bestätigen scheinen. Und im bislang letzten Buch der Dengler-Reihe „Die letzte Flucht“ nimmt Schorlau die Machenschaften der internationalen Pharmakonzerne aufs Korn.
Und so lesen sich die spannend wie witzig formulierten Schorlau-Bücher immer auch als Enthüllungsromane, als Bücher, die das Leben schrieb. Das aber macht sie gleichzeitig auch zu Schock-Thrillern. Denn Denglers Geschichten passieren hier und heute – der Killer könnte unser Nachbar, der Ermittler eine Kneipenbekanntschaft sein. Und der Neonazi unser Schulfreund…
Autor: hpk