Das Luftschloss auf dem Münsterplatz
In der Konstanzer Stadtmitte ist es wieder so weit: Das Theater präsentiert sein alljährliches Freiluftstück mit Premiere am vergangenen Freitag. In diesem Jahr ziert ein imposantes Luftschloss die historische Kulisse am Münster und bietet Raum für die Interpretation eines Klassikers. „Cyrano“ erzählt eine Geschichte über Ghostwriting, Oberflächlichkeit und der wahren Freundschaft unter Männern, die mit Degen kämpfen. Fechtszenen in der Hüpfburg also – kann das gut gehen?
Da steht sie. Eine riesige weiße Hüpfburg, direkt vor dem Münster. Die Schweizer nennen das übrigens ein „Gumpischloss“, um einmal meinen Lieblingshelvetismus aufs Tapet zu bringen und das passt zu diesem Gebilde eigentlich auch viel besser. Es ist mehr Schloss als Burg. Ein Luftschloss, der Traum eines jeden Kindes, die Stilisierung von Neuschwanstein: Allein dieses Bühnenbild von Marie Labsch ließe Raum für seitenlange Interpretationen. Es ist zugleich Schlachtplatz und Palast, Gummizelle und Trampolin, aber nun erst mal der Reihe nach.
Historische Geschichte mit zeitlosem Inhalt
Cyrano, mit ganzem Namen Savinien Cyrano de Bergerac, ist eine Persönlichkeit, die wirklich existiert hat. Er war im 17. Jahrhundert Gardeoffizier und Schriftsteller der frühen französischen Aufklärung. Seine Romane über Sonnen- und Mondbewohner werden als erste Werke des Science Fiction Genre genannt. Bis heute bekannt ist die Figur durch das Versdrama von Edmond Rostand aus dem Jahr 1897, das vielfach in Theatern gespielt und auch verfilmt wurde („Das letzte Musketier“ 1950, „Cyrano von Bergerac“ 1990). Die Geschichte erzählt das Leben Cyranos, der kühn und rhetorisch versiert gegen die Aristokratie in den Kampf zieht. Er ist verliebt in Roxane, die wiederum ihr Herz an den schönen Christian verloren hat, ein Kadett aus Cyranos Gardetruppe. Auch der Graf Guiche hat ein Auge auf Roxane geworfen und so beginnt ein Streit um ihr Herz, das politische Dimensionen erhält, da Graf Guiche Cyranos Truppe in den Krieg schickt, um die Nebenbuhler vom Hals zu haben, was denen zum Verhängnis wird. Cyrano schreibt für Christian Briefe an Roxane, da er sich nicht traut, ihr seine Liebe zu gestehen. Im Weg steht ihm: seine Nase. Diese ist von unschöner Gestalt und lässt den sonst so mutigen Cyrano zweifeln.
Buntes Spektakel in Versform
Die Inszenierung unter Mark Zurmühle beginnt mit einer Gesellschaft im Theater, die von Cyrano (Ingo Biermann), dem Außenseiter, gestört wird. Er wirft mit wilder Poesie um sich (die Verse entstammen der Übersetzung in Gemeinschaftsarbeit von Daniel Grünauer, Daniel Morgenroth und Christoph Nix) und stellt das bestehende Establishment in Frage. Sein politischer Standpunkt wird deutlich gemacht: Er ist Offizier der Garde und damit eine Autoritätsperson. Aber auch sein wunder Punkt wird schnell deutlich: seine Nase. Keiner wagt es, darüber zu sprechen. Doch dann kommt ein neuer Kadett in die Truppe, Christian de Neuvillette (Thomas Fritz Jung). Er, selbst ausgesprochen gutaussehend, aber von geringem Verstand, verspottet den Vorgesetzten nach Strich und Faden. Eigentlich müsste ihn dieses Verhalten den Kragen kosten, wäre da nicht die schöne Roxane (Laura Lippmann), die Herzensdame von Cyrano. Sie gesteht ihm ihre Zuneigung zum schönen Christian und damit beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel, das Dramaturgieassistentin Emely Otto im Programmheft wunderbar zusammengefasst hat: 1. Wo die Liebe hinfällt, 2. Sie liebt mich, sie liebt mich nicht…, 3. Hunde, wollt ihr ewig leben?, 4. Bis dass der Tod euch scheidet, 5. Und wenn sie nicht gestorben sind. Eine Liebesgeschichte nach Schema F also, wie wir es aus zahlreichen Hollywoodkomödien kennen.
Man kann es an diesem Theaterabend dabei belassen und sich ganz der witzigen Romanze hingeben, die musikalisch untermalt wird mit Songs von Bob Dylan, den Stones oder Britney Spears (Musikalische Leitung: Gabriel Cazes). Man kann sie genießen, die wunderbare Kulisse, das alte Münster, das mitspielt mit Licht und Schatten, mit Glockenschlägen und seiner Altehrwürdigkeit. Man kann sich verzaubern lassen von der Vielfalt der Kostüme (Nic Tillein), 116 Stück insgesamt, größtenteils in schwarz weiß mit raffinierten Details und witzigen Ideen (Roxanes formvollendete Puffärmel zum Beispiel). Man kann den SchauspielerInnen folgen, die hüpfen, tanzen, singen, lieben, leiden, sterben.
