Das Denkmal muss auf den Schloßplatz

Der Bildhauer Peter Lenk wird dem Stuttgart 21-Protest ein Denkmal setzen. Es soll ein „irrer Tunneltrip“ durch Gipskeuper und Mineralbäder werden. Geschmacklos wie das ganze Projekt, verspricht er. Die Granden des Widerstands gegen S-21 sind an den Bodensee gefahren, um zu sehen, ob es gelingt. Kontext-Reporter Josef-Otto-Freudenreich hat sie begleitet.

Es ist Nacht, es regnet, die Autobahn ist leer. Zeit für Geschichten. Die beiden Männer erzählen, was sie so beschäftigt. Volker Lösch arbeitet an einem Stück mit dem Titel „Das blaue Wunder“, in dem eine Gruppe Dresdner Bürgerinnen und Bürger eine Schiffsreise unternimmt. Kurs hart rechts. Eine Alice Weidel ist auch dabei. Winfried Wolf hat mehrere Texte über die Novemberrevolution 1918 geschrieben, die Rolle der konterrevolutionären SPD (wer hat uns verraten …?) gegeißelt und an Tucholsky erinnert, der meinte, diese Partei könne auch „Hier können Familien Kaffee kochen“ heißen. Als nächstes soll eine Serie über die Bosse der Bahn folgen. Und was wohl Sahra Wagenknecht macht? In der Linken bleiben oder raus gehen? Das wissen auch die beiden Linken nicht.

Diese kleinen Werkstattberichte stehen hier nur, um zu zeigen, dass der Regisseur (Dresden) und der Publizist (Berlin) sehr beschäftigt, und trotzdem von weitem angereist sind, um einer weiteren Herzensangelegenheit Ausdruck zu verleihen: dem Stopp von Stuttgart 21. Und eigentlich wollten sie auch noch den Kriminalschriftsteller Wolfgang Schorlau sowie den Schauspieler Walter Sittler mitnehmen, aber der eine kränkelt und der andere hat offenbar noch mehr Termine als Lösch, mit dem er einst den „Schwabenstreich“ erfunden hat. Werner Sauerborn, der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, ist aber noch mit dabei. Er ist mit dem Zug von Stuttgart nach Singen und von dort mit dem Fahrrad nach Bodman gefahren.

Lenk zieht der oberen Mittelschicht die Hosen aus

Warum gerade dort das Stoppsignal gebaut soll, wo selbiges doch schon vielerorts und von vielen versucht wurde, scheint erklärungsbedürftig. 446 Montagsdemos, neun Jahre Mahnwache, gut ein Dutzend Sachbücher, mehrere Romane, mindestens ein Theaterstück. Da ist es höchste Eisenbahn für eine Skulptur und dafür kann es nur einen geben: Peter Lenk, den Meister der Groteske. Er ist der Künstler, der der oberen Mittelschicht die Hosen auszieht. Merkel, Schröder, Oettinger, Kauder im Bananenröckchen, Walser in Schlittschuhen auf dem Esel – alle stehen oder sitzen sie um das schwäbische Meer herum. Etliche als lahme Enten. Am weitesten hat es der frühere „Bild“-Chef Kai Diekmann geschafft, mit einem Penis, fünf Stockwerke groß am alten Berliner taz-Haus.

Von Lenk, dem „plastischen Anarchisten“ (Christoph Nix in Kontext 322), ist bekannt, dass er sich vor nichts und niemanden fürchtet. Dass er der herrschenden Klasse ihre eigene Melodie vorspielt, und glucksend lacht, wenn ihr die Ohren schmerzen. Thomas Strobl zum Beispiel, der Schäuble-Schwiegersohn, hält ihn für einen Produzenten von Sauereien. Für Volker Lösch, den Berserker auf der Bühne, ist Lenk politisch und radikal im besten Sinne, künstlerisch geistesverwandt. Da passt Stuttgart 21. Seit vier Jahren denkt der „Skandal-Bildhauer“ (Bildzeitung) darüber nach, seitdem er auf dem Weg zum SWR war, um dort in der „Leute“-Sendung anzudeuten, dass er sich in geschmackloser Weise dem Thema nähern wolle. Es gehe einfach nicht anders, hat er damals gesagt, wenn man die Reste des Schloßgartens gesehen habe.

