Das gibt’s auf Spotify nicht

Am Sonntag gibt es in Konstanz wieder einmal die seltene Gelegenheit, Werk und Person eines zeitgenössischen Komponisten kennenzulernen. Gilles Colliard, auch als Geiger und Dirigent eine feste Größe des aktuellen Musiklebens, kommt nach Konstanz, um zusammen mit MusikerInnen der Südwestdeutschen Philharmonie eigene Werke aus den letzten drei Jahrzehnten zu präsentieren. Dieser Abend bietet einen leichten, gelegentlich auch augen­zwin­kern­den Einblick in die zeitgenössische Musik.

MusikerInnen beginnen ihre Karrieren zumeist schon im Kindesalter, und auch der 1967 geborene Colliard machte schon früh auf sich aufmerksam. Er war Violinschüler unter anderem von Jean-Pierre Wallez und Tibor Varga und begann selbst mit 15 Jahren eine Karriere als Solist und Kammermusiker. Er spielte schon früh die großen Schlachtrösser seines Fachs von Mozart über Bruch, Brahms und Tschaikowski bis hin zu Paganini und Bartók, und kennt die Bühne auch aus der Sicht des Konzertmeisters.

Ein für ihn prägender Schritt wurde allerdings seine Beschäftigung mit barocker Musik auf historischen Instrumenten, denn Colliard entwickelte sich zu einem weltweit anerkannten Solisten auch auf der Barockgeige und hat einige beeindruckende Aufnahmen eingespielt. Seit seinem 29. Lebensjahr hat er sich vor allem aufs Dirigieren und die alte Musik verlegt, aber auch schon als Teenager zu komponieren begonnen. Eine voll entwickelte Musikerpersönlichkeit also, während der Trend, auch angesichts der immer schärferen Konkurrenz gut ausgebildeter MusikerInnen untereinander, zu immer stärkerer Spezialisierung geht.

Vive la France

Wie so oft entstand die Idee zum Konstanzer Porträtkonzert durch eine persönliche Begegnung. In diesem Fall war es das gemeinsame Musizieren mit dem am See ansässigen Pianisten Timon Altwegg, der zusammen mit einigen verschworenen KollegInnen auch schon andere ausgefallene Konzertprogramme auf die Bühne gebracht hat. Die Kammermusikreihe der Philharmonie bietet MusikerInnen natürlich immer wieder eine geeignete Spielwiese, auf der sie sich und überraschende Werke ausprobieren können. „Immer nur Haydns ‚Schöpfung‘ zu spielen, so schön die Musik auch ist …“ – Karoline Renner, Flötistin der Südwestdeutschen Philharmonie, lässt den Satz unvollendet, aber alle Werktätigen, die Tag für Tag wieder unter das Joch der Lohnarbeit gezwungen werden, verstehen auch so, was sie meint. „In dieser Reihe dürfen wir spielen, was wir wollen, und es ist schön zu erleben, dass in Konstanz ein Publikum für neue Musik da ist und in unseren Konzerten auch richtig mitgeht. Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht für eine Stadt dieser Größe“, lobt sie die hiesigen KonzertgängerInnen.

Die Neugier der ZuhörerInnen soll am Sonntag befriedigt werden, denn die Werke sind so kurz, dass an diesem Abend auch genug Platz für das gesprochene Wort bleibt und Colliard, der als sehr charismatisch gilt, seine musikalischen Vorstellungen im Gespräch erläutern kann. Karoline Renner beschreibt seine Musik als „gut hörbar, ohne platt zu sein oder sich anzubiedern.“ Sie lobt an der Musik des gebürtigen Schweizers eine gewisse Leichtfüßigkeit, wie man sie allgemein der französischen Musik nachsagt, und einen untergründigen Humor. Colliard widerlegt für sie auf das Glänzendste das weit verbreitete Vorurteil, dass zeitgenössische Musik schwer zu hören und komplett kopflastig sei.

In der Tat hat diese Musik gelegentlich einen Zug von Kapellmeistermusik, denn sie schöpft immer wieder hörbar aus dem riesigen Repertoire, das Colliard als Dirigent und Geiger vertraut ist. Wie bei jeder zeitgenössischen Musik bleibt natürlich auch in diesem Fall abzuwarten, welche Werke oder Richtungen sich auf Dauer durchsetzen werden, aber dieses Urteil dürfen wir getrost dem launenhaften Geschmack der Nachgeborenen überlassen.

Musik für die Westküste

Was ist von diesem Konzertabend zu erwarten? Viel Abwechslung vor allem. Das Stück „Liberty Street“ etwa, ein Quartett für Streichtrio und Klavier, spiegelt Colliards Liebe zu San Francisco. Das besondere Klangbild entsteht in diesem Fall dadurch, dass auf dem Klavier nur die rechte Hand benutzt wird, so dass das Klavier den Streichinstrumenten gleichberechtigt gegenübersteht und sich in das Ensemble perfekt einfügt. Die virtuosen „Carmen“-Variationen hingegen stehen natürlich in der Traditionslinie der bis heute populären Carmen-Fantasie des Geigers Pablo de Sarasate, die bereits der auf Filmmusik spezialisierte Komponist Franz Waxman 1946 aufgriff.

Das Programm hat Gilles Colliard selbst zusammengestellt. Es eröffnet eine Gelegenheit, die es bei Spotify gar nicht geben kann: Einmal einen Komponisten hautnah zu erleben, ihm zu folgen, wenn er seine Werke kommentiert, und ihn als Musiker nicht nur zu akustisch wahrzunehmen, sondern auch zu sehen. Und, nicht zu vergessen, ein Konzert selbst mitzugestalten, denn natürlich reagieren nicht nur die ZuhörerInnen auf die Musik – sondern auch die MusikerInnen werden unbewusst davon beeinflusst, wie das Publikum gerade so drauf ist.

MM/Harald Borges (Foto: © Anne Colliard)


Kammerkonzert „Vielseitig“ im Studio der Südwestdeutschen Philharmonie, Fischmarkt 2, Konstanz, Sonntag, 10. März 2019, 18.00 Uhr.

Gilles Colliard, Komposition und Violine
Hana Gubenko, Viola
Karoline Renner, Flöte
John Wennberg, Violoncello
Timon Altwegg, Klavier
Elise Efremov, Sopran

Karten zu Euro 18/14 sind bei der Südwestdeutschen Philharmonie (09.00 Uhr bis 12.30 Uhr), dem Stadttheater Konstanz (07531 900-150), bei der Tourist-Information im Hauptbahnhof sowie in allen Ortsteilverwaltungen erhältlich. Tickets gibt es auch im Internet unter:  www.philharmonie-konstanz.de