Da ist ein wunderbarer Ingo Biermann, der sich in seine oktroyierte Hässlichkeit hinein und mittels der Poesie wieder herausspielt. Neben ihm mimt Georg Melich den unsympathischen Prinz Charming und Thomas Fritz Jung stirbt so ergreifend, dass selbst die alte Kastanien am Platz mit ihren Blättern raunen. Laura Lippmann lässt den Degen (Fechtszenen: Johannes Nix) ebenso gekonnt durch die Luft fliegen wie ihre Highheels und zeigt dabei die komplette Bandbreite weiblicher Emotionalität – von der sexy Verführerin bis hin zur frommen Nonne. Jonas Pätzold sieht aus wie eine missglückte Version von Conchita Wurst und tanzt (Choreografien: Ana Mondini) in diesem Aufzug mit Gregor Müller, der zeigt, was Männer in Leggins können, sowie dem aus allen herausragenden Tomasz Robak. Sie werden umrahmt von all den Statisten, die das Stück erst zu dem machen, was es letztendlich dann ist: ein Spektakel. Dabei kann man es belassen – ein heiterer Theaterabend. Oder man bedient sich der Weisheit des Cyrano und macht sich darüber hinaus ein paar Gedanken, denn das ist, was er predigt: die Gedanken sind frei.
Cyrano – ein Spiegel unserer Gesellschaft?
Denkanstöße bietet das Stück für den Zusammenhang von Liebe und Poesie. Was bewirken schöne Worte, was das Aussehen einer Person in Liebesdingen? Wie oberflächlich sind wir? Ein großes Thema in Zeiten von Online-Dating und Tinder, der Selbstinszenierung auf Instagram und Facebook. Wer ihn einmal erlebt hat, diesen Moment, wenn man auf eine Person trifft, mit der man virtuell schon nächtelang geschrieben hat, von der man sicher ist, das ist der Herzensmensch, egal wie er oder sie aussieht und dann kommt die Realität ums Eck und damit die Konfrontation mit der eigenen Oberflächlichkeit: Man sieht den oder die andere und zerplatzt ist es, das Luftschloss der Liebe – oh weh! Da ist man selbst die schöne Roxane, die ihren wahren Traumprinz aufgrund der Nase nicht erhört.
Oder ist man selbst auch mal der Cyrano, der sich im Weg steht, all das Unglück dieser Welt auf seine Nase schiebt? Mit ein wenig mehr Selbstvertrauen würde sie aber vielleicht gar niemandem auffallen, denken wir nur an Pablo Picasso, selbst nur 1,63 Meter groß. Er hat das nie als Makel aufgefasst, im Gegenteil: Mit einem Augenzwinkern hat er bekundet, er würde die fehlenden Zentimeter an anderer Stelle wieder wett machen. Alles nur eine Frage des Egos…
Man kann die Geschichte Cyranos aber auch als eine größere sehen, die über den eigenen Mikrokosmos hinaus geht. Der Journalist Lutz Rauschnick zum Beispiel, der neuerdings eine Kolumne auf der Theater-Homepage verantwortet, deutet sie als Parabel auf das Theater und den Konstanzer Gemeinderat und zitiert Dramaturg Daniel Grünauer: „Cyrano zeigt mit seiner rebellischen und anarchischen Art, dass so, wie die Mehrheit der Gesellschaft ist, es nicht zwangsläufig richtig ist. Das ist eine Parabel auf die Stadtgesellschaft und die Kunst. Wenn man Theater macht, egal wo, kommen oft Zuschauer und sagen, sie wollen das Hehre, die schöne Kunst. Dass Kunst immer angenehm sein müsse und gezähmt und schön, aber nicht zu kritisch – das höre ich wieder öfter. Theater sollte aus meiner Sicht nie bestehende Systeme kritiklos bekräftigen, sondern hinterfragen.“
Belassen wir es für heute dabei. Gehen Sie selbst, sehen Sie Cyrano und machen Sie sich zur Abwechslung mal kein Abendbrot, sondern Gedanken.
Veronika Fischer (Foto: Theater Konstanz/Ilja Mess)
Nächste Vorstellungen:
Montag 25.6 – Dienstag 26.6 – Mittwoch 27.6 – Donnerstag 28.6 – Freitag 29.6 – Samstag 30.6 – Montag 2.7 – Dienstag 3.7 – Mittwoch 4.7 – Donnerstag 5.7 – Sonntag 8.7 – Montag 9.7 – Donnerstag 12.7 – Freitag 13.7 – Samstag 14.7 – Montag 16.7 – Dienstag 17.7 – Mittwoch 18.7 – Donnerstag 19.7 – Samstag 21.7 – Sonntag 22.7 – Dienstag 24.7 – Mittwoch 25.7 – Donnerstag 26.7 – Freitag 27.7 – jeweils 19 Uhr, Freilichtbühne auf dem Münsterplatz.