Da ging ein Stöhnen durch Europa

Jane Birkin 1985; Foto: Roland Godefroy

Jessas, bei diesem Text setzt ja sofort eine Zeitreise ein, die in den späten 1960-er Jahren rasant Fahrt aufnahm. In jenen Tagen roch es nicht nur hierzulande in so ziemlich jeder Ecke nach Umbruch und Neuorientierung. Die Jungen standen auf, um sich gegen das verknöcherte Establishment zu wehren, nicht nur in den Großstädten. APO-Zeit, Studentenunruhen, Sex&Drugs, dazu Rock´n Roll, und das nicht eben knapp.

Politisch war man mehrheitlich links orientiert, protestierte gegen BILD und dumpfe Altnazis, das Haar wurde länger, die Röcke kürzer und die Boxen wurden bei „Satisfaction“ dermaßen Richtung Anschlag gedreht, dass es die Nachbarn aus den Betten warf.

Am Wochenende zog es uns Flaumbärtlinge in der Regel gerne in verrauchte Diskotheken, in der Hoffnung, dem anderen Geschlecht beim Tanze entscheidend näher zu kommen. Doch Körperkontakt bei wilden Rock- Rythmen? Ging nicht bei dem Gehampel, das eher an Veitstänze unter dem Einfluss halluzinogener Substanzen erinnerte. Aber dann kam SIE – Jane Birkin. Wir schreiben das Jahr 1969 und zusammen mit ihrem Partner Serge Gainsbourg schaffte sie es, mit ihrem Song „Je t´aime…moi non plus“ unseren Hormonhaushalt in die vermeintlich richtigen Bahnen zu lenken. Endlich ein Tanz, bei dem Anfassen zur Pflicht wurde, sich eng aneinandergeschmiegte Pärchen nach dem lasziven Gestöhne langsam bewegen durften und begierig die deutlichen Beischlafgeräusche aufsogen, die da zu hören waren. Manch` Plattenaufleger verdiente sich damals ein sattes Zubrot und zog Kohle cash, wenn man ihn inbrünstig bat, den Brunftsong mehrmals am Abend aufzulegen. Das war nicht eben billig und die Erfolge waren trotz eifrigster Bemühungen und hoher Einsätze eher spärlich gesät.

Genug davon. Widmen wir uns der Interpretin, um die es hier schließlich gehen soll. Also: Jane Birkin kam 1946 in London auf die Welt. Das zartgliedrige Wesen zählte gerade mal 20 Lenze, als es in Michelangelo Antonionis Kultfilm „Blow up“ eine tragende Rolle spielte. Sie zeigte viel nackte Haut, der Streifen wurde ein Renner und Jane Birkin quasi über Nacht zu einer Art Sexsymbol jener Jahre. Dann lernte sie den französischen Popstar Serge Gainsbourg kennen und lieben. Je t`aime entstand und mit dem Song haben sich beide nahezu unsterblich gemacht. Mehrere Radiostationen in Europa setzten das Stück auf den Index, nachdem die Spießergeneration gegen das ihrer Meinung nach unzüchtige Liedgut Sturm gelaufen war. Das wiederum führte dazu, dass die Scheibe innerhalb weniger Monate über eine Million Mal verkauft wurde und das Duo Birkin/Gainsbourg die Titelseiten fast aller europäischen Gazetten eroberte.

Nach rund 12 Jahren trennte sich das äußerlich so ungleiche Pärchen, doch freundschaftlich verbunden blieben sie sich bis zum Tode Gainsbourgs 1990. Mit ihrem neuen Lebenspartner, dem Regisseur Jacques Doillon, drehte Jane Birkin während der 80-er Jahre einige Filme, in denen sie sich einen Ruf als durchaus seriöse Schauspielerin erarbeitete. Sie stand während ihrer schauspielerischen Laufbahn mit Romy Schneider, Peter Ustinov, Brigitte Bardot und Alain Delon vor den Kameras, hinter denen sich Größen wie Roger Vadim, Alain Resnais oder Jean-Luc Godard tummelten. Bis zum heutigen Tag hat Jane Birkin in rund 80 Filmen mitgespielt. Aber auch der Sangeskunst blieb sie erhalten. 1987 erschien ihr Album „Lost Song“, aber 1990, nach dem Tode Gainsbourgs, beschloss sie, ihre musikalische Karriere zu beenden. Sie könne sich nun nicht mehr vorstellen zu singen, oder mit „irgendjemand anderem eine Aufnahme zu machen“. Der so Verehrte hatte ihr kurz vor seinem Tod noch seine letzte Platte „Amours Des Feintes“ gewidmet.

Doch knapp acht Jahre später brach sie ihr Versprechen und veröffentlichte „A la legere“. Gainsbourg hätte es ihr allemal verziehen, denn Jane Birkin brachte mit bekannten Künstlern wie Bryan Ferry oder Manu Chao zum Teil erstklassige Scheiben auf den Markt. 2002 bearbeitete sie einige Gainsbourg-Songs neu und das 2003 erscheinende Album „Arabesque“ wurde vor allem in Frankreich hoch gelobt und mit Gold prämiert. Doch nicht nur in ihrer Wahlheimat, sie lebt meist in der Bretagne, blieb ihr der Erfolg treu. Auch die Deutschen haben sie nicht vergessen und die Zeitschrift „Brigitte Woman“ widmete ihr 2008 eine ungewöhnlich ausgiebige Titelstory.

Was wahrscheinlich die wenigsten wissen: Schon seit 1986 gibt es eine extra für Birkin entworfene Handtasche, die im Laufe der Jahre zu einem äußerst beliebten Modeartikel geworden ist. Doch Vorsicht, die Teile kosten ein Vermögen, unter 5000 Dollar geht da gar nichts. Am 14.Dezember wurde Jane Birkin 65 Jahre alt. Zur Feier des Tages und gebeutelt von romantischen Erinnerungen legte der Verfasser dieser Zeilen dann schmunzelnd eine alte Platte auf…..

Wer die Sängerin live erleben möchte: Dienstag, 24. Januar 2012, 20 Uhr im Kaufleuten in Zürich. Tickets: www.kaufleuten.ch/ticketvorverkauf

Autor: H.Reile