Jetzt ist er so weit. In seinem Atelier ist das Werk im Werden, acht Meter hoch, auf einer Grundfläche von 270 x 270 Zentimeter mit einem Sockel aus Stahl. Es trägt den Arbeitstitel „S 21 – Das Denkmal. Die Chronik einer grotesken Entgleisung“, und führt als „irrer Tunneltrip“ durch Gipskeuper und Mineralbäder, ungebremst durch Wasserwerfer, vorbei an Parkschützern und verdächtigem Juchtenkäferkot. Hoch hinaus ins Wolkenkuckucksheim und mitten hinein in die griechische Mythologie. So steht’s auf dem Zettel, den er an seine Besucher verteilt, unter ihnen im Übrigen auch sein Steuerberater Mannherz, der darauf achtet, dass sein Mandant nicht nur für umsonst arbeitet.

Tatsächlich, die Hauptfigur ist Laokoon. Sie wissen schon, der Priester aus Troja, der mit den Schlangen kämpft, um sich und seine Söhne zu retten. Die Meeresungeheuer hat ihm Athene auf den Hals gehetzt, weil er vor dem hölzernen Pferd, in dem die Griechen hockten, gewarnt hatte. Bei Lenk hat er hat noch keinen Kopf, ringt aber so verzweifelt mit einer Schlange, die unschwer als ICE zu erkennen ist, dass es nur ein schwäbischer Laokoon sein kann. Aber wer ist es, wer hat ihm die Schlangen geschickt und wen muss er retten? Ringt er einen heldenhaften Kampf für seine Kinder, oder ist er schreiende Beute übermächtiger Naturgewalten? Von Lenk sind dazu keine Antworten zu bekommen. Er sagt, er sei doch nicht blöd, das jetzt schon zu verraten, um subito eine Klage an der Backe zu haben. Er verweist nur auf Rüdiger Grube, den Ex-Bahnchef, mit dem er „einer Meinung“ sei, weil der gesagt hat, er würde S 21 heute nicht mehr bauen.

Am schönsten wäre das Denkmal auf dem Schloßplatz

Die Delegation aus Stuttgart jedenfalls ist angetan. Wenn sie im Atelier hoch schaut, erkennt sie viele alte Bekannte wieder. Den Sozialdemokraten mit Gottes Segen, die Christdemokratin mit der Unregierbarkeit Deutschlands, den Grünen mit der Mehrheit und der Minderheit, und alle vereint in der Hoffnung, dass der Käs gegessen ist. Da sei das Mahnmal vor, und sei’s nur wie beim „Pimmel über Berlin“. Der Schelm mit der Strickmütze erzählt die Geschichte gern, vom Kaffeekränzchen von Angela Merkel und Friede Springer, die sich beklagt, jeden Tag auf das Geschlechtsteil am taz-Haus schauen zu müssen. Und was sagt die Kanzlerin: Viel schlimmer, ich muss das von Stoiber in die Hand nehmen. Zu sehen am Relief „Global Players“ in Ludwigshafen am Bodensee, wo immer lustige Japaner aussteigen und Fotografien machen.

Ja, das Denkmal wird „bunt, prall und vielschichtig“, wie Winfried Wolf befindet, und es braucht einen würdigen Ort. Am besten den Schloßplatz in Stuttgart, der Heimstatt des Protests. Wie die Hafeneinfahrt in Konstanz für die Imperia, zu deren Enthüllung damals 6000 Menschen herbei geeilt sind. Das müsste doch, so das Kalkül, einen „eindrucksvollen Kristallisationspunkt“ für den Tourismus in der Landeshauptstadt hergeben und den grünen Oberbürgermeister geradezu elektrisieren. Immerhin: Der Tourismusminister heißt Guido Wolf, ist CDU-Mitglied, bekennender Lenk-Fan und Vetter von Winfried. Für die Stadt ist allerdings Fritz Kuhn zuständig.

Das könnte problematisch werden. Nicht, weil Kuhn der Laokoon wäre, der einen verzweifelten Kampf verloren hat, sondern weil er Tag für Tag vorgeführt bekäme, was Politik anrichten kann. Es sei denn, er sieht’s wie Volker Lösch als „anspruchsvollste Gegenwartskunst“, die der politische Feind „zähneknirschend“ haben und ausstellen will. Eine konkrete Antwort aus dem Rathaus, die humoreske Souveränität der Grünen erhellend, steht bisher noch aus. Man warte ab, was die „Kollegen von der Fachbehörde“ dazu sagen, teilt Kuhns Pressestelle mit.

Josef-Otto-Freudenreich (Text und Bild; zuerst erschienen auf: www.kontextwochenzeitung.de)

Spenden ab Januar

Noch rund ein Jahr wird Lenk an seiner neuen Skulptur arbeiten. Winfried Wolf bereitet deshalb eine Spendenkampagne vor, denn von irgendwas muss der Künstler ja auch leben. Starten soll die Kampagne ab Mitte Januar 2019. Dann wird es dazu auch eine eigene Website geben. Kontext und seemoz werden beizeiten berichten.